Norderstedt. Norderstedter Frederik Diers fand auf der fast 7000 Kilometer langen Tour nicht nur Freunde, sondern auch eine Vision für die Zukunft.
Er reißt die Arme hoch, stößt einen lauten Schrei aus, wirft sein Fahrrad ins Gras und fällt Eltern, Bruder und Freunden in die Arme. Vor lauter Jubel kommen ihm die Tränen. Tränen der Rührung und Erlösung. Endlich angekommen, endlich zu Hause.
6910 Kilometer liegen hinter Frederik Diers, 6910 Kilometer mit dem Fahrrad zum Nordkap und zurück. Damit ist der 20-Jährige vermutlich der erste Norderstedter, der diese Tour mit dem Fahrrad geschafft hat, eine Tour, die sein Leben und seine Zukunftspläne gründlich ändern.
„Ich habe Herzklopfen und bin unglaublich stolz und glücklich“, sagt Frederik nach der ersten Begrüßungsrunde am Ortseingangsschild an der Ulzburger Straße in Norderstedt. Weiter geht die Jubeltour zum Rathausmarkt, wo die Freunde Bierkisten zum Kühlen in den Trudenbrunnen versenkt haben. Dort begrüßen ihn auch die Großeltern, bevor es nach Hause geht.
„Das ist eine großartige Leistung, so ganz allein mit dem Fahrrad durch fünf Länder zum Nordkap zu fahren, ein Abenteuer, das man nie im Leben vergisst“, sagen die Großeltern Gisela Dirker, Margot und Günter Diers. „Wir sind glücklich, dass er wieder hier ist und stolz auf seine wunderbare Leistung. Die Tour hat ihn verändert und selbstbewusster gemacht“, betonen die Eltern Bärbel und Manfred Diers.
„Adjö Tyskland“ schrieb Frederik auf YouTube am 29. Juli, dem Tag, als er seine Nordkap-Tour startete. Von Norderstedt nach Puttgarden, von Kopenhagen nach Helsingor und weiter mit der Fähre nach Schweden. Stockholm, zur Universitätsstadt Umea, ein Streifzug durch Finnland, weiter nach Norwegen. Dann endlich das Ziel – das Nordkap.
Macht 3000 Kilometer. Mit zirka 40 Kilogramm Gepäck inklusive Zelt, Camping-Kocher mit Töpfen und Geschirr und noch einmal 50 Kilogramm fürs Fahrrad. Das schlaucht, und bei Gegenwind ist das keine Traum-Tour mehr. Der Wind fuhr Frederik gleich zu Anfang kräftig ins Gesicht und brachte auch noch Regen und Kälte mit. Doch das alles konnte den Abenteurer nicht stoppen, auch ein Speichenbruch nach den ersten tausend Kilometern nicht.
Das Nordkap ist eine Touristenattraktion
Der bescherte ihm einen Tag Ruhe, einen Tag, an dem er im Vorgarten einer schwedischen Familie sein Zelt auf dem Rasen aufschlug. Die Schweden versorgten ihn mit Kaffee, Kuchen und Eis – und mit herzlichen Gesprächen. „Ich bin dankbar für die vielen wunderbaren Begegnungen mit Menschen aus aller Welt, für die Gastfreundschaft, für das Essen und das kostenlose Reparieren meines Fahrrads, wenn ich eine Panne hatte“, sagt Frederik bewegt. Ein Ehepaar half ihm erst mit einer Schraube fürs Rad aus, dann luden sie ihn zu einer Tasse Kaffee ein, zum Essen, und schließlich durfte er über Nacht bleiben.
Weiter ging die Tour durch Schweden. Mit dem Binnenklima kam die nächste Plage: Mücken, Myriaden von Mücken. Frederiks Tour führte ihn bei Arvidsjaur auf die E 45 nach Norden, eine Route, die den höchsten Norden Europas mit dem tiefsten Süden verbindet. „Bei uns nennt man sie A 7“, sagt Frederik. Die ersten Rentiere kreuzten seinen Weg, eine Hornisse bohrte sich durch seine Regenventilationsöffnung ins Zelt – Natur pur.
Doch das Nordkap lockte. Und Norwegen. Wegen der grandiosen Landschaft, weniger wegen der Preise. Die brachten seine ganze Finanzplanung durcheinander.
Der Norderstedter machte 1001 Kilometer in sieben Tagen, trotz Gegenwind, Regen und Kälte. Noch 150 Kilometer bis zum Nordkap! Wenn da nicht der Nordkap-Tunnel wäre. 6870 Meter lang, 213 Meter tief unter dem Meer, acht Prozent Steigung auf acht Kilometer rauf und runter, Minus-Grade, Eis auf der Fahrbahn. Doch auch den Tunnel hat er geknackt, genau nach einem Monat Fahrradtour und 3800 Kilometer. Er hatte das Gefühl, er sei bereits Jahre unterwegs, so überwältigten ihn die vielfältigen Eindrücke von Land und Leuten, von Natur und Kultur.
Dann endlich! 24. Juli, 24 Uhr: das Nordkap! Da steht er hoch oben auf der Klippe vor dem Nordkap-Globus, exakt wie geplant um Mitternacht, genießt die Mitternachtssonne und das unglaubliche Gefühl, es geschafft zu haben. Es – das ist das Glück, den inneren Schweinehund hundertmal besiegt zu haben, immer wieder in den Sattel zu steigen, immer wieder Wut und Verzweiflung überwunden und damit den Glauben an sich selbst gefestigt zu haben. Wellen des Danks durchfluten ihn, Dank an alle, die ihn immer wieder bestätigten, allen voran seine Eltern.
Frederik Diers traf Menschen aus aller Welt
Er traf Menschen aus aller Welt, schnackte mit Fährmännern und musste auf der Atlantic-Street-Route einen Bus nehmen, weil die Seezungen am Atlantik für Fahrräder verboten sind. Und auch einige Tunnel. Doch Frederik dauerte das Warten auf einen Bus oder ein Auto, das ihn mitnehmen konnte, zu lange. Er durchfuhr einen 2,5 Kilometer langen Tunnel mit seinem Fahrrad. Um nach fünf Kilometern auf einen weiteren Tunnel zu stoßen und auf ein Auto mit blauen Blinklichtern auf dem Dach. 100 Euro hat ihn der Spaß gekostet und ein tiefes Loch in seine eh knapp bemessene Nordkap-Kasse gerissen.
Doch dem Pech folgte wieder das Glück. Ein Paar aus Hamburg lud ihn auf und fuhr ihn ins nächste Dorf. Die beiden waren wie ein gutes Omen, denn Frederik hatte nur noch Rückenwind, gutes Wetter und war entsprechend motiviert, fest in die Pedalen zu treten, um auch den steilsten Berg zu packen. Bei zwei Grad Celsius.
Wieder am Meer sah er die ersten Skisprungschanzen. Da hielt es auch seinen Vater nicht mehr, er packte die Skier ein, fuhr mal eben zwölf Stunden mit dem Auto, um mit seinem Sohn über die Schneepiste zu düsen und schöne Gespräche mit ihm zu führen. Für Frederik aber geht es selbstverständlich per Rad weiter – noch 900 Kilometer bis nach Haus.
„Das Nordkap war natürlich das größte Erlebnis, aber auch die Begegnung mit mir selbst“, sagt Frederik Diers. „Ich wollte zeigen, wie viel ein Mensch mit wenig Mitteln erreichen kann, wenn er nur seine Träume angeht und verwirklicht“, sagt der 20-Jährige. Die Konzentration auf sich selbst brachte den Abiturienten der Willy-Brandt-Schule dazu, nicht mehr Bio-Chemie studieren, sondern Profi-Fahrer werden zu wollen – und Fahrrad-Mechaniker zu lernen. Dafür sucht er jetzt eine Werkstatt.
Ziele? „Jetzt plane ich, mit dem Fahrrad die Welt zu umrunden“, sagt Frederik. Und was machte er am Morgen nach seiner Rückkehr in Norderstedt? „Ich habe mein Rennrad ausgepackt und bin erst einmal ganz ohne Gepäck gefahren“, sagt er und strahlt glücklich.