Eckwarderhörne. Wer eine Wattwanderung unternimmt, bekommt meist Wissenswertes erzählt. Ganz anders bei den „Sound of Silence“-Touren.
Der Wind weht frisch, die Temperatur ist für die Jahreszeit zu kalt, Regenschauer sind angekündigt. Dennoch hat sich eine kleine Gruppe zusammengefunden für eine ungewöhnliche Wattwanderung vor Eckwarderhörne (Landkreis Wesermarsch) auf der Halbinsel Butjadingen: Während der 90-minütigen Tour im Watt werden alle schweigen. Einfach mal nichts sagen, nur auf die Geräusche in der Natur achten - so kündigt es Wattführer Thomas Büsing an. „Wenn wir am Priel sind, bleiben wir fünf Minuten stehen. Hört einfach mal hin, was ihr da mitkriegt“, sagt Büsing und ergänzt: „Genießt es.“
Thomas Büsing ist seit vier Jahren staatlich geprüfter Wattführer. Früher war er leitender Buchhalter, dann kam der erste Burnout, später der zweite. Er hatte mit Ängsten und Panikattacken zu kämpfen und wurde berufsunfähig. Ruhe und Gelassenheit fand der heute 56-Jährige im Watt. Dies brachte ihn dazu, auch Gruppen dorthin zu führen und ihnen allerhand Wissenswertes über Wattwürmer, Krebse oder Strandkrabben zu erzählen.
Schweigend durchs Wattenmeer: Auszeit für gestresste Menschen
„Irgendwann habe ich gedacht, es wäre auch mal schön, einfach die Klappe zu halten“, sagt er auf seine direkte Art. Büsing musste seinen Chef Matthias Schulz nicht lange überreden, schweigende Wattwanderungen anzubieten: „Sound of Silence“, nennt er sie. „Es gibt immer mehr gestresste Menschen, für die eine solche Auszeit gut ist“, sagt Schulz.
Ungewöhnliche Wattwanderungen sind an der Nordsee keine Seltenheit: Angeboten werden Touren mit Hunden, Nordic Walking im Watt, sportliche Wattwanderungen über sieben Stunden zum Leuchtturm Arngast oder auch Wattwanderungen in den Sonnenuntergang mit aufgehendem Vollmond. Wattführer Gerke Enno Ennen bietet die letzten beide an. „Wenn die Bedingungen gut sind, dann ist das ein Erlebnis. Meist ist es zu der Uhrzeit auch windstill, dann kriegt man noch mehr von der Natur mit.“ Gebucht werde die Vollmondtour von Familien mit Kindern ab acht Jahren genauso wie von Senioren. „Vollmond und Sonnenuntergang: Das zieht die Leute“, sagt Ennen.
Die Teilnehmenden der „Sound of Silence“-Tour sind an diesem Tag dagegen zufällig zur schweigenden Wattwanderung gekommen. An dem Tag, zu der Uhrzeit, an dem Ort gibt es kein anderes Angebot für eine geführte Tour ins Watt. Beate und Patricia Lehn, Mutter und erwachsene Tochter, kommen aus der Mainzer Region, Mascha Heßke und Matthias Baumann aus Köln und Düsseldorf. Für ein paar Tage sind sie an der Nordseeküste, nun wollen sie sich auf das Experiment einlassen. Zwei von den vieren haben noch nie eine Wattwanderung gemacht. „Er wusste gar nicht, was das ist“, sagt Mascha Heßke (25) über ihren Freund Matthias.
Schweigend durchs Wattenmeer: Handys bleiben ausgeschaltet
Endlich geht es auf ein Zeichen von Thomas Büsing los. Die Handys sind ausgeschaltet, keiner sagt mehr etwas. Schweigend zeigen einige auf Dinge oder Lebewesen, die sie im Watt entdecken, ab und zu bleibt jemand stehen, um eine pazifische Auster oder eine Muschel aufzuheben. „Nehmt die Sachen, die ihr seht, im Kopf mit. Wir werden sie dann anschließend besprechen“, hatte Wattführer Thomas Büsing vor dem Start gesagt.
Es wird gelacht, wenn wieder mal jemand plötzlich mit einem Bein tief im Schlick versinkt. Am Priel angekommen, ist vor allem der Wind zu hören. Patricia Lehn ist ein wenig langweilig, wie sie später sagen wird, sie malt deshalb etwas mit ihrem Fuß in den Schlick.
Auf dem Rückweg wird es fast ein wenig dramatisch, so dass sich Mascha Heßke gezwungen sieht, ihr Schweigen kurz zu unterbrechen. Die Gruppe steht vor einem weiteren, tiefen Priel, der zu durchqueren ist. Das Wasser reicht bis zu den Oberschenkeln, ausgerechnet in diesem Moment fängt es wie aus Kübeln an zu regnen. Mascha Heßke ruft leicht verzweifelt Thomas Büsing, damit er ihr beim Queren hilft.
Schweigend durchs Wattenmeer: Ruhe für 90 Minuten
„Ich konnte nicht anders“, wird sie später dazu sagen. Mit ihren Gummistiefeln steckt sie im Schlick fest. Thomas Büsing kommt zu Hilfe. „Aber ich hatte nicht das Bedürfnis zu antworten“, sagt er im Anschluss dazu schmunzelnd.
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Als die Gruppe nach rund 90 Minuten wieder festen Boden unter den Füßen und diese vom Schlick gesäubert hat, dürfen alle wieder reden. „Ich fand es schön“, sagt Patricia Lehn. „Aber ich hatte gehofft, mehr zu hören, eine Möwe vielleicht.“ Der Wind war zu laut. „Ich wusste nicht, ob ich lachen darf, aber ich hätte mich manchmal wegschmeißen können“, sagt sie. Zu komisch sei das wiederholte Einsinken im Schlick gewesen. Ist das Ziel also verfehlt worden, die Teilnehmenden zur Ruhe kommen zu lassen?
Thomas Büsing findet das nicht. „Das soll ja keine therapeutische Maßnahme sein, und Lachen ist erlaubt“, sagt er. Typisch ist für ihn das, was Mascha Heßke hinterher sagt: „Die erste halbe Stunde hatte ich total den Mitteilungsdrang. Für mich war eine große Herausforderung, nichts zu sagen.“ Wenn man aber erst mal das Schweigen akzeptiert habe, sagt Thomas Büsing, trete eine gewisse Gelassenheit ein. Das scheint auch bei seiner kleinen Gruppe der Fall zu sein. Die Fragen zu den Dingen und Lebewesen, die unterwegs aufgesammelt oder gesehen wurden, halten sich am Ende in Grenzen - obwohl alle froh sind, endlich wieder reden zu dürfen.