In Morsleben und Asse muss der Abfall 100 000 Jahre sicher verwahrt werden. Doch die Probleme sind enorm.

Morsleben/Helmstedt. Der Unterschied könnte größer nicht sein: Wann immer in der Bundesrepublik in den vergangenen 40 Jahren Standorte für atomare Endlager diskutiert wurden, gingen die Anwohner auf die Barrikaden. Alle Projekte wurden begleitet von einer Flut an Klagen. Als sich die DDR 1970 daranmachte, ein Endlager zu bauen, lief das anders. Die Pläne wurden sechs Wochen lang im Rathaus von Morsleben ausgelegt. Dann schickte der Bürgermeister artig einen Brief an die Staatsführung in Ost-Berlin: Einsprüche habe es erwartungsgemäß nicht gegeben, seine Gemeinde würde sich über Kindergarten und Mehrzweckhalle freuen. Die Wünsche wurden erfüllt. Der Kindergarten aber ist heute das Informationszentrum direkt am Endlager. Hier können Besucher nachvollziehen, wie schwierig und teuer es ist, die radioaktiven Altlasten über 100 000 Jahre sicher zu verwahren.

Morsleben liegt in Sachsen-Anhalt, kaum einen Kilometer von der Grenze zu Niedersachsen entfernt. Die Stollen des ehemaligen Salzbergwerks reichen sogar bis unter die niedersächsische Stadt Helmstedt. Als mit der Einheit das Endlager an die Bundesrepublik fiel, wurde das anfangs als Glücksfall betrachtet. Ein eigenes genehmigtes Endlager gab es im Westen nicht, westdeutsche Kernkraftwerksbetreiber karrten von da an ihren radioaktiven Müll nach Morsleben. Insgesamt 36 750 Tonnen schwach und mittelstark strahlende Abfälle sind dort heute in rund 500 Meter Tiefe deponiert. Erst im Jahr 1998 wurde die Einlagerung gerichtlich gestoppt, die neue rot-grüne Bundesregierung schloss sich dann diesem Schritt an.

Das Bundesamt für Strahlenforschung (BfS) mit Sitz in Salzgitter führt seither Regie bei dem Versuch, die Stilllegung nach dem hohen Anspruch des Atomgesetzes zu realisieren. Der radioaktive Müll muss so sicher eingeschlossen sein, dass über 100 000 Jahre jede Gefährdung von Mensch und Natur ausgeschlossen ist. Das aber ist deshalb so schwierig, weil die DDR-Führung bei der Konzeption des Endlagers genau den gleichen Fehler machte wie fast zeitgleich die Bundesrepublik. Beide Länder wählten ehemalige Salzbergwerke als Lagerstätten - das Versuchsbergwerk Asse in Niedersachsen liegt keine 40 Kilometer Luftlinie von Morsleben entfernt (war nur von 1967 bis 1978 in Betrieb). Die Salzstöcke beider Bergwerke sind durch den vorangegangenen Abbau von Millionen Tonnen Steinsalz durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Damit aber steigt die Gefahr dramatisch, dass Flüssigkeit in die Lagerstätten eindringt und die Radioaktivität dann ins Grundwasser aufsteigt. Der zweite systemüberschreitende Fehler: Sowohl in Asse wie in Morsleben wurden ausgerechnet die stärker strahlenden Abfälle nicht etwa in Fässern gelagert, sondern in Hohlräumen abgekippt, als handele es sich um Hausmüll. Diesen Müll zurückzuholen ist schwierig, würde die Bergleute kaum kalkulierbarer Strahlung aussetzen. Dritte dramatische Gemeinsamkeit: Beide alten Bergwerke drohen einzustürzen, weil sie von riesigen Hohlräumen durchzogen sind.

Weswegen das in Morsleben federführende Bundesamt für Strahlenschutz nun Hunderttausende von Tonnen Salzbeton, eine Mischung aus Zement, Asche und Salz, in die gefährdeten Schächte und Stollen einbringt. Das kostete bereits über 100 Millionen Euro mit dem einzigen Ziel, Zeit zu gewinnen. Im Jahr 2011 soll der Plan für die Stilllegung besiegelt werden. Danach soll die unvorstellbare Menge von mehr als fünf Millionen Tonnen Salzbeton eingebracht werden, um den Atommüll zuverlässig abzuschließen. Zeitrahmen dafür: weitere 15 Jahre. Geschätzte Gesamtkosten: zwei Milliarden Euro.

Mögen die Morslebener skeptisch sein, die Menschen in der Region Wolfenbüttel mit Asse schauen neidisch: In ihrem Bergwerk ist die Standsicherheit nur bis 2014 gewährleistet, und noch ist nicht klar, ob die Zeit reicht, einen vergleichsweise anspruchsvollen Schließungsplan zu realisieren. Anders als in Morsleben gibt es bereits Wassereinbrüche, und die Einflussmöglichkeiten der Bürger sind gering: Weil das Versuchsbergwerk in der Regie des Bundesforschungsministerium betrieben wird, gilt nicht das strenge Atomrecht, sondern Bergrecht mit eingeschränkter Mitsprache.