Die meisten Rettungswagen im Kreis Segeberg sind durch aufwendige Krankentransporte blockiert. Bei Notfällen müssen Feuerwehren und Freiwillige aushelfen.

Norderstedt. Meistens ist es gegen 11 Uhr soweit, manchmal schon früher: Die Leitstelle Holstein in Norderstedt meldet Land unter. Im Kreis Segeberg stehen nur noch zwei einsatzbereite Rettungswagen bereit - einer in Bornhöved, einer in Kaltenkirchen. "Wenn jetzt etwas Größeres passiert, müssen wir uns was borgen", sagt einer der drei Leitstellen-Disponenten. Das heißt: Die Hamburger Feuerwehr muss mit Rettern aushelfen oder die Nachbarkreise. Und das kann dauern.

Die Leitstelle Holstein nimmt sämtliche 112-Notrufe aus dem Kreis Segeberg entgegen und alarmiert Rettungsdienst und Feuerwehren. Land unter ist hier die Regel, früher war es die Ausnahme. Im Jahr 2005 hatten die Rettungsassistenten 28 912 Einsätze, 2007 waren es schon 33 191. Die Folge: Es wird eng.

Inzwischen haben sich sogar Ehrenamtliche gefunden, die Lücken im Rettungsdienst schließen wollen. "First Responder" - zu deutsch Erstversorgungseinheit - nennen sich diese Retter, die von der Leitstelle Holstein gerufen werden, wenn bei einem lebensbedrohlichen Notfall kein Rettungsfahrzeug schnell genug vor Ort sein kann. Meistens sind beim "First Responder" Feuerwehrleute im Einsatz. Sülfeld machte vor vielen Jahren den Anfang, Bad Bramstedt folgte, vor Kurzem kamen Bornhöved und Wahlstedt hinzu.

"Es scheint knapp zu werden", sagt Matthias Schröder vom Kreis Segeberg, der für den gesamten Rettungsdienst verantwortlich ist. Die Leitstelle Holstein habe ihm mitgeteilt, dass die Kapazitäten nicht ausreichen. "Die Daten sind nachvollziehbar", sagt Schröder und spricht vorsichtig von einer "größeren Auslastung".

Fachdienstleiter Schröder beginnt in diesen Tagen Verhandlungen darüber mit den Krankenkassen. Zwar ist der Kreis Segeberg dafür verantwortlich, dass die Rettung funktioniert. Doch für die Bezahlung sind die Kassen zuständig - egal ob Rettungseinsätze oder Krankentransporte. Diese Fahrten werden in der Leitstelle angefordert, wenn Menschen in Krankenhäuser eingewiesen werden oder spezielle Untersuchungen in Arztpraxen benötigen. Nicht nur die steigende Zahl der Einsätze hat zu Engpässen beim Einsatz der Fahrzeuge geführt, deren Bestand seit 2005 unverändert geblieben ist (siehe Kasten). Besonders die Krankentransporte haben zu unerwartet hohen Belastungen geführt. Fachleute nennen dafür mehrere Gründe:

Als die Gutachter 2005 errechneten, wie viele Autos erforderlich sind, haben sie nicht die Pausenzeiten der Zwei-Mann-Besatzungen berücksichtigt

Keime, die die Patienten am Körper tragen, setzen die Fahrzeuge zeitweise außer Gefecht. In den vergangenen drei Jahren stieg die Zahl der sogenannten Infektionstransporte von 168 pro Jahr auf mehr als 700 pro Jahr. Die Zahl steigt weiter rasant. Nach den Fahrten müssen die Autos zeitaufwendig desinfiziert werden. Sie fallen zwei bis drei Stunden aus.

55 bis 60 Minuten dauerte im Jahr 2005 ein Krankentransport in der Regel, heute sind es 70. Das liegt daran, dass immer mehr Krankenhäuser sich zu Verbünden zusammenschließen. Patienten werden von einer Klinik für eine Spezialuntersuchung oder eine Verlegung nicht mehr zum nächstgelegenen Krankenhaus gefahren, sondern zum weit entfernten Vertragspartner.

Ähnliche Kooperationen haben Krankenhäuser und Arztpraxen abgeschlossen. Ein Bespiel: Für einen Patienten aus Henstedt-Ulzburg wird eine Röntgenpraxis in Pinneberg angefahren, nicht etwa im näheren Norden Hamburgs.

Zurück nach Norderstedt: Während die Disponenten in der Leitstelle mühsam nach Fahrzeugreserven Ausschau halten und pausenlos die Notruftelefone klingeln, rollen alle Wagen. Das Fahrzeug mit dem Funknamen "Rettung Segeberg 90/83/1" hat eine der typischen langen Touren erwischt. Um 9.50 Uhr hat die Besatzung einen Patienten in der Kardio-Praxis in Norderstedt abgeholt, fährt ihn nach Kaltenkirchen und startet nach Bad Bramstedt durch, um dort einen Patienten für die Hamburger Uni-Klinik aufzunehmen. Drei bis vier Stunden dauert die Tour von "Rettung Segeberg 90/83/1". Zwischen 13 und 14 Uhr werden die Kollegen zurück erwartet.

Um 12.15 laufen vier Notrufe aus dem Kreis Segeberg gleichzeitig auf: ein Schlaganfall, ein Krampfanfall und zwei Unfälle. "Jetzt müssen wir Kollegen aus der Pause holen", sagt ein Disponent. Gern macht er das nicht: Manche Schichten auf den Fahrzeugen dauern immerhin zwölf Stunden. "Da müssen die Kollegen auch mal was essen oder auf Klo." Wenn jetzt ein Krankenhaus, ein Altenheim oder eine Praxis um einen Krankentransport bittet, lautet die Standardantwort: "Das kann dauern."

Am Krankenhaus Heidberg trifft die Besatzung von "Rettung Segeberg 90/82/2" Kollegen aus Kaltenkirchen. Die Norderstedter haben eine Frau nach einem Sturz von der Leiter eingeliefert. Die Kaltenkirchener haben weite Wege hinter sich - Krankentransporte nach Kaltenkirchen, Neumünster, Henstedt-Ulzburg und jetzt Hamburg. Geld sind mit diesen Fahrten nicht zu verdienen: Gerade mal 29,50 Euro kostet ein Krankentransport. Ausgeglichen werden die Defizite durch den teuren Rettungsdienst.

Beim KBA fragten Privatpatienten beim Blick auf die Rechnung schon, ob sich jemand vertippt habe.