Jens Böhrnsen (59) ist seit November 2005 Bremer Bürgermeister. Er stammt aus dem Arbeiterstadtteil Gröpelingen und studierte nach dem Abitur Jura in Kiel. Als Kind verbrachte Böhrnsen viel Zeit bei den Großeltern mütterlicherseits im Hamburger Stadtteil Lurup.
Bremen. Hamburger Abendblatt: Werder Bremen und der Hamburger Sportverein werden in der nächsten Zeit mehrfach gegeneinander antreten. Der bessere gewinnt. Wie ist es um das Verhältnis der beiden Städte bestellt?
Bürgermeister Jens Böhrnsen: Ich hatte sehr gehofft, dass Werder und der HSV sich zweimal im Endspiel begegnen, also im DFB-Pokal und im Uefa-Cup. Das wird nun nichts, aber wir sind für Werder guten Mutes. Zu Hamburg und Bremen: Wir haben traditionell ähnliche Interessen. Wir wollen in der Hafenkooperation noch besser werden, die Interessen der deutschen Seehäfen machtvoll vertreten. Es gibt gemeinsame Marketingauftritte, Verabredungen, wie wir mit den Gebühren in den Häfen umgehen und ökologische Fragen in den Häfen lösen. Ich glaube, es wird auch nach der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise für beide Städte im Bereich von Hafenumschlag und Seehandel so viel Arbeit vorhanden sein, so dass wir nicht Konkurrenten, sondern Kooperationspartner sein sollten. Wir sind zwei unterschiedlich große, aber gleichbedeutende wichtige Zentren hier um Norden.
Abendblatt: Sie haben die Gemeinsamkeiten betont, wo aber setzt die Konkurrenz ein? In der Frage der Elbvertiefung ist man unterschiedlicher Meinung.
Böhrnsen: Die rot-grüne Koalition in Bremen hat sich ausdrücklich zur Vertiefung der Unterweser bekannt. Ich weiß, dass das in Hamburg anders ist. Die Weser ist unsere Lebensader - dort ist die Elbe die Lebensader. Aber an der Elbvertiefung ist Bremen nicht beteiligt, sondern das Land Niedersachsen.
Abendblatt: Spricht der Norden bei Ausbau von Häfen und Infrastruktur überhaupt mit einer Stimme?
Böhrnsen: In der Tat hat der Norden das in Berlin lange nicht gemacht. Im vergangenen Jahr haben sich die fünf norddeutschen Länder Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern in Absprache mit den Handelskammern erstmalig auf eine gemeinsame Liste von 19 Verkehrsprojekten im Norden geeinigt. Im Mai treten die fünf Länder zum dritten Mal gemeinsam gegenüber dem Bundesverkehrsminister auf und werden mit einer Stimme sprechen. Deutschland braucht in Zeiten der Globalisierung seine Tore zur Welt. "German Seaports" ist das Label, damit wir das Geschäft machen und nicht Häfen in anderen Ländern. Schiffe aller Größen müssen in Deutschland einen Hafen finden.
Abendblatt: Da denkt man zwangläufig wieder an einen Nordstaat.
Böhrnsen: Diese Debatte ist vollkommen überflüssig, der deutsche Föderalismus besteht aus kleinen und großen Ländern, Stadt- und Flächenstaaten. Diese Unterschiedlichkeiten sind gewollt. Es ist ein kostbares Gut, Dinge regional zu regeln. Das bedeutet ein besseres Verhältnis der Menschen zum Staat. Ich favorisiere dieses Verständnis von lebendigem Föderalismus und kann mir nicht vorstellen, dass sich zum Beispiel Finanzprobleme besser lösen lassen, wenn wir Länder zusammenlegen. Sollten Bremen und Niedersachsen fusionieren, hätte dieses Gebilde wegen unseres Finanzverteilungssystems im Jahr 500 Millionen Euro weniger Einnahmen.
Abendblatt: Aber man könnte durch Fusionen Verwaltungskosten sparen.
Böhrnsen: Das wären im Falle von Bremen/Niedersachsen vielleicht 50 bis 80 Millionen Euro gegen 500 Millionen Euro Mindereinnahmen. Bremen ist keine Insel, wir wissen um den Wert etwa der Metropolregion Bremen/Oldenburg. Aber unser Grundgesetz schreibt vor, dass über Länderfusionen am Ende die Bürgerinnen und Bürger entscheiden. Im Fall Berlin/Brandenburg waren die Menschen dagegen.
Abendblatt: Bremen hat im Bundesrat dem Verschuldungverbot gestimmt, das von 2020 gelten soll. Derzeit hat das Land 15 Milliarden Euro Schulden und bekommt von 2011 bis 2019 Finanzhilfen von 2,7 Milliarden Euro. Wie soll konsolidiert werden?
Böhrnsen: Derzeit haben alle öffentlichen Haushalte in Deutschland zusammen Schulden in Höhe von 1,6 Billionen Euro, die wir nachfolgenden Generationen auf die Schultern legen. Bremen erhält wie vier weitere Länder Konsolidierungshilfen. Das heißt, die Unterstützung von Bund und Ländern, um die neuen Regeln einhalten zu können. Das ist ein starkes Signal der Solidarität. Und es ist zugleich eine Riesenherausforderung. Aber wir brauchen gerade in dieser Zeit einen Staat, der handlungsfähig ist.
Abendblatt: Bitte konkret: Wo muss Bremen in den nächsten Jahren sparen?
Böhrnsen: Wir wollen unsere positive wirtschaftliche Entwicklung fortsetzen und den sozialen Zusammenhalt in unserer Stadt stärken. In puncto Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen gibt es überhaupt keine Abstriche. Die soziale Spaltung zwischen Armen und Reichen, zwischen Gebildeten und Bildungsfernen gilt es zu verhindern. Wir müssen alles dafür tun, unsere Einnahmebasis zu stärken. Und auf der anderen Seite sparen, wo man sparen kann. Das betrifft im übrigen auch den Investitionshaushalt, den wir schrittweise auf Hamburger Niveau senken wollen. Das wird in den jeweiligen Haushaltsberatungen entschieden.
Abendblatt: Und so große Stadtentwicklungsprojekte wie der Ausbau der Überseestadt sind davon nicht betroffen?
Böhrnsen: Das ist eine Partnerschaft von öffentlicher Hand und privaten Investoren. Wir haben die Straßen gebaut, die Flächen aufbereitet und eine Straßenbahn hineingelegt. Alles andere sind private Investitionen, die gehen weiter.
Abendblatt: Sie wollen die Einnahmesituation Bremens verbessern. Im Augenblick ist die Perspektive aber eher düster: Die Arbeitslosenquote ist deutlich zweistellig, in Bremerhaven stehen die Export-Autos auf Halde, bei Mercedes in Bremen ist die Lage nicht rosig. Wie trifft die Wirtschaftskrise Bremen?
Böhrnsen: Der Rückgang im Container- und Fahrzeugumschlag ist beträchtlich, wir haben Einbrüche in der Auto- und Stahlindustrie. Mit Hilfe des Konjunkturprogramms II des Bundes wollen wir die Binnennachfrage ankurbeln. Wir gehen fest davon aus, dass sich am für Logistikstandorte positiven globalen Trend der Handelsbeziehungen nichts ändern wird. Wir sind also gut beraten, wenn wir in den Ausbau unserer Häfen und der Hinterlandanbindungen weiter investieren.
Abendblatt: Mit lokalen und regionalen Maßnahmen kann man aber nicht die Einbrüche in der Weltwirtschaft ausgleichen.
Böhrnsen: Das wissen wir. Gleichwohl haben wir etwas einzubringen, nämlich die hanseatischen Tugenden. Da geht es um Haltung und Wertvorstellungen. In den Hansestädten hat man sich nie an Quartalszahlen ausgerichtet und nie auf Profitmaximierung als alleiniges Prinzip gesetzt. Hier denkt man nachhaltig und hat einen längeren Atem.
Abendblatt: Also sollten künftig nur noch Hanseaten Bankvorstände sein.
Böhrnsen: "Banker" könnten auf jeden Fall von den Kaufmannstugenden lernen.
Abendblatt: In Bremen regiert rot-grün, in Hamburg schwarz-grün. Bieten sich Stadtstaaten für solche Koalitionsmodelle geradezu an?
Böhrnsen: Stadtstaaten können sicherlich ein politisches Labor darstellen und die Mitwirkung der Bürger organisieren. Grundsätzlich müssen Koalitionen durch eine größtmögliche Schnittmenge tragfähige Politik machen. Wir in Bremen arbeiten sehr gut zusammen, die Akzeptanz in der Stadt ist sehr groß.
Abendblatt: Nicht nur die Koalition, sondern auch CDU und FDP haben dem Bremer Schulfrieden zugestimmt. Eltern, Schüler und Lehrer sollen sich zehn Jahre lang auf Beständigkeit bei der Schulentwicklung verlassen können. Wie kam das zustande?
Böhrnsen: Bremens Pisa-Ergebnisse waren schlecht. Also haben wir uns gemeinsam vorgenommen, in die Qualität von Schulen und Unterricht zu investieren, für Perspektiven und Chancen unserer Kinder etwas zu machen und nicht immer über Strukturen zu streiten. Eltern und Kinder sollen eine verlässliche Grundlage haben. Gute stringente Bildungspolitik ist auch ein Standortvorteil.
Abendblatt: In gut einem Monat findet in Bremen der evangelische Kirchentag statt. Was bedeutet das für die Stadt?
Böhrnsen: Ich freue mich sehr auf dieses Ereignis, wir sind sehr gut vorbereitet und wollen ein guter Gastgeber sein. Der Kirchentag findet statt in einer Zeit, in der die Menschen Antworten in der Wertediskussion erwarten. Sind Renditeerwartungen, die Ökonomisierung des Lebens, Profitmaximierung die richtigen Werte? Da kommt der Kirchentag punktgenau.
Abendblatt: Was machen Sie am 30..Mai?
Böhrnsen: Da werde ich im Endspiel um den DFB-Pokal im Berliner Olympiastadion Werder Bremen gegen Leverkusen oder Mainz sehen. Wenn der HSV statt Werder ins Endspiel kommt, beschränke ich mich vielleicht aufs Radiohören.