Harburg. Vor fünf Jahren ging der Konditormeister in den Ruhestand. Doch seinen legendären Baumkuchen und Hanseatenstollen backt er auch heute noch selber.
Er kann es einfach nicht lassen. Auch mit 79 Jahren nicht. Vorsichtig hebt Dierk Eisenschmidt das in Zellophan gewickelte Gebäck aus der dunkelblauen Schachtel, streicht sanft über das rote Etikett, auf dem in goldenen Buchstaben sein Name steht: Eisenschmidt. Ein Duft von Rosinen, Vanille, Ingwer, Marzipan, Rum und Kardamom verteilt sich im Raum. „40 Hamburger Hanseatenstollen habe ich gestern gebacken und eingewickelt“, sagt er. „In jedem stecken 20 verschiedene Zutaten. Was besseres gibt’s nicht.“ Das edle Gebäck will Eisenschmidt am Sonntag verkaufen, wenn er im Freilichtmuseum am Kiekeberg zu Gast ist. Mehr noch: Der Konditormeister wird vor den Augen der Besucher seinen köstlichen Baumkuchen backen. 20 Schichten dick, bis zu einem Meter lang.
120 Eier, drei Kilo Butter, 1500 Gramm Zucker und sechs Pfund Mehl und Weizenpuder sowie etliche Gewürze braucht der Konditormeister für drei Walzen à einen Meter Länge. Eisenschmidt nimmt die Herausforderung gelassen. Schließlich hat er seit seinem 16. Lebensjahr nichts anderes gemacht als sich mit feinem Gebäck und edlen Torten zu befassen. 1964 eröffnete er in der Bremer Straße seine erste Konditorei, beschäftigte zwischenzeitlich 32 Mitarbeiter in fünf Geschäften und gab erst vor fünf Jahren aus Altersgründen die letzte Dependance an der Julius-Ludowieg-Straße auf. Die Hände in den Schoß gelegt hat er seitdem allerdings nicht.
Hanseatenstollen, Pralinen und Baumkuchen gehören zu seinen Spezialitäten
Noch immer ist der ehemalige Obermeister des Hamburger Konditorenhandwerks als Vollversammlungsmitglied in der Handwerkskammer Hamburg aktiv. In seiner hauseigenen Küche stellt er feinste Pralinen mit Harburg-Wappen her, regelmäßig nutzt er die Backstube eines Kollegen in der Schanze für die Produktion seines Hanseatenstollen und wenn er die Chance dazu bekommt, backt er Baumkuchen. Zuletzt stand er mit seinem übe 300 Grad heißen Spezialofen im Verkaufsraum der Bäckerei Wedemann im Großmoorbogen. Jetzt geht es zum Kiekeberg.
„Die Herstellung von Baumkuchen gilt als Königsdisziplin im Konditorhandwerk“, sagt Dierk Eisenschmidt, der als einer der Wenigen seiner Zunft dieses Handwerk noch beherrscht. „Das Geheimnis des guten Geschmacks ist die Zusammensetzung der zehn Zutaten. Ich habe sie seit über 60 Jahren nicht verändert.“
1956 backte er seinen ersten Baumkuchen. Da war Eisenschmidt 16 und im ersten Lehrjahr seines Traumberufs. „Ich wollte immer Konditor werden“, sagt er. „Seit dem Tag im Jahr 1944, als ich mit meiner Mutter in Harburg von Bunker zu Bunker zog und in der Amalienstraße plötzlich diesen Duft von frisch gebackenem Kuchen in der Nase hatte.“ Schon damals sagte seine Mutter: „Junge, du wirst Konditor. Dann wirst du nie frieren und nie hungern.“ So kam es, dass der gebürtige Harburger am 19. Mai 1964 als damals jüngster selbstständiger Konditoreimeister Deutschlands seine erste Konditorei eröffnete. 1976 folgte die Eröffnung der „Conditorei Café Eisenschmidt“ in der Julius-Ludowieg-Straße. Doch so gut wie in den 1960er und frühen siebziger Jahren lief das Geschäft nie mehr. „Damals haben die Leute noch gern geschlemmt“, sagt er. „Jeden Sonntag habe ich 25 Torten verkauft.“ Das Geschäft lief, sieben Tage die Woche. Und es forderte seinen Tribut. Das Familienleben blieb auf der Strecke.
Seinen Baumkuchen lieferte er zeitweise bis nach Japan
Bereut hat er seinen Weg dennoch nie. „Ich liebe meinen Beruf“, sagt er. Auch deshalb denkt er noch immer nicht ans Aufhören. Auch wenn er Sorge hat, dass es mit 80 schwieriger werden könnte, die Hände irgendwann nicht mehr so mitmachen, wie er sich das wünscht. Glücklicherweise lässt ihm sein Terminkalender kaum Zeit, über das Altern nachzudenken. Jeden Tag gegen halb zehn steht die erste Verabredung an. Dann trifft sich Eisenschmidt mit ein paar anderen Harburger Urgesteinen zum Kaffee an der Julius-Ludowieg-Straße, dort, wo er selbst Jahrzehnte gewirkt hat. Und wo er - kurioserweise - auch seine ersten Lebenswochen verbracht hat. Ich wurde im Krankenhaus Maria Hilf geboren, das sich damals in der Knoopstraße befand“, sagt er. „Bei Bombenalarm wurden die Kinder in den Bunker gebracht, der sich direkt unter meiner späteren Backstube befand.“ Schon komisch, irgendwie sei er aus Harburg nie wirklich weggekommen, sagt er. Sein Baumkuchen hingegen schon. Bis nach Japan lieferte der Konditormeister zeitweise sein legendäres Schichtgebäck, das dort Kult ist. Die Kommunikation mit den Asiaten war für den Ur-Harburger ganz einfach. Denn Baumkuchen heißt auf japanisch „Baumukühen“.
Baumkuchen
Der Baumkuchen wird auch als König der Kuchen bezeichnet, da seine Herstellung außergewöhnlich aufwendig und kompliziert ist.
Der Teig wird in mehreren Schichten auf einer rotierenden Walze gebacken. Das Konstrukt ähnelt einem horizontalen Dönerspieß. Früher geschah das über Holzfeuer, heute gibt es dafür speziell konstruierte Backapparate.
Jedes Mal, wenn eine neue dünne Schicht hinzugefügt wird, karamellisiert der Teig, so dass der fertige Teig viele ringförmige Schichten aufweist - wie die Jahresringe bei einem Baumstamm.
Durch eine besondere Technik beim Auftragen der einzelnen Teigschichten, der Formung etwa mit einem Holzkamm, erhält der Kuchen eine wellenförmige Kontur, es bilden sich Ringe.
Nach Entfernen des Spießes kann die Kuchenrolle in Portionen geschnitten werden. Dabei sind ein bis zu fünf Ringe üblich.
Die lange Backzeit macht den Baumkuchen sehr haltbar und ermöglicht dadurch den Export auch nach Japan und in die USA.
Im Freilichtmuseum am Kiekeberg stellt Konditormeister Dierk Eisenschmidt von 11 bis 17 Uhr köstliche Baumkuchen vor den Augen der Besucher her. Beginn ist zehn Uhr. Bestellungen für Stollen nimmt der Konditormeister unter Tel. 0172-450 34 27 entgegen.