Er schafft es nur zweimal im Monat nach Nordstrand. Doch diese Zeit genießt er. Beim Kochen, Schnacken und Spazierengehen.

Nordstrand. Nordseeluft macht hungrig! Doch die spontane Idee, bei Elke im "Blinkfüer" auf ein Pfund Bratkartoffeln einzukehren, wird nach Blick in den Kühlschrank verworfen. Als Alternative präsentiert Peter Harry Carstensen eine selbst geräucherte Regenbogenforelle, greift nach einem großen Küchenmesser, beginnt lustvoll mit dem Filetieren. "Fett ist ein Geschmacksträger", philosophiert der Ministerpräsident. Aus der wahrlich nicht schlecht bestückten Speisekammer hat er zuvor Landbrot, frisch geschlagene Butter sowie Buttermilch auf den Tisch des Hauses gestellt.

Nichts gegen Elke Carls uriges Fischlokal im Husumer Hafen, aber wo könnte es schöner sein als hier auf der Veranda? Mit Blick auf Weiden, Deiche und urige Vegetation in Elisabeth-Sophien-Koog auf Nordstrand. "Hier bin ich geboren, hier kenn' ich jeden Meter, hier bin ich to huus", murmelt Carstensen, lässt den Blick kurz in die Ferne schweifen, bricht das Brot, teilt den Fisch. Es schmeckt. Weit mehr als einen Hektar umfasst das Grundstück direkt hinterm Deich. Einst vom Großvater erworben und in den 1920er-Jahren dem Vater übergeben.

Seit dem Tod Maria Carstensens im November 1998 war es ruhig geworden im ehemaligen Bauernhaus. Neue Liebe jedoch brachte frische Blüte. Auf dem Rasen im Garten mit den vielen Bauernblumen ist ein Herz zu erkennen, höher und intensiver grün als die anderen Halme. Eine Überraschung für Freundin Sandra Thomsen, vom Hausherrn mit Dünger kunstvoll zum Sprießen gebracht. Sie wohnt vor den Toren Hamburgs, er auf Nordstrand; man trifft sich mal hier und mal dort. Zuletzt weilte das Paar zwei Wochen in Irland. Zum Angeln und gelegentlich auf ein Guinness. Es war die Ferienpremiere für den CDU-Politiker, der bisher stets im Lande blieb.

Seit ein paar Tagen ist wieder Arbeit angesagt. In der Regel 80 Stunden in der Woche. Für längere Abstecher in die angestammte Heimat bleibt da kaum Zeit. "Ich liebe mein Amt, das ich als Dienstleistungsauftrag begreife", sagt der Ministerpräsident beim finalen Forellenbissen. Der Job aber sei schon wie ein Korsett: "Hart, gerade auch in der Großen Koalition." Maximal zweimal im Monat könne er zum Tief-Luft-holen und Seele-baumeln-lassen aus Kiel in sein Privathaus kommen - für ein bis zwei Tage. "Das ist der Haken, das tut mir weh."

Gemeinsam wird der Tisch abgeräumt. Auf geht's zum Spaziergang übers Grundstück. "Moin, Peter Harry!" ruft ein Nachbar von Weitem. Er erntet Gurken und Kürbis bei Carstensen, und als Gegenleistung gibt's Eingemachtes. Ein schmackhaftes Geschäft. Ohnehin kennt man sich in Elisabeth-Sophien-Koog. Meist von Kindesbeinen an. So viel Nähe schweißt zusammen. Ebenso wie das gemeinsame Mittagessen mit Tagelöhnern, Kind und Kegel in der elterlichen Küche. Heute trifft man sich zum Klönschnack ("Op Platt, natürlich!") bei Dirk Jacobs im Halligkrog - auf ein, zwei Frischgezapfte oder "Tote Tante", Kakao mit einem reellen Schuss Rum. "Ich kann gut mit Menschen", bringt er die Lebenserfahrung auf den Punkt.

Unter alten Eichen und Linden schreitet Carstensen in Richtung Biotop, einer Art Urwald inmitten der Weidelandschaft. "Vor drei Jahrzehnten persönlich ausgesät und gepflanzt", erzählt er mit zufriedenem Blick auf das undurchsichtige Dickicht, aus dem es quakt, summt und zirpt.

Doch plötzlich kommt Aufregung in die Idylle. Carstensen eilt zum See nebenan, gestikuliert heftig, brüllt laut. Das zeigt Wirkung. Nicht nur weil einer der Sicherheitsleute aus Richtung Hauseinfahrt herbeieilt, sondern vielmehr weil ein Fischreiher flatternd das Weite sucht. Er wollte den pfundigen Karpfen in einem der Tümpel zu Leibe rücken. Carstensen knurrt, muss dann lachen und deutet auf ein Gewächshaus im Garten: "Selbst errichtet, mein Refugium." Rosen wachsen darin, sogar eine Ananas, Paprika. "Und Chili", frohlockt der Gartenfreund und Genießer. Milde und scharfe Schoten, speziell Habaneros. "Klein geschnitten, mit Knoblauch und Ingwer in die Pfanne, dazu Scampi . . .", schwärmt Carstensen. Nur seine Leibspeisen Schwarzsauer und Dithmarscher Mehlbeutel empfände er als ähnlich verführerisch.

Alsdann werden die Privaträume angesteuert. Der Ministerpräsident schätzt gediegenes Mobiliar, Worpsweder Stühle, Ölbilder dänischer Landschaftsmaler. Unten im Weinkeller, nur über eine ebenso steile wie enge Treppe zu erreichen, schlummern gute Tropfen aus Frankreich. Peter Harry Carstensen hockt sich auf einen Melkschemel, befindet spontan: "Jungs, das Leben ist schön!" Und hier an der Küste komme die spezielle Würze hinzu. Ein Grund mehr, an die frische Luft zurückzukehren. Um vorm Tschüssagen noch einmal den Blick bis zur Deichkrone zu genießen.