Nachts im Garten. Wenn es dunkel wird, bevölkern unerwartete Besucher Rasen und Beete. Und auch manches Drama spielt sich ab. Die Natur macht keine Pause, sie schläft nie

Wenn im „Ersten“ die Tagesthemen laufen und wir dann schlafen gehen, beginnt in naturnahen Gärten das Nachtleben. Dann steppt der Braune Bär im Nachtkerzenschein zur Musik der Nachtigall-Grashüpfer und Hunderte Gammaeulen berauschen sich am Blütennektar. Es sind die Stunden der Jäger und Gejagten, der Genießer und Geplagten, die sich im Schutz der Dunkelheit zur großen Gartenparty treffen.

Etwa eineinhalb Stunden dauert die große Blütenoper der Nachtkerzen, die ihre Pracht im Dunkeln im Minutentakt entfalten. Die gut einen Meter hohen Pflanzen blühen von Juni bis September in sattem Gelb. An traubig angeordneten Blütenrosetten öffnet sich jede Nacht ein neuer Blütenkranz, der in der Dunkelheit leuchtet und verströmt dabei einen aromatischen Duft.

Er lockt Hunderte Nachtinsekten, vor allem Gammaeulen an, die mit auf Hochfrequenz vibrierenden Flügelschlägen die Blütenkelche ansteuern und am Nektar saugen. Dabei bestäuben die unscheinbar grauen Falter mit dem charakteristischen Gamma-Zeichen aus dem griechischen Alphabet auf den Vorderflügeln nicht nur die Blüten, sondern berauschen sich offensichtlich am Duft und Nektar. Doch ein reines Vergnügen ist der Nektarrausch für die Gammaeulen, die eine Flügelspannweite bis 40 Millimeter haben, nicht, denn sie werden im Laufe der Party-Nacht zur begehrten Beute von Fledermäusen wie Abendsegler, Großem Mausohr oder Hufeisennase. Auch die Nachtigall-Grashüpfer, die das Nachtleben mit ihrer Musik unermüdlich begleiten ernten kaum Dank für ihre Umrahmung der Party. Ihr „Gesang“ besteht aus in der Lautstärke anschwellenden Strophen von zwei bis drei Sekunden Dauer und ist für Menschen etwa zehn Meter weit hörbar. Auch für die Blindschleiche, die weder blind noch taub ist. Sie züngelt leise heran und schon ist der Chor der Sänger um eine Stimme ärmer.

Die Blindschleiche (Anguis fragilis), „zerbrechliche Schlange“, wie der Natur-Wissenschaftler Carl von Linné sie taufte, ist allerdings keine Schlange, sondern eine Echsenart mit wunderschönen kupferfarbenen Augen und glänzender Schuppenhaut. Weil die Blindschleiche, die bis zu etwa 50 Zentimeter lang werden kann, bei Angriffen von Fressfeinden ihren Schwanz an bestimmten Sollbruchstellen abwirft, hat sie gute Chancen, ihren Kopf zu retten.

Das Geschehen am Boden interessiert zwei verliebte Beerenwanzen wenig. Sie haben auf einer Pusteblume ungeniert Sex bis zum Morgengrauen. Dann öffnen sie ihre roten Flügen und starten zur Fressorgie in die Blaubeeren. Zu den schillernden Nachtschwärmern und sehr seltenen Gartengästen gehört der Braune Bär, der laut Bundesnaturschutzgesetz als besonders geschützt gilt. Der Nachtfalter, der eine stattliche Flügelspannweite bis zu 6,5 Zentimeter hat, fällt mit seinem Designerkostüm sofort auf. Die braunen Vorderflügel tragen ein weißes großmaschiges Netzmuster. Darunter sind die Hinterflügel in Rotorange, passend zum Kopfhaar, mit großen, schwarz umrandeten blauen Punkten ein echter Hingucker und zweckmäßig zugleich. Denn damit schockiert der Braune Bär Angreifer, um Zeit für den Abflug zu gewinnen.

Wenig beeindruckt von den Musikern oder dem modischen Falter-Schnickschnack zeigt sich die Rötelmaus, die im Schutz der Nacht ans Buffet will, um Früchte, Samen, Spinnen und Würmer zu naschen. Als Mitglied der Wühlmausfamilie ist sie beim Gartenbesitzer oft ebenso unbeliebt wie der Maulwurf. Dabei sind die Samtpelzigen überaus nützliche Insektenvertilger. Mit seinen 44 Zähnen macht der heimliche Einzelgänger aus der Unterwelt Ringel- und Regenwürmern sowie Insekten und deren Larven den Garaus. Nur zur Paarungszeit im März und April kommt der Maulwurf aus seinem Gangsystem, um auf Brautschau zu gehen. In der übrigen Zeit des Jahres werden Artgenossen aus dem rund 2000 Quadratmeter großen Revier aggressiv vertrieben.

Da seine Aushubburgen auf gepflegtem Rasen meist als Ärgernis empfunden werden, wird die Nützlichkeit des flinken Erdwerfers kaum gewürdigt. Je nach Bodenbeschaffenheit gräbt der Maulwurf mit seinen Spatenpfoten bis zu sieben Meter pro Stunde an seinem weitverzweigten System aus Fress- und Fluchtgängen mit zugehörigen Nestkammern, die etwa zehn bis 60 Zentimeter tief liegen. Bei Gefahr, die dem Maulwurf von Menschen, Katzen, Hunden, Füchsen, Eulen und anderen Raubvögeln droht, flüchtet er erstaunlich schnell und schafft rund 65 Meter pro Minute. Am nächtlichen Treiben im Garten beteiligt sich der Samtpelz nicht. Sein feines Gehör registriert alle Geräusche und Vibrationen. Und als wenige Meter neben ihm die Rötelmaus das Opfer einer Kreuzotter wird, verschwindet er in seinem Bau.

Mit ihrem Giftbiss hat die Kreuzotter die Maus zunächst fluchtunfähig gemacht und verschlingt sie nun mit dem Kopf voran. Vorsehen muss sich das Reptil, das zur Familie der Vipern gehört und auf eine Länge von rund 70 Zentimetern heranwächst, vor der Waldohreule, die vom Geäst der hohen Buche die Schlange mit dem Kreuzmuster auf dem Rücken schon im Visier hat. Denn beide, Eule und Schlange, haben Kleinsäuger wie Mäuse bevorzugt auf ihrem Speiseplan. Allerdings hat sich die Sache mit dem Futterneid schnell erledigt, als ein Igel angetrippelt kommt. Die Kreuzotter muss sich schnellstens in Sicherheit bringen und schlängelt sich lautlos in ihr Versteck. Die Schlange wäre ein schöner Leckerbissen für den Igel gewesen. Zum Trost macht er sich schmatzend über eine Schnirkelschnecke her und die Eule, die eine Flügelspannweite bis zu 95 Zentimetern erreichen kann, streicht sachte und ungehört durch die Baumkronen davon.