Dem Diakonie-Träger Innere Mission wird vorgeworfen, sozialschwache Mieter aus ihren Wohnungen an der Greifswalder Kehre zu verdrängen. Der Mieterverein geht rechtlich gegen den Vermieter vor.
Norderstedt. Und wieder gibt es in Norderstedt zwei Dutzend günstige Wohnungen weniger. Die Mieter von 24 Wohnungen in den Häuserblocks 15, 17 und 19 an der Greifswalder Kehre in Harksheide haben jetzt per Post mitgeteilt bekommen, was sie die Komplettsanierung des Gebäudes kosten wird. „Und das war für viele ein Schock: Die Miete steigt um 326 Prozent. Hier werden arme Menschen durch Sanierungsmaßnahmen aus ihren Wohnungen verdrängt – wieder einmal“, sagt Kurt Plagemann, Vorsitzender des Norderstedter Mietervereins.
Das pikante an dieser Mieterhöhung: Vermieter und Eigentümer der Wohnungen ist der Landesverein für Innere Mission Schleswig-Holstein, ein Träger diakonischer Einrichtungen im Land, etwa des Psychiatrischen Krankenhauses in Rickling. Ein Verein, der sich seinen christlichen Wurzeln verpflichtet fühlt. Die 24 Ein-Zimmer-Wohnungen hat die Innere Mission am 30. März 2011 von der Stadt Norderstedt gekauft. Weil sie mit durchweg 32,2 Quadratmetern sehr klein sind, seien sie auf dem freien Wohnungsmarkt nicht vermittelbar, begründete die Norderstedter Sozialdezernentin Anette Reinders damals den Verkauf. Die Innere Mission suchte genau solche Wohnungen, um psychisch beeinträchtigte Menschen unterzubringen, die auf dem normalen Wohnungsmarkt keine Chance haben. Die Stadt verpflichtete die Innere Mission per Vertrag, die Wohnungen in den kommenden zehn Jahren nicht zu Eigentumswohnungen umzuwandeln. Von Sanierungen war beim Verkauf nicht die Rede.
Doch schon ein Jahr später, im Oktober 2012, begann die Komplettsanierung. Neue Küchen, neue Bäder, neue Elektroleitungen, neue Heizungsanlage, die energetische Aufwertung. 1.013.960 Euro steckte die Innere Mission in die Häuser. Für diese „Wohnwertverbesserung“ will der Diakonie-Träger nun die laut Gesetz möglichen elf Prozent der Kosten auf die Mieter umlegen. Macht 111.535 Euro jährlich.
Im günstigsten Fall bezahlten die Mieter, darunter viele beeinträchtigte Menschen und Bezieher von Grundsicherung, für ihre knapp 33 Quadratmeter 118,87 Euro Kaltmiete oder 3,69 Euro pro Quadratmeter – bisher. Nach der Umlage kostet die aufgewertete Wohnung 387,37 Euro oder 12,03 Euro je Quadratmeter. „Ein derart drastisches Vorgehen ist mir noch nicht mal von privatwirtschaftlichen Wohnungsbauunternehmen bekannt“, sagt Plagemann. Trotz der Aufwertung blieben die Häuser von der Substanz her sehr alt. „Wenn ich 12 Euro den Quadratmeter zahlen kann, dann suche ich mir was Modernes in guter Lage mit Fußbodenheizung.“ Plagemann kämpft für einige der Mieter gegen die Erhöhung, die aus seiner Sicht voller formaler Fehler steckt und zunächst unwirksam sei. „Die Innere Mission hat die Sanierung nur mündlich angekündigt, zu den Sanierungsmaßnahmen gibt es keine nachvollziehbaren Übersichten. Letztlich muss geklärt werden, was hier bloße Instandsetzung und damit ausschließlich Sache des Vermieters ist.“
Claus vom See, Geschäftsführer der Inneren Mission, bestätigt, dass elf von 24 Mietern der Greifswalder Kehre sich rechtlich gegen die Mieterhöhung wehren. „Doch wir haben uns bei der Sanierung an alle rechtlichen Vorgaben gehalten und die Mieter eingebunden. Die meisten haben den Mieterhöhungen auch zugestimmt.“ In zwei Mieterversammlungen wurden die Sanierungsmaßnahmen angekündigt und die Kosten angesprochen. „Der Zustand der Wohnungen war nicht zeitgemäß. Das wurde auch von den Mietern angemahnt“, sagt vom See.
Als christlich geprägter Träger habe die Innere Mission sehr wohl andere Maßstäbe bei der Bemessung der Kostenumlage angesetzt. „Wir haben die ursprüngliche Miete außer Acht gelassen und die umlegbaren 12,03 Euro pro Quadratmeter nicht aufgestockt“, sagt vom See. Will meinen, rechtlich hätte die Mission einen Quadratmeter-Preis von über 15 Euro verlangen können.
Angesprochen auf die Mieter an der Greifswalder Kehre, die sich jetzt die Wohnung nicht mehr leisten können, antwortet vom See: „Für sie gibt es ja die Möglichkeit, Wohngeld beim Sozialamt zu beantragen. Wir sind zuversichtlich, Lösungen für alle Mieter zu finden.“
Doch Wohngeld, sagt die Sozialdezernentin der Stadt, Anette Reinders, sei nur für Leute mit Einkommen eine Lösung. „Nicht aber für die, die Grundsicherung bekommen.“ Durch die Sanierung werden die Wohnungen an der Greifswalder Kehre zu teuer für Sozialfälle. Die Mietobergrenze inklusive Nebenkosten liegt für Norderstedt bei Ein-Zimmer-Wohnungen bis 50 Quadratmeter bei 359 Euro. Reinders betont, dass der Verkauf der Wohnungen vor ihrer Zeit im Amt beschlossen wurde: „Ich finde, dass ist sehr unglücklich gelaufen. Auch wenn ich die Idee der Inneren Mission honoriere, die Wohnungen für Inklusion nutzen zu wollen.“ Reinders zweifelt an der Rechtmäßigkeit der Mieterhöhung und hofft, dass die Innere Mission die Finanzierung prüfe, etwa auf Staffelungen der Erhöhung über die kommenden Jahre. „Wir müssen es schaffen, dass die Leute in den Wohnungen bleiben können.“
Empört über „die Vergeudung von sozialem Wohnraum“ ist der Vorsitzende des Sozialausschusses der Stadtvertretung, Thomas Jäger (SPD): „Kaum zu glauben, dass sich die Innere Mission bei der Sanierung so verzettelt. Das Vorgehen grenzt an das der Miethaie auf dem privaten Wohnungsmarkt.“