Norderstedt rechnet mit 600 statt 300 Flüchtlingen in 2015. Boostedter Erstaufnahme wird am 1. April eröffnet
Kreis Segeberg. „Da haben sich die Zahlen für uns mal eben verdoppelt“, sagt Norderstedts Sozialdezernentin Anette Reinders leicht konsterniert. Statt der erwarteten 300 Flüchtlinge muss Norderstedt in diesem Jahr wohl an die 600 Menschen in Notunterkünften unterbringen. Zumindest wenn die Zahlen stimmen, mit denen das Land seit der Regierungserklärung von Ministerpräsident Torsten Albig offiziell rechnet. Danach werden in diesem Jahr 20.000 Flüchtlinge in Schleswig-Holstein erwartet. Nicht wie vom Bund prognostiziert nur etwa 8400. Kiel bezweifelt die Berechnungen des Bundes. Denn allein im Januar kamen schon 1897 Flüchtlinge in der zentralen Aufnahme in Neumünster an, im Februar bisher über 1000.
Rolf Meenen von der Ausländerbehörde des Kreises Segeberg spricht von einem „rasanten Anstieg“ der Flüchtlingszahlen im Kreis. Von den erwarteten 20.000 Menschen müsse der Kreis Segeberg entsprechend seiner Einwohnerzahl 1900 unterbringen. Noch zu Jahresbeginn war die Ausländerbehörde von 1050 ausgegangen. „Das war schon nicht wenig“, sagt Meenen. 2014 kamen 702 Menschen in den Kreis Segeberg, im Jahr zuvor 327.
Angesichts dieser Zuspitzung in der Flüchtlingsfrage in den Kommunen, spielt die Nachricht, dass am 1. April die ersten Flüchtlinge in das neue Erstaufnahmelager des Landes in Boostedt einziehen werden, eine untergeordnete Rolle. Dieses Datum nannte das Innenministerium, nachdem der Termin bereits zweimal verschoben worden war. Die Kommunen hatten sich von der Unterkunft für bis zu 500 Menschen eine deutliche Entlastung bei der Unterbringung von Flüchtlingen erhofft, weil sie voll auf das Kontingent des Kreises von 1900 Flüchtlingen angerechnet werden soll. Doch angesichts des Flüchtlingsaufkommens im Land und der Prognose, dass Neumünster und Boostedt als Erstaufnahme auf Sicht nicht mehr ausreichen werden und alternative Standorte gefunden werden müssen, stellt das Land diese Kontingentierung infrage. In dem ausgegliederten Teil der Boostedter Rantzau-Kaserne werden am 1.April zunächst nur etwa 50 Flüchtlinge einziehen. Dann werden die ersten drei bis fünf Betreuer ihren Dienst beginnen. Am 15. April soll die Zahl der Flüchtlinge auf 100 steigen. Am 1. Mai sollen es 350 sein. Wann die Vollbelegung mit etwa 500 Menschen erreicht werde, sei noch offen, sagt Thomas Giebeler, Sprecher des Innenministeriums. „Die Einrichtung soll aber sehr zügig aufgebaut werden.“ Der Zeitplan für die Unterkunft war immer wieder ins Wanken geraten, weil die Betreuung der Bewohner nicht sichergestellt war. Eine erste Ausschreibung führte mangels Bewerber zu keinem Ergebnis, sodass ein zweite folgte. Mitte Februar bekam der Kreisverband Neumünster des Deutschen Roten Kreuzes den Zuschlag. „Wir stellen sicher, dass wir frühzeitig genügend Personal haben“, sagt Sven Lorenz vom Kreisverband. 15 bis 20 hauptamtliche Mitarbeiter sollen in dem still gelegten Kasernenteil arbeiten. Das Rote Kreuz stellt beispielsweise Sozialpädagogen, Pädagogen und Erzieher ein.
„Ob wir am Ende in Norderstedt 150 Menschen mehr oder weniger unterbringen müssen, macht jetzt auch keinen großen Unterschied mehr“, sagt Anette Reinders. Denn dem Kreis liegen außerdem bereits mehr als 400 Anträge auf Familiennachzug vor, von Flüchtlingen, die ihre Frauen und Kinder in Sicherheit bringen wollen. „Wir müssen damit rechnen, dass deshalb mehrere Hundert weitere Menschen nach Norderstedt kommen, die untergebracht werden müssen“, sagt Reinders. Da sich das Sozialamt schwer tue, für bereits anerkannte Flüchtlinge reguläre Wohnungen zu finden, sei das eine riesige Herausforderung.
„Alle, die sich im Rathaus mit dem Thema beschäftigen, arbeiten am Limit. Wir können die Situation bewältigen, aber wir brauchen mehr Manpower. Das Land, der Bund, die Kommunen – alle müssen an einem Strang ziehen“, sagt Reinders. Was die Unterkünfte in der Stadt angehe, so wird die Hälfte des neuen Container-Dorfes in Harkshörn bis Mitte März voll belegt sein. Der Umbau des Schulgebäudes Fadens Tannen laufe, bis 1. April können eventuell die ersten Flüchtlinge einziehen. Der Neubau der Unterkunft am Langenharmer Weg werde bis Ende des Jahres fertig, der Neubau einer Unterkunft an der Segeberger Chaussee sei in der Abstimmung mit den Architekten. „Außerdem suchen wir Flächen für weitere Mobilbauten in der Stadt.“
Norderstedt und andere Kommunen fühlen sich alleingelassen, wenn es um die Kosten der Unterbringung geht. Norderstedt bezahlt alleine für den Neubau an der Segeberger Chaussee etwa 1,5 Millionen Euro, für Containermieten 390.000 Euro im Jahr. Kaltenkirchen plant, für 550.000 Euro eine neue Unterkunft für 16 Flüchtlinge zu bauen.
„Nicht nachvollziehbar ist, dass wir mit den Baukosten aufgrund fehlender Bundeszuschüsse alleingelassen werden oder geplante Unterkünfte wie Boostedt wegen Personalmangel nicht oder nicht schnell genug in Betrieb gehen können“, sagt Kaltenkirchens Bürgermeister Hanno Krause. „Ich erwarte deshalb schnellstmögliche finanzielle Entlastungen der aufnehmenden Kommunen, so auch für unsere Stadt beim Bau von Unterkünften in Form von öffentlichen Baukostenzuschüssen.“