Der Elektroauto-Pionier Sirri Karabag plant in Norderstedt ein in Deutschland einzigartiges Wohnbauprojekt, will zwei Elemente kombinieren.
Norderstedt. Alles begann damit, dass Sirri Karabag, 46, nach Harksheide zog. "Ich liebe das Leben hier. Meine Kinder gehen dort zur Schule. Die Lebensqualität ist perfekt", sagt Karabag, der in Eppendorf aufgewachsen ist und im Norden der Stadt das Grün suchte.
Weil Karabag einer ist, der innovativ denkt und dabei laufend auf gute Ideen kommt, entwickelte er ein Projekt, das einzigartig in Deutschland ist. Eine Siedlung, die sich mit regenerativer Energie versorgt und die Elektroautos als Speicher für den produzierten Strom nutzt. Für Karabags Vision wurde vom Ausschuss für Stadtentwicklung der Aufstellungsbeschluss gefasst: Im Baugebiet 278 Müllerstraße-Süd sollen Bauflächen für 40 Einzel- und Doppelhäuser entstehen. Schon im März oder April 2012 will Karabag im Harksheider Baugebiet am Feldweg ein Einfamilien- und drei Doppelhäuser als Musterhäuser bauen lassen.
Das Auto wird zum mobilen Stromspeicher für den Haushalt
Sirri Karabag wird jetzt also auch noch Bauunternehmer. Obwohl er dazu, wie er sagt, eigentlich gar keine Zeit hat. Karabag ist so etwas wie der Shooting-Star der deutschen Elektromobilität. Der Fiat-Händler von der Stresemannallee in Hamburg-Eimsbüttel verbaute einen von italienischen Ingenieuren entwickelten Elektroantrieb in seiner "Knutschkugel", der Neuauflage des Fiat 500. Nachdem er dafür die TÜV-Zulassung hatte und die Spritpreise gleichzeitig in ungekannte Höhen schnellten, ging seine Idee 2010 durch die Decke. Quasi über Nacht war er zum einzigen ernst zu nehmenden deutschen Hersteller eines Serien-Elektrofahrzeuges geworden und hatte alle großen Autohersteller des Landes überholt. Heute ist Karabag gemessen an den Zulassungszahlen für Elektrofahrzeuge der Marktführer in Deutschland. Er betreibt eine Firma mit mehr als 80 Mitarbeitern, hat eine eigene Entwicklungs- und Schulungsabteilung und produziert seit diesem Jahr eigene Elektrofahrzeuge in mehreren europäischen Karabag-Produktionsstätten. Eine sonnige Karriere hat der Eppendorfer da hingelegt.
"In Norderstedt ist der Ansatz ein ganz anderer: Wie werden wir das teure Auto los und bleiben trotzdem hochmobil?", sagt Sirri Karabag. Der Elektropionier möchte das Problem über die Bi-Funktionalität lösen. Das Auto ist nicht nur Auto, sondern auch ein Energiespeicher auf Rädern. Im Norderstedter "Sonnendorf" sollen Häuser entstehen, die alle eine Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach haben, die im Jahr mindestens 3000 Kilowattstunden Strom produziert. Jeder Bauherr verpflichtet sich, für 29 000 Euro den Karabag Fiat 500e mit seiner Lithium-Polymer-Batterie zu kaufen. Über das Auto wird das Problem der Speicherung der regenerativen Energie gelöst, die im Gegensatz zur herkömmlichen Energie nicht an- und abschaltbar ist. "Überschüssige Energie wird im Auto gespeichert", sagt Karabag. Sie kann dort für die Mobilität genutzt werden oder in der Nacht oder in sonnenarmen Perioden wieder an das Haus abgegeben werden.
Ein Blockheizkraftwerk übernimmt den Löwenanteil der Energieversorgung
Eine Puffer-Batterie mit einer Kapazität von drei Kilowattstunden überbrückt dabei die Zeit, in der das Auto unterwegs ist. Energieautark ist Karabags Projekt nicht. Ein mit Gas betriebenes Blockheizkraftwerk wird den Löwenanteil des Stroms und der Wärme für das Wohngebiet liefern. Wer an der Müllerstraße bauen will, muss sich an das Heizwerk anschließen lassen. Es soll außerdem benachbarte Wohngebiete und die Schule Müllerstraße mitversorgen. Sirri Karabag prüft, ob er das Gas für das Blockheizkraftwerk über eine nass-fermentierten Bio-Gasanlage besorgen kann. Einige Landwirte hätten Bereitschaft signalisiert, die Anlage zu betreiben. Werner Schilling, der mit seiner Immobilien- und Grundstücksgesellschaft das Baugebiet erschließt: "Wir wollten das Projekt gerne komplett energieautark planen. Mit dem Blockheizkraftwerk gehen wir auf Nummer sicher." Biogasanlagen würden zunehmend kritisch gesehen, es sei auf lange Sicht problematisch, sich von ihnen abhängig zu machen. "Das Blockheizkraftwerk bietet zudem für die Hausherren erhebliche Ersparnisse bei Strom und Wärme. Und je mehr Abnehmern dranhängen, desto besser ist der Effekt", sagt Schilling.
Das Auto wird als Bestandteil des Hauses günstig mitfinanziert
Jeder Bauherr kann den Bauträger und Architekten an der Müllerstraße frei wählen. Der Quadratmeterpreis wird bei etwa 260 Euro liegen. "Unter dem Strich ist der Gesamtaufwand für ein Haus in unserer Siedlung um vielleicht 25 000 Euro höher als bei normalen Neubauten. Doch der Mehraufwand amortisiert sich komplett über die Energieeinsparung", sagt Karabag.
Einen weiteren Clou liefert Karabag mit einer Finanzierungsvereinbarung, die er mit der Hamburger Sparkasse erzielt hat. Die Haspa finanziert Häuser und Auto zum günstigen Baufinanzierungs-Zinssatz, das Auto wird damit zum Bestandteil des Hauses erklärt. "Diese Finanzierung ist europaweit einzigartig", sagt Karabag. Norderstedt sei die erste Region in Deutschland, die so ein Wohn-Konzept umsetze. Im Rathaus lief Karabag offene Türen ein. Die Norderstedter Stadtwerke arbeiten selbst an Konzepten, die Fahrzeuge als mobile Speicher von Wind- oder Sonnenenergie nutzen.
Vergangenheit sind mit dem Start des Projektes die Pläne der Sonnendorf GmbH des Norderstedter Architekten Jakob Ripplinger und des Planers Bernhard Luther. Die wollten auf der Fläche an der Müllerstraße auch ein energieautarkes Öko-Dorf für 500 Bewohner entstehen lassen, das sich komplett über Sonnen- und Erdwärme versorgt hätte. Und komplett autofrei gewesen wäre.