Die Stilllegung deutscher Atomkraftwerke eröffnet Energiewerken neue Perspektiven. Die Erfolgsaussichten bei Aufträgen verbessern sich.
Lubmin. Für die bundeseigenen Energiewerke Nord (EWN) in Lubmin eröffnen sich durch die Stilllegung der deutschen Atomkraftwerke neue Perspektiven. Der Atomausstieg verbessere die Erfolgsaussichten bei Aufträgen aus der privaten Atomwirtschaft, sagte der Vorsitzende der EWN-Geschäftsführung, Henry Cordes, am Dienstag. Es gebe Anfragen zur Zusammenarbeit und auch Versuche, erfahrene Mitarbeiter abzuwerben. Die Anfragen beträfen Ingenieure, Strahlenschutzwerker und Fachkräfte im genehmigungstechnischen Bereich. Eine Neuorientierung der EWN, die das Zwischenlager in Lubmin betreiben, ergebe sich auch aus der Tatsache, dass der Rückbau der DDR-Atomkraftanlagen weitgehend abgeschlossen sei, sagte Cordes.
So übernehmen die EWN Cordes zufolge das Endlagermanagement für den schwach- und mittelradioaktiven Abfall von öffentlichen Einrichtungen. „Wir werden die Prozesse von öffentlicher Seite leiten, um die Einlagerung der schwach- und mittelradioaktiven Materialien in den Schacht Konrad zu koordinieren“, sagte er. Die EWN als Entsorgungsdienstleister des Bundes erarbeiteten derzeit zusammen mit der privaten Atomwirtschaft, dem Betreiber von Schacht Konrad und dem Bundesamt für Strahlenschutz ein Einlagerungskonzept für das unterirdische Endlager in Niedersachsen. In dem Konzept werde exakt kalkuliert, welche Mengen wie und wann eingeliefert werden sollen. Die EWN sind mit 25 Prozent an der Betreibergesellschaft von Schacht Konrad beteiligt.
290 000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Abfall seien für das Endlager vorgesehen. Davon gehörten 110 000 Kubikmeter der öffentlichen Hand, allein 80 000 dem Bund. Noch steht nicht fest, ob das Endlager wie geplant 2015 in Betrieb gehen kann. „Wir brauchen Klarheit, wann das Endlager Schacht Konrad geöffnet wird“, forderte Cordes. Mit der Öffnung des Endlagers wäre den Bewohnern in Vorpommern auch leichter vermittelbar, dass Atommüll in größeren Mengen aus Lubmin abtransportiert werde. Grüne und Linke werfen den EWN vor, das Zwischenlager in Lubmin zu einem faktischen Endlager ausbauen zu wollen.
Nach Auffassung des EWN-Managers werden der zeitliche Rahmen und die konkreten praktischen Konsequenzen, die sich aus dem Atomausstieg ergeben, noch weitgehend unterschätzt. „Wir stehen in Deutschland vor einem sehr langwierigen, sicherheitstechnisch und administrativ anspruchsvollen Prozess.“ Der Rückbau aller AKW werde über das Jahr 2050 hinaus andauern. Unklar sei dann immer noch die sichere Endlagerung der Kernbrennstoffe. „Man darf sich keiner Illusion hingegeben, dass mit dem Atomausstiegsbeschluss die Welt sofort von heute auf morgen anders aussähe“, sagte Cordes.
Der Bundesbetrieb EWN könne als „operativer Begleiter“ beim Rückbau von Kraftwerken helfen, sagte Cordes und verwies auf das von seinen Mitarbeitern über Jahre erworbene Wissen im Genehmigungs- und Strahlenschutzmanagement. Schließlich hätten die EWN in den vergangenen 20 Jahren das Atomerbe der DDR erfolgreich abgewickelt. „Wir wissen, was wann zu tun ist, wo man welche behördlichen Zustimmungen braucht und wie die Unterlagen auszusehen haben“. Zudem sei der Bund darauf angewiesen, dass seine Behörden hoch professionell agierten. Der EWN-Manager warnte davor, den Kompetenzerhalt allein der privaten Atomwirtschaft zu überlassen.
Die EWN sind mit ihren rund 830 Mitarbeitern und 30 Auszubildenden in Lubmin der größte Arbeitgeber. „Das Unternehmen generiert allein in Lubmin eine Brutto-Lohnsumme von rund 60 Millionen Euro im Jahr.“ Die Bedeutung der EWN für regionale Wirtschaftskreisläufe und den Handel in der Region um Greifswald und Usedom dürfe nicht unterschätzt werden. „Das muss auch die Landespolitik anerkennen“, sagte Cordes. Gleichwohl sieht sich der Betrieb künftig nicht mehr als dominanter Arbeitgeber am Ort. Ein Teil der EWN-Beschäftigten arbeite inzwischen in Drittprojekten an anderen Orten Deutschlands oder im Ausland wie in Litauen, Tschechien oder der Ukraine.
Die Vermarktung des früheren AKW-Standortes wollen die EWN nach und nach in die Hände Dritter wie den Regionalverbänden legen. „Die Standortvermarktung ist nicht Kernaufgabe des Bundes“, sagte Cordes. Er wünsche sich für Lubmin „dringend einen starken Anker-Investor“, möglichst ein Energieunternehmen als Betreiber eines Gaskraftwerkes. In Lubmin landet die Ostsee-Pipeline Nord Stream an, über die ab Herbst 2011 russisches Erdgas nach Deutschland geliefert werden soll.
Das Interesse des russischen Gaskonzerns Gazprom an einer engeren Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen bei der Stromerzeugung rückt nach Ansicht von Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) auch den Standort Lubmin wieder mehr in den Focus. „Ich sehe das Interesse von Gazprom sehr positiv. Davon kann auch Mecklenburg-Vorpommern profitieren“, erklärte Sellerig am Dienstag in Schwerin. „Wir wollen, dass in Lubmin moderne Gaskraftwerke entstehen“, betonte Sellering. Diese würden gebraucht, um die Energiewende zu schaffen. Bislang haben sich Energiekonzerne zwar die Rechte für den Bau von Kraftwerken in Lubmin gesichert, Entscheidungen stehen aber noch aus.