Diskussion um die Belebung von Norderstedt-Mitte: Ein Entscheider von damals erinnert sich an die Gründung des neuen Stadtkerns.
Historiker meinen, dass die Gegenwart nur verstehen kann, wer die Vergangenheit kennt. Und so erlaube ich mir die Feststellung: Die jetzt kritisierten Strukturprobleme von Norderstedt-Mitte wurden durch die Planung des neuen Stadtkerns für die vier Ursprungsgemeinden vor über 40 Jahren bewusst und gezielt herbeigeführt. Das sage ich als Gründungsgeschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Norderstedt und Erster Stadtrat und Baudezernent Norderstedts in den Jahren 1976 bis 1992. Ich trage also die Mitverantwortung.
Die Stadtgründung Norderstedts war 1970 ein gesetzgeberischer Akt. Und nicht das Ergebnis ehrgeiziger Kommunalpolitik der Gemeinden Garstedt, Harksheide, Glashütte und Fried-richsgabe. Schleswig-Holstein hatte zwei Gründe für den Zusammenschluss. Zum einen den damals enormen Siedlungsdruck aus Hamburg. Man vermutete, dass die unterschiedlichen Entwicklungsvorstellungen der miteinander konkurrierenden Gemeinden mit ihren ehrgeizigen Bürgermeistern durch die Stadtgründung besser unter einen Hut zu bringen waren.
Der zweite Grund war die damals aktuelle Planung des neuen Flughafens Kaltenkirchen. Er sollte mit einer Expressbahn über Norderstedt und mit der Linie U1 an Hamburg angebunden werden.
Unabdingbare Voraussetzung für die Erlangung von Bundeszuschüssen für das U-Bahn-Verlängerungsprojekt war eine bestimmte Einwohnerdichte in einem bestimmten Radius um den neuen Endpunkt der U-Bahn in Norderstedt-Mitte. In einem Höllentempo sollte eine Einwohnerdichte von etwa 13.000 Menschen erreicht werden. Das Entwicklungspotenzial der vier Ursprungsgemeinde wurde in „NoMi“ gebündelt, der Wohnungsbau dort gestoppt.
Aufgabenschwerpunkt für das neue Zentrum der jungen Stadt war also nicht die Schaffung neuer und größerer Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen, sondern lediglich eine „U-Bahn-würdige Einwohnerdichte“. Die führenden Kommunalpolitiker der Ursprungsgemeinden waren in der Stadtvertretung ängstlich darauf bedacht, dass ihren Gemeindezentren, dem Herold-Center, dem Harksheider oder dem Glashütter Markt, durch ein neues Versorgungszentrum in Mitte keine Konkurrenz erwächst.
So war man sich über alle Parteigrenzen hinweg rasch einig, dass in Norderstedt-Mitte nur die Nahversorgungseinrichtungen geschaffen werden sollten, die zur Deckung des Bedarfs der Neubürger und der dort tätigen Arbeitnehmer notwendig waren. Diese Vorgabe wurde erfüllt und planungsrechtlich abgesichert.
Nun gibt es den PACT für Norderstedt-Mitte. Die Partnerschaft zur Attraktivierung von City-, Dienstleistungs- und Tourismusbereichen. Die Träger des PACT, die Grundeigentümer und Händler, erwarten als Hauptergebnis die Eindämmung des Kaufkraftabflusses und damit höhere Umsätze und Gewinne für sich. Wenn es den Gewerbetreibenden aber nicht durch eigene Anstrengungen gelingt, mehr Kaufkraft in Norderstedt-Mitte zu erzeugen, dann lässt sich dieses Ziel nur durch die Ansiedlung von Versorgungseinrichtungen für den gehobenen Nicht-Tagesbedarf erreichen. Geschäfte also, die der Kunde sonst nur im Herold-Center findet. Auch wenn das jetzt politisch durchsetzbar wäre – der nötige Flächenbedarf würde die Struktur wesentlich beeinträchtigen und stünde zum Beispiel dem Ziel der Grünerhaltung entgegen. So viel zum Hauptziel der Geldgeber des PACT.
Die Forderung nach mehr Lebensqualität für die Bürger in Norderstedt-Mitte, ist wirklichkeitsfremd. Kein anderer Stadtteil kann auch nur annähernd bieten, was in „NoMi“ konzentriert ist: U-Bahn, Busse, Rathaus, Kultur- und Bildungszentrum, Amtsgericht, Agentur für Arbeit, Stadtwerke, viele Geschäfte des Alltagsbedarfs, Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, ein Herz-Kreislaufzentrum, Steuerberater, Reisebüro, Buchhandlung, Kino, Restaurants, das Hamburger Abendblatt, der NDR und ausreichend Parkplätze. Angesichts dieses Angebotes kann die Forderung nur als populistisches Wortgeklingel gewertet werden.
Was Mitte nicht haben kann, ist das besondere Flair gewachsener Kerne alter Städte. Der Quartiersmanager Christian Behrendt könnte dieses Flair selbst dann nicht herstellen, wenn er die eierlegende Wollmilchsau wäre und Buttermilch an die Wand nageln könnte. Die Stadt Norderstedt hat eine günstige Sozialstruktur und ist in ihrer Gesamtheit lebendig und innovativ. Wie Herr Behrendt es schaffen soll, diese Attribute zum Alleinstellungsmerkmal von „NoMi“, einem Stadtteil mit dem Schwerpunkt Wohnen, zu machen, erschließt sich mir nicht.