Lüneburg/Hannover. Nur noch Geimpfte und Genesene dürfen in vielen Läden einkaufen. Warum Niedersachsens Verwaltungsrichter diese Einschränkung aufheben.

In Niedersachsen darf ab sofort wieder jeder ohne Impfpass oder Armbändchen einkaufen: Die 2G-Regel im Einzelhandel ist vorläufig aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg kippte mit Beschluss vom Donnerstag einen Eckpfeiler der Anti-Corona-Maßnahmen der Landesregierung. Die Beschränkung im Einzelhandel auf Geimpfte und Genesene sei in der jetzigen Infektionslage nicht notwendig zur Abwehr des Coronavirus. Sie verstoße auch gegen den Gleichheitsgrundsatz (Az.: 13 MN 477/21).

Die Regel galt erst seit Montag. Der Handelsverband hatte sie vorher scharf kritisiert und gewarnt, dass mit 2G das Weihnachtsgeschäft in den Innenstädten weitgehend zum Erliegen kommen werde.

Corona: Gesundheitsministerin Daniela Behrens besorgt

Gesundheitsministerin Daniela Behrens bedauerte die Entscheidung: „Der Beschluss ist in einem Rechtsstaat selbstverständlich zu akzeptieren. Ich bin allerdings weiterhin der Überzeugung, dass die Fortführung dieser Maßnahme der Bedrohungslage angemessen und auch infektiologisch notwendig gewesen wäre.“ Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund der fortschreitenden Ausbreitung der Omikron-Variante.

„Aufgrund der aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft habe ich die große Sorge, dass sich alle ungeimpften Niedersächsinnen und Niedersachsen innerhalb kurzer Zeit mit dieser neuen Variante des Virus infizieren könnten“, führte die SPD-Politikerin an. Damit wären unweigerlich auch mehr schwere Krankheitsverläufe verbunden. Eine solche Entwicklung könnte das stark belastete Gesundheitssystem nur schwer verkraften. Behrens appellierte an die Einzelhändler, gegebenenfalls über das Hausrecht Zugangsbegrenzungen auf vollständig geimpfte oder genesene Personen zu erlassen.

Die Landesregierung werde den Beschluss aufgreifen und zeitnah die Verankerung einer Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske für alle Kunden des Einzelhandels in der Corona-Verordnung prüfen. Eine Sprecherin der niedersächsischen Landesregierung bestätigte, dass die 2G-Regel ab sofort außer Kraft gesetzt sei.

Corona: Woolworth GmbH klagt vor dem OVG

Das OVG blieb mit dem Spruch seiner kritischen Linie zu den von der Landesregierung verhängten Einschränkungen treu. Es gebe kein schwerwiegendes öffentliches Interesse, 2G im Einzelhandel fortzusetzen, schrieb das Gericht. Auch die anderslautende Einigung von Bund und Ländern auf 2G im Einzelhandel reiche nicht als Begründung. Das Gericht nannte diese Beschlüsse von Anfang Dezember eine "maßgeblich politische Festlegung".

Vor dem OVG geklagt hatte die Woolworth GmbH, die auch in Niedersachsen Einzelhandel in Filialen mit einem Mischsortiment betreibt. Der 13. Senat nannte mehrere Gründe, warum er 2G im Einzelhandel als untaugliche Maßnahme zur Eindämmung des Virus werte. Es gebe zu viele Ausnahmen – die weitaus meisten Kontakte fänden im Lebensmittelhandel statt. Auch der Vergleich mit Restaurant- oder Konzertbesuchen oder mit Sport trage nicht. In einem Laden hielten sich die Kunden kürzer auf, sie seien weniger körperlich aktiv.

Gericht: 2G sorgt für erhebliche Grundrechtseinschränkungen

"Zudem könnten die Kunden, wie in vielen anderen Alltagssituationen, auch im Einzelhandel verpflichtet werden, eine FFP2-Maske zu tragen", schrieb das Gericht. Wenn die Läden das korrekte Tragen dieser Masken kontrollierten, werde dies "das Infektionsrisiko derart absenken, dass es nahezu vernachlässigt werden könne".

Stattdessen bringe 2G erhebliche Grundrechtseinschränkungen für ungeimpfte Kunden wie für die Ladenbesitzer. In der Kombination von einem beherrschbaren Infektionsgeschehen, einer geringen Wirkung zum Infektionsschutz und Grundrechtseingriffen erweise sich 2G im Einzelhandel "derzeit als unangemessen".

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Die Landesregierung kündigte eine Reaktion auf den OVG-Beschluss an. Die oppositionelle FDP begrüßte den Spruch. "Der Einzelhandel ist nachweislich kein Infektionstreiber", sagte Fraktionschef Stefan Birkner. "Die Landesregierung will damit lediglich den Impfdruck erhöhen und trägt das auf dem Rücken des Einzelhandels aus." Nach mehreren Niederlagen vor Gericht müsse die Regierung endlich lernen, ihre Maßnahmen rechtlich besser zu begründen. "Grundrechtseingriffe sind nur zulässig, wenn sie zum Infektionsschutz zwingend notwendig sind."

Beschluss des OVG ist unanfechtbar

Mitte Dezember hatte das OVG bereits die 2G-plus-Regel für Besuche beim Friseur, bei der Fußpflege oder bei anderen körpernahen Dienstleistungen gekippt. Ende November hatte das Gericht geurteilt, dass die Corona-Verordnungen des Landes bislang immer auf einer tauglichen Rechtsgrundlage beruhten. Aber einzelne Maßnahmen seien überzogen gewesen, zum Beispiel die Schließung von Autowaschanlagen im Frühjahr 2020.

Mit dem OVG-Beschluss räche sich einmal mehr, "dass die Landesregierung Eile vor Sorgfalt als oberste Maxime hat", sagte die Grünen-Fraktionschefin Julia Willie Hamburg. Die Regierung müsse jetzt schnell eine mit mehr Sorgfalt erarbeitete neue Verordnung vorlegen, "damit hier kein regelungsfreier Raum entsteht". Der Beschluss des OVG ist unanfechtbar.