Günstiger Wohnraum wird vernichtet, kritisiert Die Linke. Wir müssen sanieren, sagt die Baugenossenschaft. Küchen und Bäder würden modernisiert, die Balkone neu gestaltet und zum Teil vergrößert.
Norderstedt. Sie ist Rentnerin mit wenig Geld und befürchtet, dass sie die Miete nicht mehr zahlen kann, wenn die Baugenossenschaft Neue Lübecker die Wohnungen am Friedrichsgaber Weg, die in Norderstedt als Werkswohnungen für die Mitarbeiter von Jungheinrich bekannt sind, saniert hat. Preiswerter Wohnraum werde hier umgewandelt in teure "Neubaumietwohnungen", die sich vor allem alte Menschen nicht leisten könnten. Und sie will anonym bleiben, sich wegen ihres Alters nicht mehr mit emotionalem Stress belasten. Das steht in dem Protestschreiben, dass die Bewohnerin Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote und den Politikern zukommen ließ.
Zum Politikum ist das Thema auch gleich geworden: "Das ist ein weiteres Beispiel dafür, was alle Wohnungsgesellschaften machen: Sie wandeln günstigen in teuren Wohnraum um. Und das machen wir nicht mit", sagt Miro Berbig, Fraktionschef der Norderstedter Linken. Erst kürzlich hatte Jürgen Lange, Fraktionschef der SPD, kritisiert, dass die Norderstedter Baugenossenschaft Adlershorst seit Jahren elf Wohnungen in Harksheide leer stehen lässt. Die Genossenschaft will dort neu bauen, muss aber warten, bis die letzten Mieter ausgezogen sind. Und die sperren sich (wir berichteten).
"Norderstedt braucht eine städtische Wohnungsbaugesellschaft"
"Beide Fälle zeigen doch, dass wir nicht auf die Privatwirtschaft setzen können, wenn wir bezahlbare Wohnungen schaffen wollen. Die Unternehmen müssen Geld verdienen. Wir brauchen eine städtische Wohnungsbaugesellschaft und werden im Herbst einen entsprechenden Antrag stellen", sagt Berbig. Es gehe darum, den relativ alten und günstigen Wohnraum zu erhalten. Es könne und dürfe nicht dazu kommen, dass Menschen mit geringem Einkommen aus der Stadt Norderstedt getrieben werden.
Jürgen Lange hat das Schreiben auch bekommen, kommentiert den Inhalt aber deutlich zurückhaltender: "Wir müssen mit der Neuen Lübecker sprechen und erst mal genau wissen, was da geplant ist." Natürlich dürfe bezahlbarer und seniorengerechter Wohnraum möglichst nicht verloren gehen. Auch die CDU wolle zunächst ermitteln, wie saniert wird und die Mietern voraussichtlich steigen. "Aber den Kern rausbrechen und dann 40 Prozent mehr kassieren, das machen wir auf keinen Fall mit", sagt CDU-Fraktionschef Gert Leiteritz.
Die Mieten sollen nach der Sanierung auf keinen Fall um 40 Prozent steigen
Solch drastische Mieterhöhungen wird es aber nicht geben, verspricht Volker Skroblies, Vorstand der Lübecker Baugenossenschaft. Es sei für ihn völlig unverständlich, wie derart falsche Zahlen in der Öffentlichkeit kursieren könnten.
In den Häusern am Friedrichsgaber Weg, die nach rund 40 Jahren dringend auf den aktuellen energetischen Standard gebracht und modernisiert werden müssten, gehe es um zwei getrennte Vorhaben: Das hohe Haus, bei dem es sich noch nicht um ein Hochhaus handele, werde in der Tat von Grund auf saniert, da treffe der Begriff der Kernsanierung. Die werde aber erst beginnen, wenn alle Bewohner ausgezogen sind. "Wir haben Ende 2011 allen unseren Mitgliedern, die in den 32 Wohnungen leben, das Projekt vorgestellt und darüber Einvernehmen erzielt", sagt der Unternehmensvorstand. Die Baugenossenschaft habe allen Parteien für die Dauer der Arbeiten Ersatzwohnungen nachgewiesen, dieses Angebot sei auch angenommen worden.
Die Grundrisse der Wohnungen sollen aktuellen Wohnanforderungen angepasst und entsprechend verändert werden. Küchen und Bäder würden modernisiert, die Balkone neu gestaltet und zum Teil vergrößert. Fahrstühle werden eingebaut, die Fenster erneuert, die Fassaden gedämmt, all das soll noch in diesem Jahr erledigt sein. In den kleineren Wohnblocks werden nur die Fassaden saniert, diese Häuser bleiben bewohnt.
Die bisherigen Bewohner haben die Option, in ihre Wohnungen zurückzukehren. Nicht zum gleichen Mietpreis, sagt Skroblies, natürlich werden die Mieten steigen. Noch lasse sich nicht sagen, wie hoch die Steigerung ausfallen wird. "Eine Prognose ist auch deshalb kaum möglich, weil es sich um individuelle Mieten handelt, die durchaus voneinander abweichen", sagt der Vorstand der Baugenossenschaft, der sein Unternehmen wie auch die anderen Wohnungsgesellschaften in der Zwickmühle sieht: "Einerseits erlässt der Bund immer strengere Auflagen für die energetische Sanierung, was ja aus Sicht des Klimaschutzes auch sinnvoll ist. Nur können wir die Investitionen nicht alleine Schultern."
Zwar seien Baugenossenschaften nicht primär renditeorientiert ausgerichtet, dennoch müssten sie wirtschaftlich gesund sein und stünden ihren Mitgliedern gegenüber entsprechend in der Pflicht. Im Übrigen könnten Menschen mit schmalem Budget bei der Stadt Wohngeld beantragen. "Doch aus Scham nutzen gerade Ältere diese Hilfe oft nicht", sagt Skroblies.
Die Stadt hat die Baumaßnahmen genehmigt. "Energie einzusparen und den Wohnkomfort zu steigern, das macht Sinn", sagt Baudezernent Thomas Bosse. Die Neue Lübecker habe auch ihm versichert, dass die Mieten auf keinen Fall um 40 Prozent steigen werden.