Akut eingelieferte Minderjährige sollen gleich in der Klinik nachhaltige Hilfe bekommen. Aber sie müssen zustimmen.

Hannover. Der erste Schritt ist zugleich die größte Hürde: Künftig wird das Krankenhauspersonal in Niedersachsen nach der Einlieferung von Kindern und Jugendlichen mit einer Alkoholvergiftung regelmäßig den Patienten und die Eltern ansprechen. Doch nur wenn die Betroffenen Ärzte und Pflegepersonal von der Schweigepflicht entbinden, kann umgehend ein Suchtberater gerufen werden. Immerhin: Wann immer es gelingt, diesen ersten Schritt zu schaffen, ist für Hilfe gesorgt. Als erstes Bundesland hat Niedersachsen einen Vertrag mit allen Krankenkassen über die Finanzierung durchgreifender Nachsorge abgeschlossen. Basis ist ein Pilotprojekt in Osnabrück. Maximal 220 Euro erhalten die Suchtberater pro Fall. Einem ersten Gespräch noch im Krankenhaus folgen Einzelgespräche mit Eltern und dem Jugendlichen. Angestrebt wird eine Zielvereinbarung, Gruppenarbeit mit anderen Betroffenen. Wie man Spaß haben kann ohne oder mit kontrolliertem Alkoholgenuss, das soll vermittelt werden.

Die Bereitschaft der Krankenkassen, dafür Geld zu garantieren, hat einen dramatischen Hintergrund: Binnen acht Jahren hat sich die Zahl der Jugendlichen, die nach Alkoholmissbrauch stationär in niedersächsischen Krankenhäusern behandelt werden mussten, verdreifacht auf jetzt 2600 Fälle jährlich. Besonders alarmierend: Ein Drittel der Patienten war unter 15 Jahre jung. Hinzu kommen zahllose Fälle, bei denen es bei einer ambulanten Behandlung bleibt.

"Komasaufen ist in", nennt Sozialministerin Mechthild Ross-Luttmann (CDU) das Problem beim Namen. Unter ihrer Regie ist der Vertrag mit den Krankenkassen zustande gekommen. Der Staat, so versichert die Ministerin, lasse auch solche Jugendlichen nicht im Stich, die durch ihr Trinkverhalten auffallen: "Wir wollen ihnen helfen, wieder aufzustehen." Es ist aus ihrer Sicht "Aufgabe der gesamten Gesellschaft, Suchtkarrieren zu verhindern". Zumindest ihr Kabinettskollege Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sieht das ähnlich. Polizeischüler haben in den vergangenen Monaten unter Aufsicht als Testkäufer an Tankstellen, Kiosken und im Lebensmittelhandel auch hochprozentigen Alkohol immer wieder ohne Nachfragen nach dem Alter kaufen können. Inzwischen gibt es für die Verkäufer Bußgelder, und die Kontrollen werden landesweit regelmäßig wiederholt. Weil sich nach einer neuen Studie inzwischen jeder fünfte Jugendliche auf Saufpartys ins Koma trinkt, unterstützt auch die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing den Einsatz jugendlicher Testkäufer.