Während sich die Fraktionen der Stadtvertretung um die Einführung einer Baumschutzsatzung streiten, befürchten die Bürger die Gängelung durch die Stadt im Vorgarten – zu Unrecht.
Norderstedt. Ein Anruf in der Redaktion der Regionalausgabe Norderstedt. Die alte Dame am Telefon verliert völlig die Fassung. „Diese drei Eichen in meinem Garten, ich wollte nur ein paar Äste abhacken – und da musste ich schon die Stadt anrufen.“ Sie redet sich in Rage, spricht davon, wie blöd wir Deutschen doch seien, dass wir uns alles verbieten lassen. „Und jetzt kommen uns diese Politiker auch noch mit der Baumschutzsatzung. Dann darf ich gar nichts mehr im Garten. Haben die sonst nichts zu tun? Die Säge sollte ich einfach rausholen und die Dinger wegmachen. Aber ich bin zu alt dafür.“ Dann legt sie grußlos auf.
Nachdem sich in der Stadtvertretung Norderstedt eine Mehrheit für die Wiedereinführung der Baumschutzsatzung in Norderstedt gebildet hat, schwelt der Streit um die Sinnhaftigkeit der Satzung. CDU und FDP lehnen die Satzung vehement ab, sprechen von der Gängelung des mündigen Bürgers im Vorgarten. Die Grünen, die SPD, Die Linke und die Wählergemeinschaft Wir in Norderstedt (WiN) sprechen vom gleichen Recht für alle beim Baumschutz, den die Satzung garantiere.
Und einige Bürger hören nur Baumschutzsatzung und drehen durch: So drohte ein Leser, er wolle lieber seinen kompletten Garten dem Erdboden gleich machen, bevor ihm irgendjemand vorschreibe, was er abhacken dürfe und was nicht – schnell handeln, bevor die Baumschutzsatzung gilt.
Auf der Strecke bleibt die Sachlichkeit. So sieht das auch Reimer Rathje, Fraktionschef der WiN, Neuling in der Norderstedter Politik, unbeleckt von den politischen Grabenkämpfen, die über Jahrzehnte um die Einführung und Aussetzung der Baumschutzsatzung in Norderstedt tobten, und bemüht um Fakten. „Anfangs dachte ich: Die Satzung will ich nicht. Kein Hausbesitzer soll im Vorgarten gegängelt werden. Dann habe ich mich informiert. Jetzt weiß ich, dass meine Einschätzung falsch war.“
Die zur Diskussion stehende Fassung der Satzung stelle grundsätzlich alle Norderstedter Bäume, die in einer Stammhöhe von 1,30 Meter einen Umfang von 80 Zentimeter haben, unter Schutz. „Aber so gut wie alle Weichhölzer, also Birken, Nadelbäume oder Obstbäume, sind von dem Schutz ausgenommen“, sagt Rathje. Das Gute an der städtischen Satzung sei die Abschaffung der bestehenden Ungerechtigkeit in Norderstedt. „Auf Grundstücken mit Bebauungsplan sind Bäume geschützt, und die Besitzer dürfen nicht sägen. Auf Grundstücken ohne B-Plan gilt der Schutz nicht. Das ist verwirrend und ungerecht“, sagt Rathje. „Die Satzung schafft gleiches Recht für alle. Und die Stadt Norderstedt ist der Ansprechpartner für alle Fragen und muss sich kümmern.“
Noch genauer erklären können die Situation Baudezernent Thomas Bosse und seine beiden Grünexperten, Kerstin Zache und Michael Sprenger vom Team Natur und Landschaft. Letztere sitzen gerade an der Überarbeitung der Baumschutzsatzung, die der Politik zur Abstimmung vorgelegt werden soll. „Wer derzeit einen Baum in Norderstedt abhacken will, der muss sich an die Untere Naturschutzbehörde des Kreises Segeberg wenden. Die prüfen nach pflichtgemäßem Ermessen die Erheblichkeit des Eingriffes in die Natur“, sagt Thomas Bosse.
Klingt kompliziert. Bedeutet aber, dass Hausbesitzer – um im Duktus der Kritiker der Baumschutzsatzung zu bleiben – jetzt schon „gegängelt“ werden. Nämlich durch die Landes- und Bundesnaturschutzregelungen, die die Untere Naturschutzbehörde befolgt. Landschaftsbildprägende Bäume dürfen danach ebenfalls nicht einfach abgeholzt werden. Weiche, schnell nachwachsende Gehölze aber durchaus. Doch manche Verstöße gegen den Naturschutz bleiben ungeahndet. Denn die Untere Naturschutzbehörde in Bad Segeberg ist weit weg.
„Eine Baumschutzsatzung sorgt für Klarheit und Rechtssicherheit. Wir als Stadt sind Ansprechpartner. Ganz egal, ob auf einem Grundstück Bebauungspläne bestehen oder nicht“, sagt Bosse. Falls die Politik die Satzung einführt, müsse sich die Stadtverwaltung allerdings auf einen erhöhten Personal- und Zeitaufwand einstellen. „Denn alle Anfragen müssten wir dann prüfen.“ Die Satzung könne aus Sicht Bosses aber für mehr Sensibilität für den Baumschutz in der Stadt sorgen. „Der Deutsche hat ja den Wunsch nach Rechtssicherheit“, sagt Bosse. Und wenn er wisse, dass jeder einen Sägeschein brauche, der einen Baum angeht, dann mache das die Sache eindeutiger. So sei die Rechtslage zum Beispiel in Hamburg, wo die Satzung seit 1948 gelte.
Michael Sprenger und Kerstin Zacher orientieren sich bei der Ausarbeitung der Satzung an der Hansestadt. Norderstedt hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten drei Versionen der Baumschutzsatzung erlebt. Die schärfste Satzung galt bis 2001. Sie schützte pauschal alle Bäume, auch die Weichhölzer. 2001 wurde die Satzung abgeschwächt. Nadelgehölze und Birken wurden ausgenommen. 2004 wurde die Satzung ganz abgeschafft, ehe es 2010 den erneuten Versuch der Wiedereinführung gab. Dieses Mal allerdings in stark abgeschwächter Form, also komplett ohne Weichhölzer.
Die letzte Fassung wird derzeit für die Wiedereinführung diskutiert. „Wir wollen der Stadtvertretung allerdings alle drei Versionen der Satzung vorlegen: Scharf, mittelscharf, sanft“, sagt Bosse. Nach umfangreicher Öffentlichkeitsbeteiligung und der politischen Diskussion könnte die Satzung frühestens zum Frühjahr 2015 in Kraft treten. „Das ist der Fahrplan“, sagt Bosse.
Rathje, das Zünglein an der Waage bei der Abstimmung in der Stadtvertretung, will keiner Satzung zustimmen, die die Situation der Hausbesitzer verschlechtert. „Aber sich von vorne herein jeglicher Diskussion um eine Satzung zu versperren, das ist albern.“