Henstedt-Ulzburg. In zwei Wochen geht Vyvy Tran aus Henstedt-Ulzburg für ein Jahr nach Vietnam. Dort engagiert sie sich für einen Freiwilligendienst.
Etwas mehr als einen Monat ist es her, dass ich zusammen mit meinem Jahrgang am Alstergymnasium den erfolgreichen Abschluss unserer Schullaufbahn mit unserem Abiball zelebrieren konnte, und noch zwei Wochen ist es hin, bis es für mich mit der DRK Soziale Freiwilligendienste Mecklenburg-Vorpommern gGmbH in Rahmen des „weltwärts“-Freiwilligendienstes nach Vietnam geht.
Nach teils zittrig überstandenen Prüfungen und einem Erholungsurlaub im Süden Europas ist es nun Zeit, eine Bilanz über die neu gewonnene Freiheit, die leichte Note von Melancholie und die zeitintensiven Reisevorbereitungen für meinen „weltwärts“-Freiwilligendienst zu ziehen und die vergangenen dreizehn Jahre Schule Revue passieren zu lassen.
Wenn ich an Schule denke, dann kommen mir die Menschen in den Sinn, denen ich täglich begegnete. Klassenkameraden, Lehrkräfte, die eine oder andere anzuhimmelnde Person aus einem älteren Jahrgang und die jüngeren Schüler, die mich manchmal daran erinnern, wie „alt“ ich eigentlich selbst schon bin – zumindest in der konfusen Welt, die sich Schule nennt.
Doch spätestens jetzt, mit dem Ende der regulären Unterrichtszeit, kommen wir Abiturienten nicht drumherum, auch einmal ein wenig Luft in der Welt zu schnuppern, in der wir auch mit unseren 18, 19 Jahren Lebenserfahrung als jung und naiv gelten. „Man lernt nicht für die Schule, sondern für das Leben“, so pflegten es unsere Lehrer und Eltern stets zu sagen, wenn wir uns wie so häufig über die Schule beschwerten. Doch wie viel von dem, was wir in der Schule an Wissen aufnahmen, ist in unseren Köpfen noch heute präsent? Und wie viel davon wird mir beispielsweise in Bezug auf meine Reisevorbereitungen behilflich sein, durch den Bürokratie-Dschungel der „Erwachsenenwelt“ durchzusteigen und die richtigen Ämter für ein polizeiliches Führungszeugnis, Lohnsteuerinformationen und Impferstattungsanträge zu kontaktieren?
Mit Wissen über Stochastik oder literarischen Epochen konnte ich leider keinen Eindruck schinden, doch nach zahlreichen Telefonaten ist mir klar geworden: „Wenn etwas unklar ist, frag nach!“
Vielleicht kommt es gar nicht so darauf an, wie viel wir von dem sachlichen Schulwissen mitnehmen, sondern vielmehr, was wir zwischen den Zeilen gelesen und gelernt haben – dieser Satz würde sicherlich einige meiner ehemaligen Lehrer ziemlich entzücken. Mal sehen, wie viel mir das „zwischenmenschliche Schulwissen“ im Leben helfen wird.
In den vergangenen Wochen wurde immer deutlicher, dass eine neue Ära für uns Abiturienten ansteht. Auf einigen Abschiedsfeiern wurden bereits die letzten Sentimentalitäten ausgetauscht. Immer häufiger erwische ich mich dabei, wie ich mir die Frage stelle: „Wann sehe ich die Person XY denn wohl mal wieder?“ Während man bei einigen darauf hofft, diese Frage mit einem klaren „Bald!“ beantworten zu können, findet sich bei anderen keine Antwort darauf, denn jeder scheint mit dem Schmieden neuer Zukunftspläne beschäftigt zu sein.
Für mich bedeutet das, mich auf meinen Freiwilligendienst an der deutsch-vietnamesischen Universität nahe Ho-Chi-Minh-Stadt vorzubereiten. Zahlreiche Telefonate lassen mein Auslandsjahr Stück für Stück näher rücken – und nachdem ich vor Kurzem mein Abflugdatum mitgeteilt bekommen habe, gibt es kein Zurück mehr. Am 4. September werde ich mich in einem Flugzeug der Turkish Airlines in die Lüfte erheben und mich auf den Weg in die Heimat meiner Eltern machen.
Durch gelegentlichen E-Mailkontakt mit meiner Projektvorgängerin erfuhr ich, dass ich vermutlich in einer Wohngemeinschaft mit anderen Freiwilligen unterkommen werde und dass die Provinz, in der sich die Universität befindet, Binh Duon heißt.
Ein siebentägiges Vorbereitungsseminar am Anfang des Monats bot die Möglichkeit, mich noch einmal intensiv mit meiner Motivation und meinen Zielen auseinanderzusetzen und meine zukünftigen Mitbewohner kennenzulernen.
Mit 14 weiteren „weltwärts“-Freiwilligen diskutierten wir in der mecklenburgischen Stadt Teterow im DRK-Bildungszentrum kulturelle Aspekte, beschäftigten uns mit möglichen Schwierigkeiten und Stress-Situationen und stellten uns der von Kritikern häufig geäußerten Frage, ob denn ein „weltwärts“-Freiwilligendienst tatsächlich helfen könne oder nicht eher ein staatlich finanzierter Urlaub in den Tropen sei?
„Mit weltwärts hilfst du nicht, weltwärts hilft dir!“ – ein Satz, durch den sich viele vor den Kopf gestoßen fühlten und mit dem wir uns intensiv auseinandersetzten. Deutlich wurde in unseren Diskussionen, dass das Freiwilligenprogramm als ein internationaler Lerndienst zu sehen ist, bei dem die Freiwilligen das Privileg erhalten, in eine neue Kultur einzutauchen und Erfahrungen in verschiedenen Projekten zu sammeln. Daher kann es nicht mit Entwicklungszusammenarbeit gleichgestellt werden, wie von vielen fälschlich vermutet.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf blicke ich dem anstehenden Auslandsjahr mit vielen Fragen, Wünschen, aber auch Ängsten und Zweifeln entgegen. Während einige meiner Freunde die neugewonnene Freiheit dazu nutzen, auf Europa- oder Weltreisen zu gehen und andere sich bereits auf Studienplatz- und Wohnraumsuche begeben, steht mir ein Jahr bevor, das mit 40-Stunden-Wochen gefüllt ist, sicherlich den einen oder anderen Kulturschock mit sich bringen wird und mir hoffentlich zu einem tiefergehenden Verständnis für vietnamesische Lebensweise verhilft.
Es ist ein Jahr, in dem ich die Erfahrung machen darf, auf eigenen Beinen zu stehen, mit neuen Herausforderungen konfrontiert werde und mir einen neuen Platz in einem neuen Leben suchen muss, das sich sicherlich von dem 13-jährigen Schulalltag unterscheidet. Und auch, wenn man durch die Vielseitigkeit der Zukunftspläne meiner Schulfreunde und Bekannte den Eindruck erhält, nach dem Abitur werden die Gemeinsamkeiten immer weniger, sind dies gewiss Umstände, die, so unterschiedlich unsere Vorhaben nach dem Abitur noch sein mögen, uns Abiturienten miteinander verbindet.
Vyvy Tran wird in den kommenden Monaten im Abendblatt von ihrer Reise nach Vietnam berichten.