Bad Segeberg. Winnetou und noch'n Gedicht. Zu Beginn der Aufführung erinnerte das Ensemble an das Wirken von Pierre Brice.

Die Karl-May-Spiele 2015 begannen mit einem nostalgischen Blick zurück. Mit einem Riesenporträt wurde noch einmal an den populärsten aller Winnetou-Darsteller erinnert: Der kürzlich verstorbene Pierre Brice hatte den Segeberger Indianer-Spielen von 1988 bis 1991 zu neuer Popularität verholfen, die bis heute ungebrochen anhält. Ein langer Applaus wurde dem französischen Schauspieler in die ewigen Jagdgründe hinterhergeschickt.

Aber dann wurde es spannend: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig gab den Startschuss für die 64. Karl-May-Saison im Freilichttheater am Segeberger Kalkberg. 7500 Zuschauer verfolgten das Duell zwischen den Guten und den Bösen, erlebten Feuersbrünste, Explosionen, Action-Szenen und humorvolle Einlagen – gewürzt mit Darstellern, die aus vielen TV-Filmen und -Serien bekannt sind. 4,4 Millionen Euro hat die Produktion von „ Im Tal des Todes“ gekostet. Kommen mindestens 200.000 Zuschauer, ist das Geld wieder eingespielt. Die Gefahr eines Misserfolges ist gering: Im vergangenen Jahr wurde mit rund 330.000 Besuchern am Kalkberg ein Zuschauerrekord aufgestellt. Die Karl-May-Spiele sind im Kreis Segeberg längst zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden.

Regisseur Norbert Schultze jr., Bühnenautor Michael Stamp und die Geschäftsführung der Kalkberg GmbH haben auch in diesem Jahr wieder alles getan, um die Massen zu begeistern. Jan Sosniok hat sich als Winnetou-Darsteller etabliert und tritt in seiner dritten Saison endlich so sicher und souverän auf, wie man es sich schon vorher gewünscht hätte. Mit Old Firehand, lässig gespielt von Ralph Bauer, kämpft er gegen das Böse, dass in diesem Stück vor allem vom famosen Joshy Peters verkörpert wird. Er ist der fiese Typ, der im Tal des Todes ein Quecksilberbergwerk betreibt und auch nicht davor zurückschreckt, Old Firehands Sohn Harry zu entführen.

Heinz-Erhardt-Sprüche sorgen für Lachstürme

Dabei ist er im Bunde mit Senorita Miranda, die zunächst Old Firehand und seinem Sohn Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft macht, sich dann aber als Handlangerin des Bösen entpuppt. Barbara Wussow spielt diese Rolle mit viel Temperament und diabolischem Lachen.

Das ist die eine Seite des Stückes. Die andere Seite verkörpert vor allem Patrick L. Schmitz, dessen Rolle des deutschen Dichters Heinz-Egon Winzigmann als Heinz-Erhardt-Parodie angelegt ist – vor den Augen von Erhardt-Sohn Gero und -Enkel Marek, die als Premierengäste zusahen. Zusammen mit Reiner Schöne ist Marek Erhardt auch als Off-Sprecher an der Produktion beteiligt. Viele bekannte Heinz-Erhardt-Sprüche sorgten für Lachstürme: „Ich steh’ hier Cognac - ach nee, rum“ , „Was bin ich doch für ein Schelm“ oder „Noch’n Gedicht“ – alles tausendmal gehört, aber immer noch lustig. Patrick L. Schmitz kennt sich bestens aus: Er ist oft mit einem Heinz-Erhardt-Programm auf Tour.

Nicolas König als trunksüchtiger Häuptling, Dirc Simpson als Sam Hawkins und Harald P. Wieczorek, wie gewohnt in einer Doppelrolle, sind neben Joshy Peters die bewährten Stützen des Ensembles.

Die Premiere wurde bejubelt, weil wieder viel Abwechslung geboten wurde. Allerdings gelang es dem erfahrenen Karl-May-Regisseur Regisseur Norbert Schultze jr. nicht immer, die Räume der riesigen Bühne zu beleben: Zu viel spielte sich im Hintergrund ab, zu wenig in der Arena direkt vor den Zuschauern. Wenn irgendwo aus der Bergwerkskulisse Stimmen erklangen, musste man gelegentlich eine Weile sortieren, um sie den Darstellern zuordnen zu können. Überspitzt wurde das noch, als niemand zu sehen war, weil Dialoge aus dem Inneren des Stollens drangen. Aber das waren Randerscheinungen, die den Erfolg nicht trübten.

Auf der anschließenden Premierenfeier waren nur fröhliche Gesichter zu sehen. Barbara Wussow umarmte Ehemann Albert Fortell, der die Szenen mit seiner Frau per Smartphone aufgenommen hatte, Sohn Nicholas und Bruder Alexander. Jan Sosniok stieß mit Ehefrau Nadine an, SPD-Politiker Ralf Stegner sah dem Treiben amüsiert zu. Heide Simonis blieb der Feier fern, aber sie ließ sich vorher feiern: Von allen prominenten Premierengästen bekam die frühere Ministerpräsidentin den herzlichsten Applaus.

Früher Kinderstar, heute Landwirt

Für viele Kinder ist es ein Wunschtraum, als Darsteller bei den Karl-May-Spielen dabeizusein. In dieser Saison haben Keno Fakhoury, 11, aus Bad Segeberg, Nick Wiese, 12, aus Bordesholm und Theo Seegebrecht, 9, aus Hamburg das Glück: Sie teilen sich die Rolle des Old-Firehand-Sohnes Harry. In jeder Vorstellung steht ein anderer auf der Bühne – bei der Premiere hatte Keno das Glück. Aus manchen Kinderschauspielerin sind später tatsächlich Stars geworden, aber manche Lebenswege verlaufen auch ganz anders.

1988 hatte Marcus Schaper das Glück, beim Casting aus 50 Bewerbern ausgesucht zu werden, um an der Seite von Pierre Brice zu spielen. Er war damals ebenfalls Harry, der Sohn von Old Firehand. Elf Jahre alt war er damals. Ein Jahr später gelang dem kleinen Marcus das Kunststück noch einmal: Weil er in der erste Saison so gut war, wurde er 1989 wieder engagiert. Diesmal spielte er den Indianerjungen „Tokvi Kava“.

Den Hauptdarsteller Pierre Brice kannte der Jungstar aus Garlstorf in der Lüneburger Heide gar nicht – seine Mutter und seine Großmutter dafür umso mehr. „Die fanden es richtig toll, dass ich mit Pierre Brice spielen durfte“, sagt Marcus Schaper heute. Der Karl-May-Star entpuppte sich als netter Kollege, der den Kinderdarstellern hilfreich zur Seite stand. 10.000 Mark Gage bekam Marcus während der ersten Saison, 12.000 Mark für die zweite Rolle, obwohl sie viel kleiner war. „Die wollten mich unbedingt wieder haben, deshalb wurde die Gage wohl erhöht.“

Tatsächlich hatte er anschließend den Wunsch, Schauspieler zu werden. Aber Pierre Brice riet seiner Mutter, den Sohn zunächst etwas Bodenständiges lernen zu lassen. Und so kam es auch: Heute ist Marcus Schaper 38 Jahre alt und Betriebsleiter eines familieneigenen Gutes in Mecklenburg-Vorpommeren. kn

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