Das Interview mit Niedersachsens neuem Agrarminister Gert Lindemann. Er soll das Vertrauen der Verbraucher in die Agrarbranche zurückgewinnen.

Hannover. Ende April ist Niedersachsens neuer Agrarminister Gert Lindemann 100 Tage im Amt. Keine leichte Zeit, denn der 63 Jahre alte Jurist hat eine schwere Aufgabe übernommen: Er soll das Vertrauen der Verbraucher in die durch Dioxin-Skandal und Tierquälerei in die Kritik geratene Agrarbranche zurückgewinnen.

Herr Minister Lindemann, Sie sind im Januar als „Profi mit Reformwillen“ angetreten, der das Vertrauen in die niedersächsische Landwirtschaft stärken will. Angesichts der jüngsten Strafanzeige gegen den Cloppenburger Mastputenbetrieb – wie wollen Sie Ihr Ziel erreichen?

Lindemann: „Ich habe den Tierschutzplan diese Woche veröffentlicht und die Eckpunkte erläutert. An meiner Absicht, den Tierschutzplan Schritt für Schritt bis 2018 umzusetzen, hat sich also nichts geändert. Aber: Wir werden auch in Zukunft nicht zu 100 Prozent ausschließen können, dass schwarze Schafe gegen das geltende Tierschutzgesetz – im Übrigen ein Bundesgesetz – verstoßen. Fest steht: Die Rechtsverstöße müssen geahndet werden und Konsequenzen haben. Es gibt effektive Sanktionsmöglichkeiten, die die Landkreise konsequent nutzen müssen.“

Glauben Sie immer noch, dass die Tierquälereien kein systemimmanentes Problem der Massentierhaltung sind? Müssen angesichts immer neuer „Einzelfälle“ keine grundlegenden Reformen folgen?

Lindemann: „Die Landkreise nehmen ihre Kontrollfunktion ernst, das System funktioniert. Auch in dem von Ihnen angesprochenen Fall hat der Landkreis Anfang April Mängel festgestellt, die Verstöße exakt dokumentiert und anschließend geprüft, wie der Fall zu ahnden ist. Im Übrigen dokumentieren die Landkreise auch Verstöße in landwirtschaftlichen Betrieben mit kleinen Tierbeständen. Das ist zwar offenbar weniger medienwirksam, aber deswegen nicht weniger verwerflich.“

Tierquälerei, Dioxin, Tierquälerei – das Agrarland Niedersachsen kommt nicht zur Ruhe. Muss hier die Politik nicht an strengeren Regeln interessiert sein, mehr Transparenz schaffen, etwa durch unabhängige Kontrollen?

Lindemann: „Die Kontrollen, die von den Landkreisen durchgeführt werden, sind unabhängig und wirksam. Die Kontrollen müssen vor Ort koordiniert, gesteuert und umgesetzt werden, diese Aufgabe könnte das Ministerium von Hannover aus nicht leisten. Zu Ihrer Frage nach den strengeren Regeln: Dass ich mit den Rahmenbedingungen in einigen Bereichen der Tierhaltung nicht zufrieden bin, ist kein Geheimnis, und ich habe das bereits mehrfach deutlich gemacht. Deshalb habe ich den Tierschutzplan auf den Weg gebracht, und deshalb werden wir ihn nun Schritt für Schritt umsetzen.“

Bei welchem Thema mussten sie bislang Versäumnisse einräumen?

Lindemann: „Etwa beim Vorwurf, dass bei Tierschutzverstößen des Unternehmens Lohmann die Behörden schneller hätten handeln können. Dem Landkreis Cuxhaven hätte das Ministerium zu einem früheren Zeitpunkt massiver auf die Füße treten können. Ich habe mit den Mitarbeitern meines Hauses darüber gesprochen, dass sie früher hätten aktiv werden sollen.“

Bei ihrem Tierschutzplan mit dem Ziel, das Kürzen von Schnäbeln bei Legehennen und Puten zu beenden, stoßen sie auf Kritik der Verbände. Wie schwierig ist das Projekt?

Lindemann: „Das ist dick, das Brett. Es wird an der ein oder anderen Stelle auch dazu führen, dass mal die Fetzen fliegen. Aber ich habe in Richtung aller Verbände gesagt, ich möchte sie in die engagierte Debatte hineinziehen. Aber wenn sich ein Verband einem Kompromiss verweigert, stellen wir die Arbeit nicht ein. Dann machen wir das eben ohne diese Verbände.“

Warum sperrt sich Geflügelwirtschaft?

Lindemann: „Dahinter steckt die Sorge, dass es negativen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit der Tierhaltung haben könnte. Das darf man nicht aus dem Auge verlieren. Aber Defizite bei der Tierhaltung dürfen wir aus wirtschaftlichen Gründen nicht einfach hinnehmen. Ich akzeptiere aber auch, dass Umstellungen etwa bei Zuchtlinien mehrere Jahre dauern können.“ (dpa)