Schweizer Toxikologe glaubt, dass ein Mossad-Kommando den Politiker vergiftet hat. Justiz prüft, auf der Kleidung nach DNA-Spuren zu suchen
Kiel/Tel Aviv. Israel hat Spekulationen um die Ermordung des früheren Kieler Regierungschefs Uwe Barschel durch den Geheimdienst Mossad zurückgewiesen. „Es gibt keine Basis, auf der man den Fall mit Israel in Verbindung bringen kann“, sagte Außenamtssprecher Jigal Palmor am Montag. Es stehe Deutschland allerdings frei, den Fall neu aufzurollen. „Wir können den deutschen Behörden nicht sagen, was sie zu tun oder zu lassen haben“, sagte Palmor.
Der CDU-Politiker war am 11. Oktober 1987 tot in einer Badewanne des Genfer Luxushotels Beau Rivage gefunden worden – nach einem skandalösen Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein, in dessen Verlauf der Referent Reiner Pfeiffer aus Barschels Staatskanzlei heraus mit schmutzigen Tricks gegen den SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm agierte. Viele Fachleute gehen von einem Suizid Barschels aus, die Todesumstände wurden aber nie zweifelsfrei geklärt.
Der Schweizer Toxikologe Prof. Hans Brandenberger hatte in einem Beitrag für die „Welt am Sonntag“ über sein neues Gutachten in dem Fall Barschel geschrieben. Die chemischen Analysedaten stimmten bis in Details mit einem angeblichen Mordablauf überein, den der ehemalige Mossad-Agent Victor Ostrovsky in einem Buch schildere.
Auf den Beitrag folgten Forderungen nach einer neuen Untersuchung des Falls. Als mögliches Mordmotiv war in der Vergangenheit über angebliche Verstrickungen Barschels in Waffengeschäfte spekuliert worden. Laut Ostrovsky soll Barschel Kenntnis von angeblichen Rüstungsgeschäften Israels mit dem Iran gehabt haben, die über Schleswig-Holstein abgewickelt worden seien. Der israelische Außenamtssprecher Palmor beschrieb Ostrovsky jedoch als extrem unglaubwürdig: „Die Hälfte von dem, was er sagt, sind Lügen, und die andere Hälfte sind Erfindungen.“
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Neue Mordspekulationen um Uwe Barschel
Im Todesfall Uwe Barschel gibt es zwei neue Ansätze. Zum einen prüft das Kieler Justizministerium, ob die Kleidung des 1987 gestorbenen Ministerpräsidenten auf DNA-Spuren untersucht wird. Zum anderen will das Ministerium klären, ob an neuen Mordspekulationen des Schweizer Toxikologen Hans Brandenberger etwas dran ist, die er in der "Welt am Sonntag" geäußert hatte. Experten wie der frühere Barschel-Chefermittler Heinrich Wille reagierten gestern skeptisch. "Wir werden einen Täter nicht mehr dingfest machen können."
Der CDU-Landtagsabgeordnete Werner Kalinka hat die Hoffnung nicht aufgegeben. Der Politiker, der wie Brandenberger und Wille nicht an einen Selbstmord Barschels glauben mag, hat Kiels Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos) um eine DNA-Recherche gebeten. "Wir müssen auch die kleinste Chance nutzen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen", sagte Kalinka dem Abendblatt. Deshalb müssten die Kleidung Barschels und weiteres Material untersucht werden. Die Beweismittel aus dem Genfer Hotel, in dem Barschel in der Nacht zum 11. Oktober 1987 starb, liegen in der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft Lübeck.
Das Justizministerium bestätigte den Eingang des DNA-Antrags. "Der Minister hat das zur Bearbeitung ins Haus gegeben", sagte Sprecher Oliver Breuer dem Abendblatt. Unklar ist, ob der Fund fremder DNA-Spuren die Aufklärung des mysteriösen Falls voranbringen würde. Mögliche Spuren könnten vom Hotelpersonal oder früheren Gästen stammen. Zudem fehlt es an Vergleichsmaterial aus dem Personenkreis, den die Mordtheoretiker im Visier haben. Mitarbeiter von Mossad, CIA, BND oder der früheren Stasi dürften kaum freiwillig zu einem Speicheltest erscheinen.
Noch dürftiger ist die zweite neue Spur, die der Toxikologe Brandenberger in der "Welt am Sonntag" legte. Demnach flößten Killer dem bewusstlosen Barschel in dem Genfer Hotel nicht nur wie bisher spekuliert über einen Magenschlauch eine tödliche Dosis eines Schlafmittels ein, sondern verabreichten ihm danach "rektal" auch das starke Beruhigungsmittel Noludar. Aufgrund der "Komplexität des Mordgeschehens" geht der 89-jährige Professor davon aus, dass "ein Profiteam" am Werk gewesen sein müsse.
Das Kieler Justizministerium reagierte gelassen auf die Mordgeschichte. "Wir werden gucken, ob es wirklich neue Ansatzpunkte gibt", sagte Breuer. Skeptisch äußerte sich auch Ex-Chefermittler Wille. Der frühere Leiter der Staatsanwaltschaft Lübeck bezeichnete die Thesen Brandenbergers gegenüber dem Abendblatt "etwas gewagt".
Wirklich neu daran ist nur die Spekulation über ein nachträglich verabreichtes Beruhigungszäpfchen. "Ob das wirklich zielführend ist, kann ich nicht beurteilen", sagte Wille. Dazu müssten andere Wissenschaftler die Ergebnisse Brandenbergers prüfen. Im Zentrum steht dabei das Noludar. Reste des Wirkstoffes wurden bereits Mitte der 90er-Jahre in Barschels Urin nachgewiesen, ohne dass einer der Gutachter, darunter Brandenberger, dafür eine Erklärung liefern konnte.
Des Rätsels Lösung will der Schweizer erst vor Kurzem gefunden haben, in einem bereits 1994 erschienenen Buch des früheren israelischen Geheimagenten Victor Ostrovsky. Er berichtete in seinem Thriller von einem Mossad-Kommando, das Barschel betäubt, mit Medikamenten abgefüllt und schließlich zur Sicherheit auch noch ein Zäpfchen verabreicht haben soll. Diese Schilderung stimme "erstaunlich gut" mit den realen Wirkstoff-Analysen überein, so Brandenberger.
Fakt ist, dass der Schweizer Toxikologe im Fall Barschel schon mehrfach für Schlagzeilen sorgte und im Kreis der Gutachter mit seinen Thesen eine Minderheitenmeinung vertritt. Das gilt insbesondere für seine Grundannahme, dass Barschel bereits im Koma lag, als er die tödlichen Medikamente erhielt. Eine Mehrheit der Wissenschaftler geht davon aus, dass der CDU-Politiker selbst einen Mix aus Medikamenten schluckte, sich so nach seinem falschen Ehrenwort in der Kieler Affäre und seinem Rücktritt als Ministerpräsident das Leben nahm.