Bei einem brutalen Raubüberfall töten Bewaffnete kaltblütig sieben Menschen. Einzige Überlebende ist eine Zweijährige.

Die kleine Lucy hat den blanken Horror erlebt. Die Zweijährige hat zusehen müssen, wie fremde Menschen in ihr Zuhause eindringen, wie diese maskierten, skrupellosen und bewaffneten Männer um sich ballern und die bis dahin heile Welt des Mädchens zerstören. Ihre Mutter und ihr Vater sterben und mit ihnen fünf weitere Menschen.

Als schließlich alle niedergestreckt sind, kauert das kleine Mädchen unter einer blutverschmierten Decke zwischen zwei Leichen. Wenig später sitzt das Kind da, die Augen noch vom Schreck geweitet, und fasst das Grauen in einem Satz zusammen: „Böse Männer waren da.“

Täter töten in Sittensen sieben Menschen

Gut zwei Jahre später, nachdem die Schuldigen an diesem Blutbad in einem Restaurant im niedersächsischen Sittensen gefunden sind und ihnen der Prozess gemacht ist, bezeichnet der Vorsitzende Richter die Tat als „eines der schwersten Verbrechen der Nachkriegsgeschichte“. Der Jurist spricht von einer „kaum vorstellbaren Schuld“, die die Täter auf sich geladen haben.

Einer der Verbrecher reduziert das vielfache Morden auf ein paar schnöde Worte – womöglich seiner mangelnden Sprachkenntnis geschuldet, vielleicht auch einer erschreckenden Kaltblütigkeit? „Bloß Boom-Boom, nichts weiter“, sagt er.

Blutbad von Sittensen Thema im Abendblatt-Podcast

Der Tag, an dem dieser siebenfache Mord geschieht, ist der 4. Februar 2007. „Die Tat war für mich einzigartig. Es ist bis heute das Mordszenario mit den meisten Toten im Verlauf eines kurzzeitigen Geschehens“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher.

Das Autoren-Duo Püschel und Mittelacher schildert den Fall in ihrem Buch „Der Tod gibt keine Ruhe“. „In der Anklage hieß es später, die Tötungen hätten ,Hinrichtungscharakter‘“, so Püschel weiter.

Sieben Menschen grausam erschossen

Im Eingangsbereich des Lokals liegen zwei erschossene Männer. Ein paar Schritte weiter, hinter dem Tresen, sind zwei weitere Tote. Im Obergeschoss liegen noch zwei Personen, auch sie von Kugeln niedergestreckt. In einem Lagerraum wird ein weiterer Mann gefunden; auf ihn wurde ebenfalls ein Schuss abgefeuert, doch der 31-Jährige atmet noch. Aber auch er kann nicht gerettet werden. Er stirbt am nächsten Tag im Krankenhaus.

Die Täter sind zu fünft. Einer von ihnen hat als Aushilfskraft in dem Lokal gearbeitet und den Tipp gegeben, dass sich ein Raubüberfall lohnen könnte. Ein Mann steht Schmiere. Von den drei Tätern, die maskiert in das Restaurant stürmen, hat einer eine Pistole mit Schalldämpfer und zwei Magazine mit
14 Schuss Munition dabei.

Täter haben Gesichter der Toten zugedeckt

Die Verbrecher sorgen dafür, dass die Opfer ihnen vollkommen ausgeliefert sind: Sie fesseln deren Daumen mit den Kabelbindern. Lediglich der Besitzer sowie ein Koch werden nicht gefesselt. Plötzlich versucht der Wirt zu fliehen. Nun beginnt der Pistolenmann zu schießen. Der Schütze hört nicht mehr auf, die Pistole abzufeuern. Als die Täter kurze Zeit später fliehen, lassen sie ein Blutbad hinter sich mit sechs Leichen und einem Mann, der mit dem Tode ringt.

„Wir sind noch in der Nacht zum Tatort gekommen“, erzählt Püschel. „Es bot sich ein furchtbares Bild. Auffällig war, dass die Täter bei fünf der Opfer vor den tödlichen Schüssen Tischdecken beziehungsweise in einem Fall ein Hemd über die Köpfe der Männer und Frauen gelegt haben.

Sehr gut möglich ist, dass der Schütze verhindern wollte, mit dem Blut der Opfer bespritzt zu werden.“ Bei den Sektionen stellen die Rechtsmediziner bei fünf Getöteten solitäre Schüsse auf die Hinterkopfregion fest. Zwei der Ermordeten weisen mehrere Schussverletzungen auf.

Schütze wegen siebenfachen Mordes verurteilt

Die Polizei bildet eine Sonderkommission, sichert im Laufe der Ermittlungen Tausende Spuren. Der wichtigste Hinweis allerdings ergibt sich schon am Tag nach der Tat. Bei einer Routine-Verkehrskontrolle stoppen Polizisten einen VW-Polo, in dem zwei Asiaten sitzen. Die zwei Verdächtigen haben Kokain dabei und mehr als 5000 Euro in bar.

Zudem findet sich im Auto ein zusammengefalteter Zettel mit einer Notiz und einer Skizze – es sind der grobe Lageplan des überfallenen Restaurants sowie weitere Einzelheiten über den möglichen Tatort. Es kommt schließlich zur Verhaftung von fünf Verdächtigen und knapp ein Jahr später vor dem Landgericht Stade zum Prozess gegen fünf Angeklagte.

Nach insgesamt 107 Hauptverhandlungstagen verkündet das Schwurgericht schließlich das Urteil. Der Schütze wird unter anderem wegen siebenfachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zusätzlich stellt das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest. Die anderen Männer erhalten Freiheitsstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslänglich.