Beim Festival des Norderstedter Live-Club Music Star im Kulturwerk am See in Norderstedt spielten am Sonnabend Stephanie Nilles, die Band New Country Rehab und der Gitarrist Geoff Achison mit seinen Souldiggers

Norderstedt Stephanie Nilles sitzt da oben auf der Bühne des Kulturwerks am E-Piano. Ihre Finger, sie hämmern, sie streicheln, sie drücken mal sanft, mal herrisch die Klaviatur. Dieses zierliche Persönchen, denkt man, woher nimmt sie das? Erzählt Geschichten, so dreckig und düster, wie sie Tom Waits nicht besser ins Mikrofon nölen könnte. Singt plötzlich mit der Grandezza einer Billie Holiday, nur um im nächsten Moment zwitschernd mit lieblichem Tremolo einem Kerl zu erklären: „Liebe mich oder ich töte dich!“. Und wenn sie dann tief in der Melancholie versinkt, den Blues spürt und ihn greifbar macht im Raum, dann denkt man da unten auf den Stühlen des Kulturwerks: Verdammt, wo sind meine Zigaretten, mein Bier und meine vom Leben gezeichneten Genossen, wo ist die Stimmung, die dieser Auftritt verdient?

„Na ja, im Music Star ist das natürlich alles intimer. Und wenn dann jemand auf der Bühne abgeht und mal durchdreht, dann vergisst man das auch so schnell nicht mehr“, sagt Miro Berbig. Der Stadtvertreter der Linken engagiert sich im Verein Music Werkstatt um Music-Star-Macher Wolfgang Sedlatschek. Er ist es, der zwischen den Auftritten des wieder mal komplett kostenlosen Festivals im Kulturwerk den Zuschauern nachstellt und schreit: „Chance aufs Schwein!“, um doch noch ein paar Kröten für die Künstler des Abends, also Stephanie Nilles, die Band New Country Rehab und den australischen Guitar-Hero Geoff Achison und seine Souldiggers zusammenzukratzen. So komplett großartig dieser von den Ehrenamtlichen des Vereins auf die Beine gestellte Abend auch ist, so komplett schade ist, dass der bis auf den letzten Winkel bestuhlte Saal die Stimmung killt. Tanzen, mitgehen, durchdrehen – geht nur auf, aber nicht vor der Bühne. „Die Stühle waren schon drin. Sie abzubauen hätte uns 500 Euro gekostet. Das ist ein wenig zu viel für unseren Verein“, sagt Berbig. Außerdem dürfe nicht vergessen werden, dass viele ältere Zuhörer ganz froh sind, sitzen zu können. Denn über drei Stunden Programm mit drei Bands – das kann schon mal unangenehm auf die Unterschenkelmuskulatur gehen.

Stephanie Nilles, die nur gemeinsam mit ihrem Kontrabassisten Matt Wigton auftritt, ist sicher die Entdeckung an diesem Abend. Die junge Amerikanerin und ausgebildete Pianistin aus New Orleans mischt Blues, Jazz, und, ja, Punk, hinreißend unorthodox und in keiner Sekunde langweilig. Dazu rechnet sie in ihren Texten mit der Absurdität der digitalen Welt und ihrer ewig plappernden Protagonisten ab oder rüffelt die Occupy-Bewegung, sich doch mal um die wirklichen Probleme auf der Welt, nämlich die vor der Haustür, zu kümmern. Eröffnet wurde das Festival von der Band New Country Rehab aus Toronto. Tief verwurzelt im traditionellen Country, den Kopf im Hier und Jetzt. Entspannt erzählen die Kanadier um Frontmann und Geiger John Showman Geschichten von der Liebe, von Sehnsucht und Verlust. Zwischendurch macht Showman seinem Namen Ehre und reizt die Rockattitüde an der Geige so weit aus wie möglich. Showman zeigt sich begeistert von „dear Wulfgang“ und dem Music Star. „Einen unserer Songs habe ich Backstage im Music Star geschrieben.“

Mit Geoff Achinson und seinen Souldiggers kamen die Blues-Rocker des Abends zu ihrem Recht. Achison ist ein alter Bekannter im Music Star, war hier schon diverse Male in verschiedenen Formationen. Der Australier ist Down Under ein renommierter Gitarren-Virtuose und nutzte den letzten freien Abend zum Ende seiner Europa-Tour für einen letzten Gig in Norderstedt. „Steigt ruhig auf die Stühle, wenn ihr tanzen wollt“, hatte Miro Berbig bei der Ansage der Band das Publikum aufgefordert. Doch die meisten blieben dann doch sitzen und verfolgten begeistert, mit wie viel Tempo und Gefühl Geoff Achison seine linke Hand in den Soli über das Griffbrett seiner Gitarre sausen ließ.