Norderstedter Frauenhaus feiert 30. Geburtstag. Sieben Sozialpädagoginnen betreuen hier Hilfesuchende
Norderstedt. "Die körperlichen Wunden verheilen, die seelischen nur schwer", sagt Anita Brüning, Leiterin des Frauenhauses in Norderstedt, das seinen 30. Geburtstag feiert und nötiger scheint denn je. "Nach Frauenbewegung und gesellschaftlicher Aufklärung in allen Bereichen klingt es erschreckend, dass wir solche Einrichtungen immer noch brauchen", sagte Segebergs Landrätin in ihrem Grußwort zum Jubiläum. 25 Frauen und Kinder haben in dem Einfamilienhaus Schutz gefunden.
Sie sind Opfer häuslicher Gewalt. So heißt das im Fachdeutsch. Was fachsprachlich so lapidar und abstrakt klingt, als wenn jemand sagt, sie hat in ihrer Familie Schwierigkeiten, bedeutet brutalste Realität. Männer, die ihre Frauen schlagen, treten, gegen die Wand schleudern, einsperren. Nicht immer halten Fäuste die Frauen klein. Auch Worte wirken wie Waffen, wüste Beschimpfungen signalisieren, wer die Macht haben will. Gewalt gegen Frauen ist kein Schichtproblem, zeigt sich bei Hartz-IV-Empfänger genauso wie im Bildungs-Bürgertum, in ausländischen Familien genauso wie in deutschen.
Viele haben nicht gelernt, Konflikte verbal zu bewältigen
"Oft ist Alkohol im Spiel, manchmal Drogen, immer aber das Verlangen, der Stärkere sein zu wollen", sagt Brüning. Viele haben nicht gelernt, Konflikte verbal zu bewältigen. Plötzliche Arbeitslosigkeit, der Mangel an Perspektive erzeugen Frust, der sich dann an den Frauen entlädt. "Sie kocht das Essen, er fegt das mit einem Handstreich vom Tisch und beschimpft seine Frau, die doch alles nur gut machen wollte", sagt die Frauenhaus-Leiterin. Und da weiteren Menschen der Jobverlust droht, könnte auch die häusliche Gewalt zunehmen.
Doch oft dauert es lange, bis die Frauen sich entschließen zu gehen. Heimlich, nur mit den Kindern und ihrem Personalausweis, zitternd stehen sie vor der Tür des Hauses, dessen Adresse nur Eingeweihte kennen und zu dem Männer keinen Zutritt haben. Ihr Selbstbewusstsein haben ihnen die Männer ausgeprügelt, sie kommen mit dem Gefühl, nichts zu taugen, nichts zu sein und nichts zu können.
Sechs bis acht Monate dauert es, bis sich die Frauen gefangen haben
"Aus Scham und Schuldgefühl entwickelt sich eine Spirale, die nach unten führt - bis hin zur Depression", sagt Anita Brüning. Sechs bis acht Monate dauert es durchschnittlich, bis sich die Frauen gefangen, die Opferrolle abgelegt und Widerstandskraft aufgebaut haben. Konfliktfähigkeit ist ein Lernziel im Frauenhaus. In den wöchentlichen Sitzungen lernen die Bewohnerinnen zu sagen, was sie stört. Der Austausch mit anderen ist wichtig. Sie erfahren, dass sie nicht alleine sind, fragen, wie es der anderen geht, drücken die Daumen für den unangenehmen Gerichtstermin. Die Solidarität ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zurück in den Alltag.
Sieben Sozialpädagoginnen betreuen die Frauen und Kinder, die wenig Platz haben und sich meist eines der sieben Zimmer teilen müssen. Enge bestimmt das Leben. Die Küche hat gerade zehn Quadratmeter, hinzu kommen zwei winzige Büros, ein Kinder-, ein Wohn- und ein Turnzimmer sowie ein Garten. "Wir suchen schon seit Jahren ein größeres Haus, das ist aber schwer zu finden", sagt Anita Brüning.
Hilfe bei Behördengängen und bei der Suche nach einer Wohnung
Die Hilfe ist alltagsorientiert. Alle müssen mit anpacken und das Haus sauber halten. Jede Bewohnerin hat eine feste Betreuerin. Sie hilft bei Behördengängen, bei Sorgerechtsfragen, bei der Suche nach einer Wohnung, nach einem Kita-Platz, beim Umgang mit Gerichten. "Therapeutische Arbeit können wir hier nicht leisten", sagt Anita Brüning. Wenige Frauen kommen direkt, die meisten landen über andere Einrichtungen wie die Beratungsstellen und VHS im Schutzhaus, das bekannt und gut vernetzt ist. Auch mit der Polizei klappe die Kooperation gut. Die Beamten bringen Frauen hierher, die akut gefährdet sind. "Früher haben wir uns vor allem um die Frauen gekümmert, jetzt stehen die Kinder genauso im Mittelpunkt", sagt Kristina Klabes, seit 25 Jahren Mitarbeiterin im Frauenhaus. Sie sind oft ebenfalls traumatisiert, ziehen sich völlig zurück oder fallen durch Zerstörungswut auf, durch das Verlangen, andere zu manipulieren, selbst Macht auszuüben.
Selbst wenn sich die Gewalt nicht direkt gegen sie richtet, spüren sie die angespannte und explosive Stimmung. "Sie versuchen, ihre Mutter zu schützen und werden, wie eine Dreijährige in Flensburg, die sich über ihre Mutter geworfen hat, im Extremfall selbst getötet", sagt Susanne Haussmann, 20 Jahre im Frauenhaus. Die seelischen Wunden können wie bei einem kleinen Jungen so tief sein, dass er das Sprechen komplett eingestellt hatte.
Zwei Teilzeitkräfte kümmern sich um die Kinder
"Es braucht einfühlsame und stärkende Arbeit, um aus diesen Kinder selbstbewusste und konfliktfähige Erwachsene zu machen", sagt Kristina Klabes. Sonst bestehe die Gefahr, dass sie selbst Gewalt als Mittel ansehen, sich durchzusetzen. Oder die Persönlichkeit entwickelt so viel Schwäche, dass sie zu Opfern werden. Zwei Teilzeitkräfte kümmern sich um die Kinder, außerdem gibt es eine Jungengruppe.
Wie verarbeiten die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses die Schicksale, mit denen sie über Jahre und jeden Tag konfrontiert werden? "Wir haben gelernt, uns davon zu distanzieren. Es braucht ein stabiles Privatleben, das auffängt, Freunde, Familie und ein gutes Team, das wir hier haben", sagt Anita Brüning. Nur so könne das Ziel erreicht werden, das Kristina Klabes so formuliert: "Wir wollen aus Kindern glückliche Kinder und aus Müttern befreite Menschen machen."