Der 20-jährige Podcaster Philipp Riederle und der 66 Jahre alte Journalist und Blogger Michael H. Spreng diskutierten beim Abend der Norderstedter Wirtschaft über Internet, Facebook und Co.
Norderstedt. Das erste Treffen mit der Traumfrau. Der Rotwein leuchtet in den Gläsern, eine Kerze auf dem Tisch, leckere Pasta beim Lieblings-Italiener. Vorsichtiges Abtasten im Gespräch und plötzlich ein verbaler Stromschlag, der vor den Augen auftaucht: „Wenn du sie heute noch mit nach Hause nehmen willst, musst du das Thema wechseln“, lautet der Befehl. Die Datenbrille hat das Gegenüber gecheckt, weiß, was sie mag, was sie unmöglich findet.
Big Data statt Romantik. „Ich finde diese Vorstellung fürchterlich“, sagt Philipp Riederle. Der 20-Jährige ist das Aushängeschild der sogenannten Generation Y – einer Generation, die digital, selbstbewusst und sicher aufgewachsen, gut vernetzt ist und die auf der Suche nach dem Sinn Vieles infrage stellt.
Der Podcaster sitzt beim Abend der Norderstedter Wirtschaft auf dem Podium in der „TriBühne“, um seine Sicht auf die digitale Welt zu präsentieren. Ihm gegenüber hat Michael H. Spreng, 66, Platz genommen, ehemaliger Chefredakteur von „Kölner Express“ und „Bild am Sonntag“, Politikberater, Publizist und Blogger, der mit seinem „Sprengsatz“ im Internet aktuelle Themen aufgreift und kommentiert. Kirsten Kahler vom NDR moderiert die Diskussion vor 380 Gästen.
Beide sehen gleichermaßen Fluch und Segen des Mediums, das für Riederle so selbstverständlich zum Leben gehört wie Schlafen und Essen. „Warum soll ich aus dem Bett steigen, mich in eine Hose quälen und zu einem Laden fahren, wenn ich mich per Smartphone oder PC über ein Produkt vielleicht sogar besser informieren, Preise vergleichen und bestellen kann“, sagt der 20-Jährige. Seine Generation sei einfach unheimlich bequem. Wenn allerdings Mehrwert lockt, beispielsweise eine kompetente Beratung, mache er sich durchaus auf den Weg.
„Das Internet ist wie Papier zunächst neutral. Ich kann die Bibel drucken oder ,Mein Kampf‘. Die Nutzer bestimmen, was im Internet und den sozialen Medien steht“, sagt Spreng. Und doch gebe es einen gewaltigen Unterschied: „Die digitale Kommunikation hat jeden Stil verloren. Die Menschen sind völlig enthemmt, beschimpfen einander, treten Shitstorms wegen Nichtigkeiten los und können ganze Existenzen vernichten“, sagt der Blogger, der von „Schwarmfeigheit“ spricht.
Die Anonymität erlaube den Verlust jeglicher Umgangsformen. „Das ist in gedruckten Medien anders. Wir mussten und müssen uns zu unserer Meinung bekennen, mit Namen und Foto“, sagt der Publizist. Wer in seinem „Sprengsatz“ bloggen will, müsse das mit richtigem Namen tun oder den Klarnamen vorher hinterlegen. So behalte er die Kontrolle über seinen Blog. „Allerdings leben wir sowieso nicht in einer Gesellschaft, in der der Umgang untereinander besser wird“, stellte Spreng fest.
Und die Möglichkeit, sofort den verbalen Stinkefinger zu zeigen, fördere den Mangel an Respekt. Früher habe man einen Brief schreiben, einstecken, frankieren und zum Briefkasten bringen müssen und damit zwangsweise Zeit zum Abkühlen und zum Überdenken gehabt. Da habe sich dann mancher Spontanärger schon wieder relativiert, der Brief sei im Papierkorb gelandet.
Ob E-Mails den Verlust an Höflichkeit befördern, wollte die Moderatorin wissen, weil Mails oft ohne Anrede, einleitende Sätze und persönlichen Gruß formuliert werden. „Das lässt sich so allgemein nicht sagen“, sagte Riederle. Wenn er eine offizielle Mail an einen Professor oder ein Unternehmen schreibe, halte er die Formalitäten ein. Wenn er aber nur ein Teammitglied bitten wolle, ihm einen Kaffee mitzubringen, bleibe es bei der Kurzform.
„Haben sie Facebook-Freunde?“, fragt Kirsten Kahler. Er lehne diese Freundschaften ab, antwortet Spreng: „Ich habe genügend Freunde, und die habe ich noch im analogen Zeitalter erworben.“ Facebook-Freunde sind Menschen aus dem echten Leben, sagte Riederle – Leute, die man vom Job, vom Sportverein oder aus der Schule kennt, und mit denen man sich per Facebook schnell und jederzeit austauschen könne. Der gefragte Referent sieht wie Spreng Vorteile und Risiken von Big Data, dem Rohstoff der Zukunft.
„Wenn mein Kühlschrank leer ist und selbstständig bestellt, gewinne ich Zeit. Wenn Parkplätze in der Stadt, die tagsüber verwaist sind, per Internet vermietet werden, profitieren wir davon“, sagt Riederle. Aber Achtung: „Wir müssen aufpassen, dass wir die Herrschaft über uns nicht an Big Data abgeben. Das wird schon bei der praktischen Frage deutlich, wer denn bestimmt, bei wem der Kühlschrank bestellt.“
„Wir brauchen eine politische Diskussion darüber“, forderte Riederle. Spreng sprach sich für eine „Ethik der Algorithmen“ und schärfere Internet-Gesetze aus. Er geht davon aus, dass es nach der Internet-Euphorie „eine Welle der Internet-Verweigerung“ geben wird. Die Nutzer würden dagegen rebellieren, dass ständig Daten über sie gesammelt werden und Google oder Facebook mehr über sie wissen als sie selbst.