Norderstedt. 286 Vorschläge haben die Bürger für den Doppelhaushalt 2016/2017 abgegeben. Weit weniger als ein Prozent der Bevölkerung machte mit.

Der eine will Tempo 30 auf der Ulzburger Straße durchgängig. Der andere das Lehrschwimmbecken an der Pestalozzistraße um jeden Preis erhalten. Wieder ein anderer macht sich Gedanken um den Standort Norderstedt, wenn der Gewerbesteuer-Hebesatz von 440 Punkten nicht schnell wieder gesenkt wird.

Die Norderstedter Bürger haben gesprochen: Am Freitag endete die Frist für die Eingabe der Vorschläge beim Norderstedter Bürgerhaushalt für den Doppeletat 2016/2017. Jetzt können alle Norderstedter die Ideen ihrer Nachbarn noch bis zum 24. Juli kommentieren und bewerten. Die 50 am besten bewerteten Vorschläge sollen der Norderstedter Verwaltung und Politik zur Prüfung vorgelegt werden. Im Dezember entscheidet die Stadtvertretung über die Umsetzung der Vorschläge.

Es ist der dritte Doppelhaushalt, den die Stadt gemeinsam mit ihren Bürgern gestaltet. Beim letzten in 2013 machten 421 Bürger mit, es wurden 309 Vorschläge, 634 Kommentare und 18.883 Bewertungen abgegeben. Beim ersten Haushalt 2011 beteiligten sich 457 Bürger, sie machten 260 Vorschläge und gaben an die 20.000 Bewertungen ab.

„In diesem Jahr sind die Zahlen etwa auf dem Stand der Vorjahre“, sagt Volker Vorwerk, Soziologe aus Bielefeld und Anbieter des Online-Portals Bürgerwissen.de. Er moderiert den Norderstedter Bürgerhaushalt im Auftrag der Stadt Norderstedt. Bis Freitag sind 286 Vorschläge und etwa 500 Kommentare eingegangen. Die Zahlen der Beteiligung stagnieren also.

Dabei ist es das erklärte Ziel der Stadt, immer mehr Menschen für den Haushalt der Stadt zu sensibilisieren und die Einnahmen und Ausgaben möglichst nahe am Bürgerwillen auszurichten. Und dieses Votum lässt sich die Verwaltung auch etwas kosten: 24.000 Euro fließen in die Organisation des Bürgerhaushaltes.

Volker Vorwerk hatte 2011 gesagt, dass das Verfahren ein Erfolg sei, wenn sich ein Prozent der Stadtbevölkerung – in Norderstedt also 750 Menschen – beteiligen würden. Erreicht wurde diese Zahl bislang nie. Und obwohl alle Seiten den Beteiligungsprozess begrüßen, wird über die Umsetzung doch geunkt. In den Reihen der beteiligten Bürger ist Enttäuschung zu spüren, weil aus deren Sicht zu wenig Vorschläge konkret umgesetzt wurden. Und in der Politik ist oft zu hören, den Vorschlägen mangele es inhaltlich an Substanz, sie seien unrealistisch, bereits umgesetzt oder als nicht machbar ad acta gelegt.

„Diese Probleme treten bei allen Bürgerhaushalten in Deutschland mehr oder weniger auf“, sagt Vorwerk. Grundsätzlich habe das auch mit den falschen Erwartungen auf beiden Seiten zu tun. „Der Bürger ist kein Haushaltsexperte. Man kann nicht erwarten, dass er den Job der Stadtvertretung übernimmt.“ Der Bürgerhaushalt könne nur ein Ventil für den Bürger sein, um eine Idee oder eine Kritik loszuwerden. Vorwerk: „Wenn er dann erfährt: Ist schon erledigt, ist nicht machbar, dann hat das doch auch einen Effekt. Am Ende steht die Transparenz des Verfahrens.“ Die Politik erfahre in jedem Fall, welche Themen den Bürger eigentlich unter den Nägeln brennen.

„Genau deswegen finden wir das Format nach wie vor sehr gut“, sagt Hauke Borchardt, Sprecher der Stadtverwaltung. „Im dritten Jahr hinter
einander ist zum Beispiel die Einrichtung von Kreisverkehren in Norderstedt ein Dauerbrenner im Bürgerhaushalt.“ Stadtplaner und Verkehrspolitiker im Rathaus würden laufend an das Thema erinnert. Der Bürgerwille fließe so in die künftigen Planung ein. Borchardt spricht von einer Kultur der Bürgerbeteiligung, die sich in Norderstedt erst noch voll entwickeln müsse. Nach dem dritten Bürgerhaushalt sei es noch zu früh, die Idee für gescheitert zu erklären. „Wir haben viel Transparenz geschaffen. Die Broschüre zum Haushalt mit allen Zahlen und Daten wird gut angenommen. Mehr Bürger denn je setzen sich mit dem Thema Haushalt in der Stadt auseinander.“

Wer sich die 286 Vorschläge der Norderstedter betrachtet, erkennt, dass es sich eher um eine städteplanerisches Wunschkonzert handelt und nicht um eine fundierte Analyse der nötigen Einnahmen und Ausgaben der Stadt. Verkehrsthemen überwiegen bei den Bürgerinnen und Bürgern: Tempo 50 auf der Schleswig-Holstein-Straße, Verkehrsberuhigung am Falkenhorst und die Kreisverkehre, die erneut an der Stettiner Straße/Friedrichsgaber Weg, auf der Schleswig-Holstein-Straße, Ecke Stormarnstraße und an der Waldstraße, Ecke Ulzburger Straße gefordert werden. Dazu unendliche viele Forderungen nach neuen Schildern, neuen Vorfahrtsregelungen, Sperrungen und erneut einem eigenen Autobahn-
anschluss für Norderstedt.

Bürgerwut bahnt sich im Haushalt auch ihren Weg. Zum Beispiel gegen Hundebesitzer, die ihre Hunde im Wald nicht anleinen und kontrolliert und zur Kasse gebeten werden sollen. Vom Kita-Streik genervte Eltern fordern die Übertragung der städtischen Kitas an freie Träger.

Die Flüchtlingsproblematik spiegelt sich in etlichen Vorschlägen wider. Die meisten davon beschäftigen sich mit der Frage, wie man die während des laufenden Asylverfahrens zur Untätigkeit verdammte Flüchtlinge sinnvoll beschäftigen könnte, etwa mit ehrenamtlicher Arbeit oder gemeinsam mit Bürgern organisierten Projekten. Es gibt allerdings auch Bürger, die glauben, die Stadt müsse den Status der Flüchtlinge schärfer prüfen und diese abschieben, wenn kein Asylgrund besteht – ein Vorschlag in offensichtlicher Unkenntnis der gesetzlichen Grundlagen.

Es gibt aber die Vorschläge, die sich ganz auf die Haushaltssituation der Stadt beziehen. So wird gefordert, mehr Rücklagen für die Erhaltung von Schulgebäuden zu bilden, um teure Folgeschäden zu vermeiden. Ein Bürger setzt sich für die Umsetzung der Parkraumbewirtschaftung rund um das Rathaus ein. Er sieht nicht ein, warum die Beschäftigten der Stadtverwaltung einen „geldwerten Vorteil“ durch kostenlose Parkplätze haben sollten. Es wird auch die Einführung einer Regensteuer und Niederschlagsgebühr gefordert.

Die Stadtwerke und die unter ihrem Dach geführten Eigenbetriebe sind einem Bürger immer noch zu intransparent. Er fordert mehr Einblick in die Bilanzen. Andere Bürger wollen die Kürzung der aus ihrer Sicht üppigen Bezüge der drei Werkleiter der Stadtwerke.

Denkanstöße werden auch gegeben. Die Gründung eines Rates der Religionen fordert ein Bürger, ein anderer will sich für das Anpflanzen eines Bürgerwaldes einsetzen. Die Gründung eines Norderstedt-Hospizes wird angeregt. Radikal ist die Forderung eines Bürgers, die Stadt solle jährlich ihren Überschuss dem Bürger auszahlen – der wisse besser, was er damit anfange.

Alle Vorschläge sind unter www.buergerhaushalt-norderstedt.de nachzulesen.