Medizin-Informatiker Peter Kaatsch spricht über die Zusammenhänge von Krebserkrankungen bei Kindern und dem Atommüllager Asse.
Remlingen. Im Umfeld des Atommülllagers Asse bei Wolfenbüttel ist die Zahl der Blut- und Schilddrüsenkrebs-Erkrankungen deutlich angestiegen. Medizin-Informatiker Peter Kaatsch ist Leiter des Deutschen Kinderkrebsregisters in Mainz und hat die Verteilung von Erkrankungen in Deutschland bei Mädchen und Jungen genau untersucht. Zumindest für Kinder gilt: Es gibt nicht nur eine einzige Ursache bei Krebserkrankungen und die Häufungsverteilung in Deutschland ist rein zufällig, wie er im Gespräch mit Lisa Krassuski (dpa) betont.
Krassuski: Wie viele krebskranke Kinder gibt es in Deutschland?
Kaatsch: „Es erkranken pro Jahr etwa 1800 Kinder an Krebs. Ungefähr ein Drittel der Fälle sind Blutkrebs, ein Fünftel Hirntumore und ein Achtel Lymphdrüsenkrebs. Bei Kindern im Vorschulalter ist die Erkrankungsrate ungefähr doppelt so hoch wie bei Schulkindern. Im Durchschnitt bekommen zudem Jungen häufiger Krebs als Mädchen. Auf ein erkranktes Mädchen kommen ungefähr 1,2 betroffene Jungen.“
Hat sich die Zahl der Erkrankungen in den letzten Jahren verändert?
Kaatsch: „Ja. Weltweit stellt man fest, dass Krebs bei Kindern kontinuierlich leicht zunimmt. Seit es die ersten Krebsregister gibt, also ungefähr seit den 50er-Jahren, ist eine Zunahme der Krebserkrankungen bei Kindern in den industrialisierten Ländern zu verzeichnen. Darüber sind sich auch die Wissenschaftler einig.“
Weiß man auch etwas über die Ursachen?
Kaatsch: „Das ist sehr schwierig, denn Kinderkrebs ist selten. Von 100.000 unter 15-jährigen Kindern erkranken pro Jahr etwa 14 an Krebs. Das heißt, wenn es in Deutschland 1800 Erkrankungen pro Jahr gibt, dann sind darunter vielleicht 80 Knochentumore. Statistisch ist es bei so geringen Fallzahlen sehr schwer, Ursachen zu finden. Generell muss man jedoch sagen, dass es nicht eine alleinige Ursache für Krebs gibt, sondern verschiedene Faktoren zusammenspielen.“
Gibt es in Deutschland bei der Häufigkeit von Kinderkrebs regionale Unterschiede?
Kaatsch: „Die gibt es fast nicht. Wenn wir in unseren Jahresberichten die Häufigkeitsverteilung als Landkarte darstellen, dann sieht die immer wie ein Flickenteppich aus. Natürlich gibt es Regionen mit höheren Erkrankungsraten und welche mit niedrigeren, das ist einfach die natürliche statistische Schwankungsbreite. Aber es gibt keine Region, wo die Landkreise mit erhöhten Erkrankungsraten zusammenliegen. Das ist, als ob man zufällig Perlen streut – in manchen Landkreisen häufen sich die Erkrankungen, in manchen nicht.“
Könnte es einen Zusammenhang zwischen dem Atommüll in Asse und den gehäuften Krebserkrankungen in der Nähe des Lagers geben?
Kaatsch: „Generell weiß man durch Ereignisse wie Hiroshima, dass ionisierende Strahlung Leukämien und Schilddrüsenkrebs hervorruft. Man hat zum Beispiel nach dem Tschernobyl-Unfall festgestellt, dass auch bei Kindern die Zahl der Schilddrüsenkrebsfälle sehr stark angestiegen ist. Aber nicht in Deutschland, sondern nur in der unmittelbaren Umgebung des Kernkraftwerks Tschernobyl. Bei einer erhöhten Strahlenbelastung treten Leukämien und Schilddrüsenkarzinome am ehesten gehäuft auf.“