Kreis Segeberg. Am stärksten wächst laut der Studie Henstedt-Ulzburg. Norderstedt erreicht Höchstmarke 2024. Tangstedt und Bad Segeberg schrumpfen.
Die meisten Städte und Gemeinden im Kreis Segeberg werden weiter wachsen, andere wie Wahlstedt oder Tangstedt schrumpfen. Das sagt die aktuelle Bevölkerungsprognose der Bertelsmann-Stiftung voraus. Die Analysten haben bundesweit auf der Basis der Zahlen von 2012 untersucht, wie sich die Bevölkerung bis zum Jahr 2030 entwickeln wird und dabei mit Zahlen erneut den Trend untermauert, wonach die städtischen Bereiche zulegen, der ländliche Raum weiter ausdünnt – eine Tendenz, die für den Kreis Segeberg zumindest teilweise zutrifft. Eine präzise Aussage ist schwierig, da sich die Studie nur auf Landkreise sowie Städte und Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern bezieht – und davon gibt es im Landkreis der 99 Dörfer nicht viele.
Die meisten liegen an Autobahn 7, der wirtschaftlichen Kraftachse des Kreises. Für Norderstedt, Henstedt-Ulzburg, Kaltenkirchen, Bad Bramstedt und Ellerau sagen die Bertelsmänner Wachstum voraus (s. Grafik). Wachstumsriese ist Henstedt-Ulzburg – das größte Dorf in Schleswig-Holstein wird bis 2030 um elf Prozent zulegen und die Marke von 30.000 Einwohnern knacken. Auch Kaltenkirchen boomt, Norderstedt und Bad Bramstedt hingegen müssen sich mit Pluszahlen von 1,1 und 1,6 Prozent begnügen.
Doch das Minimalwachstum schreckt die Verantwortlichen im Norderstedter Rathaus nicht. Sie vertrauen lieber ihren eigenen Zahlen. Die Stadt hatte selbst eine Studie beim Statistikamt Nord in Auftrag gegeben und durch eigene Zahlen vom Einwohnermeldeamt ergänzt – Ergebnis: Bis 2030 wächst Norderstedts Bevölkerung um drei Prozent auf dann 77.600. Auf den großen Neubaugebieten am Garstedter Dreieck und am Mühlenweg sowie auf kleineren Flächen wird Wohnraum für rund 4000 Menschen entstehen. „Diese Wohnungen dienen auch dem stark wachsenden Bedarf an zusätzlichen Wohnungen durch Norderstedter. Die Zahl der Single-Haushalte und die Individualisierung nehmen zu“, sagt Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote. Bis 2024 wächst die Stadt sogar um vier Prozent und erreicht mit einer prognostizierten Einwohnerzahl von 78.595 ihren Höchststand. Danach zeigt die Kurve wieder bergab.
Flüchtlinge in Studie nicht berücksichtigt
Für Grote geht es nicht um Quantität, sondern um Qualität: „Das Wachstum einer Stadt kann sehr teuer werden, wenn die höheren Kosten für zusätzliche Arbeitsplätze, Schulen, Kitas, Versorgungseinrichtungen, Straßen und Kanäle die zusätzlichen Steuereinnahmen und Zuweisungen je Einwohner übersteigen.“ Ein Thema stelle die bisherigen Zahlenmodelle infrage und bleibe in der Bertelsmann-Studie unbeantwortet: Wo werden die in großer Zahl nach Deutschland kommenden Flüchtlinge und die nachfolgenden Familienangehörigen wohnen und leben? „Für mich ist ein gesunder Gleichklang aus Wohnen, Arbeiten, Versorgung, Betreuung, Bildung, Innovationskraft, Nachhaltigkeit, Lebensqualität und Finanzkraft ein dauerhafter Garant für die Attraktivität des Standortes Norderstedt“, sagt der Verwaltungschef.
„Wir profitieren von unserer guten Lage in der Nähe zu Hamburg und von der Attraktivität unserer Gemeinde“, sagt Henstedt-Ulzburgs Bürgermeister Stefan Bauer, der die rekordverdächtige Wachstumszahl der Bertelsmann-Studie so absolut nicht bestätigen will, aber: Der Ort werde jedes Jahr um 100 bis 200 Einwohner zulegen, was der Verwaltungschef als gesundes Wachstum bezeichnet – und damit bis 2030 auf jeden Fall die Schallmauer von 30.000 Einwohnern durchbrechen.
Schon in den Vorjahren hat Hen-stedt-Ulzburg kräftig zugelegt. Die gute Verkehrsanbindung über die A 7 und die AKN entfalte Sogwirkung, die Immobilienpreise hätten noch nicht das Hamburger und Norderstedter Niveau erreicht, und die Infrastruktur mit Kitas und einem vielfältigen Schulangebot stimme.
Offensichtlich gefällt den Menschen der dörfliche Charakter und die relativ hohe Zahl an Häusern. Im Gegenzug bedeute das allerdings: Es fehlen Wohnungen. „Und da müssen wir festlegen, wohin die Reise gehen soll. Wollen wir barrierefreie Ein- und Eineinhalb-Zimmer- oder größere Wohnungen bauen und städtischer werden oder eher den dörflichen Charakter erhalten und restriktiver mit Bauanträgen umgehen?“ In jedem Fall sollen im Ort zwei weitere Kitas für je sechs Gruppen gebaut und die Attraktivität nicht nur erhalten, sondern möglichst gesteigert werden.
Kaltenkirchen will Vorhersage toppen
Ehrgeizige Ziele hat sich Kaltenkirchens Bürgermeister Hanno Krause gesetzt. Die Stadt soll den ohnehin schon guten Wachstumswert der Bertelsmann-Studie noch toppen: 23.000 Einwohner lautet die Zielvorgabe. „Wir haben schon in den vergangenen Jahren kräftig in die Infrastruktur investiert, und werden auch weiterhin alle Spielfelder bedienen“, sagt der Verwaltungschef. Baugebiete sind und werden ausgewiesen, allein in den nächsten vier Jahren sollen Flächen für 1000 Neubürger entwickelt werden.
Krause sieht, wie sein Kollege Bauer, einen „bunten Blumenstrauß“ an Vorzügen: Kitas, ein differenziertes Schulangebot, altengerechtes Wohnen und eine wachsende Zahl an Betrieben und Arbeitsplätzen. Die Städte und Gemeinden an der A 7 boomen – und konkurrieren um junge Familien, die den öffentlichen Haushalten Steuereinnahmen bescheren.
Bescheiden wächst Bad Bramstedt. „Die Zahl der Studie ist realistisch“, sagt Bürgermeister Hans-Jürgen Kütbach, der sich freut, dass es nach einer Phase der Stagnation überhaupt wieder Wachstum gibt. Langfristig peilt die Stadt 16.000 Einwohner an.
Erstaunlich ist, dass die Studie für Tangstedt Bevölkerungsschwund prognostiziert, gehört die Gemeinde doch zum insgesamt prosperierenden Hamburger Umland. Um 5,1 Prozent soll die Zahl der Einwohner sinken, von 6260 im Jahr 2012 auf 5940 in 15 Jahren – eine Prognose, die in der Gemeinde massiv bezweifelt wird. „Im Gegenteil: Tangstedt wird weiter wachsen“, sagt Bürgermeister Norman Hübener, der sich dieses Ergebnis nicht erklären kann. Schon die aktuelle Zahl zeige deutlich nach oben: 6758 Bürger sind in der Gemeinde gemeldet. Tangstedt will weitere Wohngebiete ausweisen, denn: „Die Nachfrage nach Wohnraum ist groß“, sagt Hübener.
Auch Segebergs Bürgermeister Dieter Schönfeld hält die Zahlen der Studie für unrealistisch: Baugebiete seien nicht berücksichtigt. Statt zu schrumpfen, werde die Kreisstadt wachsen – und zwar um 3000 Einwohner in den nächsten acht bis zehn Jahren. „Wenn wir nicht gegensteuern, hat Bertelsmann allerdings recht.“