Einen Brand wie diesen hatten selbst gestandene Kieler Feuerwehrleute noch nicht erlebt. Nicht nur Explosionen und bis zu 30 Meter hohe Feuersäulen empfangen die Einsatzkräfte in der Nacht zu Freitag im Nordhafen der Stadt...

Kiel. Über den Boden erstreckt sich ein brennender See aus 70.000 Litern Paraffin, das sich unaufhaltsam seinen Weg zum Ufer des Nord-Ostsee-Kanals bahnt und selbst im Wasser zunächst weiter brennt. Innerhalb weniger Stunden wird die Anlage zur Paraffinverarbeitung am Rand der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt vollständig zerstört, nur mit Hilfe mehrerer Löschboote können knapp 350 Einsatzkräfte das Feuer kurz vor einem riesigen Öltank stoppen.



„Ohne die Löschboote hätten wir die Flammen nicht aufhalten können“, sagt Feuerwehr-Einsatzleiter Norbert Grave. Immer wieder müssen seine Leute auch am Freitagmorgen noch Glutnester löschen. Rauchschwaden ziehen über das Gelände hinweg. Das Paraffin, aus dem unter anderem Kerzen hergestellt werden, hat sich langsam wieder abgekühlt, nun sieht der Boden aus wie mit weißem Wachs überzogen. Überall im Wasser schwimmen erstarrte Paraffin-Brocken wie Eisberge herum, die von Feuerwehrleuten und THW-Helfern mit Äxten und Schaufeln zerteilt und dann mit bloßen Händen in kleine Boote gezogen werden. Erst am Mittag, fast zwölf Stunden nach dem ersten Alarm, wird der Kanal wieder für die Schifffahrt freigegeben.


Die Anwohner haben Glück. Nur einer von ihnen wird leicht verletzt, berichtet die Polizei, außerdem ein Feuerwehrmann. Im Umkreis von einem Kilometer und bis hinüber auf die andere Kanalseite wurden Wohnhäuser zur Sicherheit geräumt. Welchen Schaden das Feuer angerichtet hat, ist noch unklar. Neben der Anlage selbst wurden ein benachbarter Fähranleger und die Kaimauer zerstört, außerdem ein Teil der Feuerwehrausrüstung, die nicht mehr rechtzeitig vor den Paraffin- Bächen in Sicherheit gebracht werden konnte. Auch die Feuerwehrleute selbst mussten ständig ihre Positionen wechseln, erzählt Grave. Das Paraffin habe extreme Hitze und starken Rauch verursacht.


Die Menschen an beiden Kanalufern, die von den Explosionen aus dem Schlaf gerissen wurden, glaubten zunächst an ein Gewitter. Dem Sirenengeheul folgend, versammelten sie sich schließlich zu Hunderten mit Fotoapparaten auf den Straßen. „So etwas habe ich noch nie im Leben gesehen“, erzählt Svetlana Sianko, die in einer Straße oberhalb des Ufers wohnt. Das Feuer habe sich rasend schnell ausgebreitet. „Irgendwann bekamen wir richtig Angst.“ Den Rest der Nacht habe sie bei Freunden in sicherer Entfernung verbracht. Auch Harry Göllner wohnt in der Nachbarschaft und ist ebenfalls am Morgen zurückgekehrt, um zu sehen, was das Feuer noch übrig gelassen hat. „Die Trümmer sind ja bis da herüber geflogen“, erinnert er sich und zeigt auf eine Wiese auf der anderen Straßenseite.


Zur Brandursache konnten die Einsatzkräfte am Freitag noch keine Angaben machen. Laut Feuerwehr hatte ein Anwohner wegen eines brennenden Müllcontainers Alarm geschlagen, bei der Polizei ging dagegen ein Notruf von der auch nachts besetzten Kanalschleuse ein. Für die Umwelt ist das ausgelaufene Paraffin den Angaben zufolge ungefährlich. Vielen Anwohnern jedoch ist nun bewusst, in welcher Gefahr sie selbst jahrelang gelebt haben: „Man wusste ja gar nicht, was das da unten überhaupt war“, sagt Göllner.