Eingesperrt in Verliesen, vermittelt zur Zwangsarbeit - es geschah vor 50 Jahren. Jetzt werden Fehler eingeräumt.

Hannover/Hildesheim. Die Kinder mussten Stockschläge, sexuellen Missbrauch und Zwangsarbeit erleiden. Etliche durften nicht zur Schule. Die Diakonie in Niedersachsen hat gestern die Misshandlung und den Missbrauch von Kindern in kirchlichen Heimen in den 50er- und 60er-Jahren eingeräumt. "Es gibt die Situation, dass Übergriffe in einigen Heimen keine seltene Ausnahme bildeten", sagte Diakoniedirektor Manfred Schwetje.

Die Diakonie versuche seit einem Jahr, die damalige Lage in den Heimen der evangelischen Kirche zu dokumentieren. Von einer systematischen Misshandlung könne aber keine Rede sein, aus etlichen Heimen gebe es keinerlei Berichte von Missständen, so der Diakoniedirektor. Über Hilfen für die Betroffenen solle nach Abschluss der Studie 2009 entschieden werden. "Ich denke, dass eine Entschuldigung Teil eines Gesamtprozesses sein wird."

Die Vorwürfe sind nicht neu: Die Interessengemeinschaft misshandelter und missbrauchter Heimkinder hatte erstmals 2004 mit der Schilderung ihrer Leiden in staatlichen und kirchlichen Heimen zwischen 1950 und 1970 für Aufsehen gesorgt. "Es herrschte militärischer Drill", erinnerte sich ein ehemaliges Heimkind. "Wir wurden wie Sklaven gehalten", so ein anderes.

Hannovers Landesbischöfin Margot Käßmann gab den Anstoß zu der Dokumentation über die Missstände in niedersächsischen Heimen. Auch die katholische Kirche befasse sich auf Bundesebene mit der Problematik, erklärte Caritas-Experte Stefan Witte. Untersuchungen im Bistum Hildesheim hätten allerdings keine großen Missstände aufgedeckt.

Die Diakonie hat in Niedersachsen ihren langjährigen Mitarbeiter in der Erziehungshilfe, Hans Bauer, mit der Studie beauftragt. Seine Nachforschungen in den etwa zehn Fürsorgeheimen im Bereich der hannoverschen Landeskirche ergeben ein düsteres Bild. Fliesen hätten mit Zahnbürsten geputzt werden müssen, Kinder seien tagelang in fensterlose Verliese eingesperrt worden, sagte er in einem Interview im Diakonie-Jahresbericht 2008. "Damit muss die zentrale Frage bejaht werden, ob auch in Heimen des Diakonischen Werkes bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen Misshandlung und Schikane stattgefunden haben."

Bauer nimmt auch Jugendämter und Heimaufsicht in die Verantwortung, die von den Zuständen, wie der Vermittlung der Kinder zu Arbeitseinsätzen, gewusst hätten. "Hier wird die Mitverantwortung der Jugendbehörden besonders deutlich, schließlich profitierten sie von den niedrigen Pflegesätzen."