Niedersachsen. Ein Mörder lauerte Spaziergängern in einem beliebten Forst auf, tötete sie kaltblütig. Der Täter wurde erst Jahrzehnte später ermittelt.
Es ist eine Mordserie, die Norddeutschland in Angst und Schrecken versetzt. Und die der Göhrde, eigentlich eine wunderschöne Waldregion im Nordosten Niedersachsens, den schauerlichen Namen „Totenwald“ einbringt: Im Frühjahr 1989 werden hier innerhalb weniger Wochen zwei Paare erschossen. Und es dauert Jahrzehnte, bis endlich der Mörder ermittelt werden kann.
Hamburger Ehepaar nach Ausflug vermisst
Seit dem 23. Mai 1989 wurden Ursula und Peter R. aus Hamburg-Bergedorf vermisst. Das Ehepaar war zwei Tage zuvor zu einem Picknick aufgebrochen. Danach bekamen die beiden Töchter der Hamburger über Wochen kein Lebenszeichen mehr. Es gab nur noch Ungewissheit, Ängste und Leere. „Ein Leben wie in Watte gepackt“, nennt die damals 22-jährige Tochter Anja K. diesen Zustand heute.
„Schuld an den Verbrechen trägt ein Mann, der das Ehepaar brutal tötete und im Wald notdürftig unter Zweigen verscharrte – und der nicht nur das Leben der Hamburger auf dem Gewissen hat, sondern weitere Opfer“, erzählt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher.
Blaubeersammler entdecken die Leichen
Sieben Wochen Unsicherheit. Sieben Wochen verschollen. Die Töchter des verschwundenen Ehepaars fühlen sich zeitweise wie gelähmt, „wie unter einer Käseglocke“, formuliert Anja K. Schließlich erfahren die jungen Frauen, dass ihre Mutter und ihr Vater umgebracht wurden. Zwei Blaubeersammler haben die Toten am 12. Juli 1989 entdeckt, mehr als sieben Wochen nach dem Verschwinden des Paares.
„Das Ehepaar wird per Zahnschemata eindeutig identifiziert“, erläutert Püschel. „So machen wir das in den meisten Fällen bis heute. Aus dem Zahnschema und dem Gebissbefund ergeben sich in der Regel eindeutige Identifizierungen.“
Polizisten entdecken zwei weitere Leichen
Zwei Wochen später machen Polizeibeamte während einer weiteren Durchsuchung des Geländes eines Entdeckung, die dem Forstgebiet Göhrde den düsteren Namen „Totenwald“ bringt. An diesem 27. Juli werden dort zwei weitere Opfer gefunden. Es sind eine 46 Jahre alte Frau und ein 43 Jahre alter Mann.
Die Hausfrau und der Mitarbeiter der Toto-Lotto GmbH haben eine Affäre miteinander, von der niemand sonst weiß. Beide sind verheiratet, sie haben sich während einer Kur kennengelernt und sich offenbar für ein heimliches Treffen in die Göhrde begeben.
Zweiter Mord während der erste Tatort untersucht wird
Und dort hat ihr Mörder auf sie gewartet, im Hinterhalt gelauert und die Opfer erschossen. Der Todeszeitpunkt kann sicher auf den 12. Juli 1989 datiert werden – also jenen Tag, an dem die Ermittler am Fundort des ersten ermordeten Paares beschäftigt sind. „Der zweite Tatort liegt nur etwa 800 Meter vom Auffindeort des Bergdörfer Ehepaars R. entfernt“, erzählt Mittelacher.
„Dass die Beamten trotzdem die Schüsse nicht hören, liegt an der Beschaffenheit des Geländes. Wie auch der Fundort der Leichen vom ersten Doppelmord befindet sich der zweite Tatort in einer Senke, sodass der Hang und die Bäume den Schall stark dämpfen.“
Steht Vermisstenfall in Zusammenhang mit den Morden?
Zwei Doppelmorde, sehr wahrscheinlich vom selben Täter begangen: Die Polizei bildet jetzt eine Ermittlungsgruppe, durchforstet das Gelände, befragt Zeugen. Doch viele Jahre lang kommt es zu keinen Erkenntnissen, die die Ermittlungen entscheidend voranbringen. Es gibt darüber hinaus einen weiteren ungeklärten Fall in der Region: den der seit 1989 vermissten Birgit Meier.
Die Frau war knapp drei Monate nachdem das Ehepaar R. ermordet wurde, und nur etwa drei Wochen nach dem Fund des zweiten getöteten Paares spurlos aus ihrem Haus in Brietlingen verschwunden. In diesem Fall gerät einer ihrer Bekannten in Verdacht: Kurt-Werner Wichmann, ein Friedhofsgärtner mit einem Hang zu Gewalt und mit etlichen Vorstrafen, unter anderem wegen Sexualdelikten. Als dieser Mann in Untersuchungshaft kommt und dort wenig später Suizid begeht, wird der Fall Wichmann bei der Polizei ad acta gelegt.
Ehemaliger Hamburger LKA-Chef löst den Fall schließlich
Doch auch wenn ein mutmaßlicher Mörder tot ist, sind seine Taten noch lange nicht vergessen. Die Angehörigen der Opfer leiden weiter. Schließlich gelingt es dem Bruder der vermissten Birgit Meier, dem früheren Hamburger LKA-Chef Wolfgang Sielaff, den Fall seiner Schwester zu lösen. Er und ein Team von weiteren Experten finden am 29. September 2017 den Leichnam auf dem Grundstück von Friedhofsgärtner Wichmann.
Nun lässt die Lüneburger Polizei unter anderem die Autos der in der Göhrde ermordeten beiden Paare auf DNA untersuchen. Hier ergeben sich eindeutige Spuren: Wichmann hat die Wagen gefahren. Damit gilt als sicher, dass er auch Ursula und Peter R. sowie das zweite Paar ermordet hat.