71 Männer und Frauen aus der Kaserne in Boostedt versorgen das deutsche Kfor-Kontingent. Die Norderstedt-Redaktion des Abendblatts hat sie besucht.
Boostedt. Unten im Stadtzentrum von Prizren ruft ein Muezzin zum Gebet. Oben auf den Bergen herrscht selbst im Frühsommer noch Winter, im Tal lähmt die Hitze. "Frühling gibt es hier nicht", sagen die Soldaten. Die Sonne brennt auf die einstige Kaserne der jugoslawischen Volksarmee, in der seit dem Ende des Kosovo-Krieges Soldaten der Nato-geführten Kosovo Force (Kfor) wohnen und arbeiten. Hinter der mit Stacheldraht, Betonpfeilern und Wachtürmen schwer gesicherten Zufahrt, stehen die Werkstatthallen. Auf dem Dach weht die Schleswig-Holstein-Flagge.
1200 Bundeswehrsoldaten sind in dem kleinen unruhigen Balkanstaat Kosovo im Einsatz, davon 600 im deutschen Hauptquartier in Prizren. Die Flagge haben die 71 Männer und Frauen aus der Rantzau-Kaserne in Boostedt gehisst. Vor der Eingangstür der Stabs- und Versorgungskompanie in Prizren steht ein Original-Ortsschild von Neumünster, der Patenstadt des Boostedter Instandsetzungsbataillons 166.
Zur Uniform trägt er Badelatschen, in denen Bundeswehrstrümpfe stecken
Gemeinsam mit den Spezialisten des Logistikbataillons aus Boostedt sorgen die Soldaten vier Monate lang und 1900 Kilometer von ihren Familien entfernt dafür, dass Geländewagen und Panzerfahrzeuge rollen, Trinkwasser und Lebensmittel pünktlich in den kleinsten Standorten ankommen und dass jeder Soldat stets saubere Wäsche zur Hand hat. Die Männer und Frauen aus Boostedt fahren keine Patrouille und sind nicht an den Plätzen im Einsatz, wo Serben und Kosovaren einander feindselig gegenüberstehen. Die Boostedter stellen gemeinsam mit 213 Kameraden aus anderen Bundesländern sicher, dass diese Arbeit erledigt werden kann - mit genug Diesel im Tank und ohne knurrenden Magen.
Raus aus den Werkstätten und Büros kommen die Instandsetzer und Logistiker selten. Nur zu dritt und bewaffnet dürfen sie das Camp verlassen, meistens fehlt ihnen die Zeit. Nur am Sonntagvormittag und nachts haben die Soldaten frei. Sie leben zu zweit oder zu dritt in einer kleinen Stube. "Das klappt, wenn man Rücksicht nimmt", sagt der 42 Jahre alte Hauptfeldwebel Oliver Müller (alle Namen aus Sicherheitsgründen geändert). Nach Feierabend zieht er die Stiefel aus. Zur Uniform trägt er Badelatschen, in denen die dicken Bundeswehrstrümpfe stecken. An der Wand über dem Bett hat der Fußball-Fan einen HSV-Schal gehängt.
"Wehe, wenn die Wäschesäcke verwechselt werden!"
23 Jahre dient Müller schon bei der Truppe. Der gelernte Bürokaufmann, der seit sechs Jahren in Boostedt stationiert ist, sorgt tagsüber am Computer dafür, dass die deutschen Soldaten mit dem Material versorgt sind, das sie benötigen - vom Radiergummi bis zur schweren Waffe.
Abends öffnet Müller sein Notebook, startet wie fast alle Soldaten das Internettelefon Skype und spricht kostenlos mit seiner Frau und den vier Kindern. "So ein Einsatz im Ausland gehört zum Job", sagt Müller. Worauf freut er sich zu Hause am meisten? "Auf die Familie - und auf einen schönen großen Mettklüten oder frischen Spargel."
"Hier muss man sehr sorgfältig arbeiten", sagt Marvin Meier aus Kaltenkirchen. Wehe, wenn die Wäschesäcke verwechselt werden . Jeden Morgen um 7.30 Uhr beginnt sein Dienst in der Wäschereiannahme. Durch ein Fenster reichen die Soldaten einen wasserdurchlässigen Sack mit ihrer schmutzigen Kleidung hinein. Das Reinigen übernimmt eine Firma in Prizren, die grundsätzlich bei 60 Grad wäscht und bei 90 Grad trocknet. Dass er im Kosovo im Einsatz ist, wissen Marvins Freunde. Dass der junge Soldat in einer schlichten Wäscherei arbeitet und keinen spannenden Job bei den Einsatzkräften an den Brennpunkten hat, würde er allerdings nicht herausposaunen, sagt er. Doch Meier ist sicher, dass auch sein Job wichtig für die Kameraden ist: "Wehe, die Wäscherei funktioniert nicht!"
Ein Kosovo-Albaner mit bayerischem Akzent
In der Halle von Silvio Abraham stehen ein Wasserwerfer der Militärpolizei (Feldjäger) und ein Lastwagen. Auf einem Lehrgang in Deutschland hat der 31-jährige Hauptfeldwebel und Kfz-Mechatronikermeister erfahren, dass er kurzfristig die Leitung einer Werkstatt mit drei Mitarbeitern im deutschen Feldlager in Prizren übernehmen muss. Vom Panzer bis zur Motorsäge wird hier alles repariert, was die Kameraden draußen brauchen.
Die Trennung falle ihm und seiner Frau nicht leicht, aber: "Sie hat mich als Soldat kennengelernt", sagt Abraham. "Sie wusste, worauf sie sich einlässt." Schwierig war die Aufgabe, dem siebenjährigen Sohn Papas lange Abwesenheit zu erklären. Abraham sagte, dass er in ein Land reisen werde, in dem ein Krieg geherrscht habe. Jetzt müssten deutsche Soldaten aufpassen, dass es keinen neuen Streit gebe. "Das hat er verstanden", sagt Abraham.
Wenn der Kosovo-Albaner Afrim Morena den deutschen Soldaten Jörg Johannsen mit einem herzlichen "Grüß dich!" begrüßt, klingt ein bayerischer Akzent durch. Morena hat in Deutschland studiert, kehrte nach dem Krieg in seine Heimat zurück und eröffnete am Stadtrand von Prizren eine offizielle Mercedes-Vertragswerkstatt. Sogar die Fliesen wurden aus Deutschland eingeflogen, damit sich der Kunde hier genauso fühlt wie in einer Filiale in München oder Oslo.
Der 35-jährige Hauptfeldwebel Johannsen gehört zu den wichtigsten Kunden Morenas. Bis zu 50 Prozent der Kfor-Fahrzeuge werden in zivilen Werkstätten repariert. Der Soldat und Kfz-Sachverständige Johannsen holt die Kostenvoranschläge ein und überprüft, ob die Werkstatt fehlerfrei gearbeitet hat. Im Kosovo kosten die Originalersatzteile ein wenig mehr als in Deutschland. Dafür liegt der Stundenlohn bei nur 24 Euro. 13 Werkstätten stehen bei der Kfor unter Vertrag und bangen jedes Mal, wenn die Nato eine weitere Truppenreduzierung ankündigt.
Johannsen gehörte 1999 zu den ersten deutschen Soldaten, die ins Kosovo einmarschierten. "Damals war es für mich unvorstellbar, dass ich in diesem Land jemals einen Mercedes-Vertragshändler treffen würde", sagt der 35-Jährige.
An seinem Arbeitsplatz muss Thomas Jürgens ohne Tageslicht auskommen. In einem mit Messgeräten, Werkzeugen und Platinen vollgestopften Container repariert der Hauptfeldwebel Elektrogeräte. "Funkgeräte und andere Einsatzmittel", erklärt der Familienvater, der oft mit den Gedanken zu Hause ist. Zwei Auslandseinsätze hat der Berufssoldat bereits hinter sich. "Meiner Frau merkt man die Belastung jedes Mal an", sagt Jürgens. So gut es geht, helfen die Schwiegereltern in der Heimat aus. Ab 20 Uhr wird abends geskypt.
Ihr erster Auslandseinsatz besteht aus 80-Stunden-Wochen
"Nimm dir lieber ein paar Bücher mit", hatten Freunde Mandy Paulsen geraten, als die 28-Jährige in den Kosovo startete. Doch bis kurz vor dem Ende ihres Auslandseinsatzes hat die Disponentin noch keine einzige Seite gelesen. Ihr erster Auslandseinsatz besteht aus 80-Stunden-Wochen. Einmal hat Paulsen an einer organisierten Fahrt durch die Region teilgenommen. "Ansonsten komme ich hier nicht raus", sagt die Soldatin, die sich für zwölf Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet hat und täglich am PC Waren für die deutschen Truppen disponiert.
Mandy hat eine Ausbildung zur Arzthelferin absolviert und ging vor vier Jahren zum Bund. Ob sie sich in sechs Jahren für eine Karriere zur Berufssoldatin entscheidet, hat sie noch nicht entschieden: "Irgendwann werde ich mit der Familienplanung beginnen, dann sehen wir weiter."
In der kommenden Woche lesen Sie eine Reportage über zwei Soldaten, die auf maroden Straßen in den Bergen des Kosovos unterwegs sind.