Henstedt-Ulzburg. Freiwilligendienst in Vietnam: Vyvy Tran aus Henstedt-Ulzburg geht im Sommer nach Südasien. Von dort wird sie im Abendblatt berichten.

Ich werde hoffentlich bald mein Abitur in der Tasche haben. Und wie auch vermutlich viele andere, die dem Abschluss ihrer langjährigen Schullaufbahn entgegenblicken, musste ich mich mit der Frage beschäftigen: Wohin führt uns das Leben nach jahrelangem Alltagstrott wohl?

Diese Frage, die manch einem sicherlich schon schlaflose Nächte bereitet hat, weiß ich für mich nun zu beantworten. Für mich soll es „weltwärts“ gehen.

Nein, nicht westwärts, seitwärts oder heimwärts, sondern „weltwärts“. Im Duden nicht aufzufinden, wurde dieser Begriff im Jahr 2008 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eingeführt, um einem neu ins Leben gerufenen Freiwilligendienst im Ausland seinen Namen zu geben.

Als Alternative zum typischen Freiwilligen Sozialen oder Ökonomischen Jahr in Deutschland bietet der entwicklungspolitische Freiwilligendienst „weltwärts“ jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 28 die Möglichkeit, ihren Horizont durch Tätigkeiten im Ausland zu erweitern. Mit einem abgeschlossenen Schulabschluss, dem Willen zur Weltoffenheit und ein wenig Interesse an sozialem Engagement steht es jedem jungen Erwachsenen offen, sich bei einer der 150 Entsendeorganisationen um einen Einsatzplatz zu bewerben.

Vyvy hatte die Auswahl unter Osteuropa, Südamerika, Afrika und Asien

Im Jahr 2013 wurden etwa 3300 junge Menschen über „weltwärts“ ins Ausland geschickt, im Jahr 2015 werde ich einer von ihnen sein. Mich schickt die „DRK Soziale Freiwilligendienste Mecklenburg Vorpommern gGmbH“ nach Vietnam, genauer gesagt an die Vietnamese-German University in der Sieben-Millionen-Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt im Süden des Landes.

Als ich mich im vergangenen September bewarb, hatte ich die Auswahl zwischen einer großen Anzahl von Ländern in Osteuropa, Südamerika, Afrika und Asien sowie den Einsatzbereichen Umwelt, Soziales, Gesundheit und Bildung. Mit der Intention, nach Vietnam zu gehen und dort ein Bildungsprojekt zu unterstützen, machte ich mich zu Beginn meines letzten Schuljahres am Alstergymnasium in Henstedt-Ulzburg auf die Suche nach einem geeigneten Programm.

Ich wurde von Unmengen verschiedener Angebote, Programminformationen und Organisationen überwältigt und stellte fest: Freiwilligendienste im Ausland sind zu einer Art erfolgreicher Reisebranche geworden.

Während einige Anbieter mit Slogans wie „Vietnam ist Indochina pur!“ oder der Vorhersage, ich werde mit
vietnamesischen Mitarbeiterinnen „eifrig Frühlingsrollen für das Mittagessen rollen“, lockten und mich eher skeptisch stimmten, stieß ich nach ausgiebiger Recherche auf drei Programme, die mein Interesse weckten. Es handelte sich um staatlich geförderte Programme, die den Freiwilligendienst nicht als Urlaub der guten Tat deklarierten, sondern den Lernwert eines solchen Erlebnisses betonten.

Kultureller Austausch statt „Weltverbesserer“

Neben dem UNESCO-Programm „kulturweit“ und dem „Internationalen Jugendfreiwilligendienst“ ist „weltwärts“ eines der Programme, die nicht die Befriedigung des eigenen Gewissens durch soziales Engagement versprechen, sondern vielmehr dazu anregen, sich an kulturellem Austausch zu beteiligen und somit das Verständnis globaler Zusammenhänge zu fördern.

Zwar wäre es schön, die ganze Welt „mal eben so“ retten zu können, doch irgendwie erschien mir der Zweck des gemeinsamen Lernens doch etwas realistischer; und so bewarb ich mich im September bei drei verschiedenen Organisationen um Einsatzplätze in allen drei Programmen.

Das Deutsche Rote Kreuz war die erste Organisation, die mich im Dezember nach langem Warten zu einem Bewerbungsgespräch in Schwerin einlud. Eine chaotische Anfahrt gepaart mit einer leichten Verspätung ließen mein Nervositätslevel deutlich ansteigen, doch da ich die letzte der Bewerberinnen war, hatte ich über zwei Stunden Wartezeit, um meine rebellierenden Nerven zu beruhigen.

Die erste Frage, die mich im Gespräch erwartete, war die Frage nach meiner Motivation. Zwar ist diese nicht ganz einfach zu beantworten, doch ich würde behaupten, im inneren Kern meiner Motivation steckt die Neugier. Neugier auf eine Lebenswelt, die sich von meiner Alltagsumgebung sicherlich unterscheidet, und Neugier auf die Menschen und Sichtweisen, die sich außerhalb meines bisherigen Horizonts herumtreiben. In diesem Zusammenhang spielt sicherlich auch Fernweh eine große Rolle und im Hinblick auf Vietnam als mein Projektland war der Wunsch, Vietnamesisch zu lernen, ebenfalls von Relevanz.

Ihr Vater gehörte zu den Boatpeople

Wer zu mir nach Hause kommt, wird schnell merken: Die Sprache, die bei mir gesprochen wird, ist nicht immer Deutsch. Meine Eltern kommen nämlich aus Vietnam. Als junge Flüchtlinge nach Deutschland gekommen – mein Vater war einer der sogenannten Boatpeople – lernten sie sich in Hamburg kennen, fanden Gefallen an der Stadt und blieben hier. Mit meinem 17-jährigen Bruder und mir besuchten sie ihre Heimat zwar ein paar Mal, doch meine Erinnerungen an diese Urlaube sind sehr verblasst. Ebenso die Erinnerungen an die Zeit, in der ich scheinbar fließend Vietnamesisch sprach. Irgendwann im Kindergarten hörte es auf – und heute ist es bei uns zu Hause Normalität, dass meine Eltern Vietnamesisch mit mir sprechen, während ich auf Deutsch antworte.

Wie kurios es jedoch sein kann, seine eigene Muttersprache schlechter zu sprechen als Deutsch oder Englisch, fiel mir das erste Mal auf unserer USA-Reise auf. Wir besuchten unsere Verwandten, doch dass ich mit Vietnamesen lieber auf Englisch kommunizierte als in meiner ursprünglichen Muttersprache, fühlte sich falsch an. Und so kehrte ich mit dem Wunsch, Vietnamesisch neu lernen zu wollen, zurück nach Deutschland. Dies ist schon einige Jahre her, aber bisher hat sich an meinen Sprachkenntnissen nichts geändert. Noch immer komme ich in die unangenehme Situation, in Asia-Imbissen die Frage „Nguoi Viet phai không?“ (Du kommst aus Vietnam, oder?) auf Deutsch beantworten zu müssen und somit den Fragenden in Verwirrung darüber zu bringen, ob ich denn tatsächlich Vietnamesin sei.

Durch meinen Einsatz über „weltwärts“ soll sich das nun ändern. „Englisch- und Kulturarbeit“ ist der Titel des Projekts, an dem ich ab September für zwölf Monate teilnehmen werde, und die offizielle Beschreibung meiner zukünftigen Tätigkeiten lässt erahnen, dass es dort viele verschiedene Aufgaben zu erfüllen gibt.

Von der Planung verschiedener Veranstaltungen bis hin zur Betreuung englischer Sprachgruppen – ich bin gespannt, was der Freiwilligendienst so mit sich bringen wird. Noch vier Monate Schule, dann ein paar Monate Pause und dann geht es für mich „weltwärts“. Ob dieses „weltwärts“ aufgrund meiner Herkunft nicht doch ein bisschen so etwas wie „heimwärts“ ist, wird sich sicherlich noch herausstellen, doch bis dahin werde ich weiterhin täglich nach der Schule zum Briefkasten laufen, denn meine Entsendeorganisation hat weitere Informationen per Post angekündigt.