Lüneburg. Ist der Mann, der die „Göhrde-Morde“ beging und Birgit Meier umbrachte, sogar für 29 Fälle verantwortlich?
Mindestens fünf Morde hat der Friedhofsgärtner Kurt-Werner Wichmann nach Erkenntnissen von Ermittlern begangen. Doch es könnten noch viel mehr sein. Die Polizei prüft mögliche Zusammenhänge mit anderen ungeklärten Verbrechen.
Eine gediegene Wohngegend in Adendorf am Stadtrand von Lüneburg. Das Einfamilienhaus steht am Ende einer Sackgasse. Ein Rotklinkerbau mit Hecke und Wintergarten, dahinter eine kleine Anhöhe mit Bäumen. Unter der Garage des Hauses ist vor fast einem Jahr die Leiche der seit 1989 vermissten Birgit Meier gefunden worden. Ihr Bruder hatte die Suche nie aufgegeben, es ist der ehemalige Leiter des Landeskriminalamts Hamburg, Wolfgang Sielaff.
Privat hat er weiter ermittelt. Am Mittag des 29. September 2017 machen er und sein Team, darunter angesehene Kriminalisten, wie der Ex-LKA-Chef Reinhard Chedor und der Leiter der Rechtsmedizin im UKE, Klaus Püschel, den grauenvollen Fund, der nach Jahrzehnten Gewissheit bringt. Mit Erlaubnis der Eigentümer hat Sielaff das Haus erneut untersucht und den Betonboden der Garage aufgestemmt.
Das Grundstück war schon früh in den Fokus von Sielaff gerückt, während Ermittler der Polizei Lüneburg einen anderen Verdächtigen im Auge hatten. Besonders aufschlussreich waren für Sielaff Abschiedsbriefe gewesen, die der Friedhofsgärtner 1993 hinterlassen hatte, bevor er sich in der Untersuchungshaft mit einem Gürtel erhängte. Wichmann hatte im Gefängnis gesessen, nachdem bei einer Fahrzeugkontrolle Teile einer Maschinenpistole in seinem Wagen gefunden wurden. Offenbar glaubte er, dass bei der Durchsuchung seines Hauses die verscharrte Leiche von Birgit Meier gefunden wird.
Schlimmste Mordserie seit dem Krieg
Zwar durchsuchte die Polizei damals das Haus und fand Waffen, Fesseln und anderes verdächtiges Material. Von ihrer These, dass ein anderer Mann etwas mit dem Verschwinden von Meier zu tun hatte, wich sie aber nicht ab.
Für Wolfgang Sielaff dagegen hatte das Grundstück immer „eine hohe Relevanz“. Seit der ehemalige Hamburger LKA-Chef die Leiche seiner Schwester auf dem Grundstück fand, glaubt das auch die Polizei. „Der Friedhofsgärtner kommt möglicherweise für 24 weitere Todesfälle oder gar noch mehr als Täter infrage“, sagt Mathias Fossenberger, Sprecher der für den Fall zuständigen Polizeidirektion Lüneburg.
Die operative Fallanalyse des Landeskriminalamts Niedersachsen ziehe zwei Dutzend Fälle in Betracht. „Wir schließen nichts aus und beschränken uns nicht auf diese Taten“, betont er. Die Polizei hat in Lüneburg eine sogenannte Clearingstelle eingerichtet, hier laufen die Fäden zusammen. Sie hat ein Bewegungsbild des Mannes erstellt, der längere Zeit auch in Karlsruhe lebte. Alle denkbaren Verbindungen zu nicht aufgeklärten Morden sollen untersucht werden.
„Aufgrund des aktuellen Ermittlungsstands müssen wir von der Möglichkeit einer Vielzahl von Taten in Deutschland und vielleicht auch darüber hinaus ausgehen“, sagt Lüneburgs Polizeipräsident Robert Kruse. „Sollte er wirklich für so viele Tötungen verantwortlich sein, dann gibt es zumindest in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg kaum Fälle, die daran hereinreichen“, sagt Kriminalist Stephan Harbort, Experte für Serienmorde. „Nur wenn man serielle Patiententötungen mitbetrachtet, kommt man auf ähnliche Opferzahlen.“
Andere Serienmörder
Der ehemalige Krankenpfleger Niels H. ist so ein Täter. Er muss sich von Ende Oktober an wegen Mordes an 98 Patienten vor dem Landgericht Oldenburg verantworten. Wegen sechs Taten wurde er bereits zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Wichmann dagegen passt mehr in die Kategorie „narzisstisch, sadistisch veranlagter Psychopath“.
Im Fall von Birgit Meier hatte ein Blutstropfen an einer Handschelle aus dem Haus des Gärtners im Herbst 2016 die Ermittler erneut auf die Spur gebracht. DNA-Treffer weisen auch auf den Friedhofsgärtner als Verantwortlichen für die sogenannten Göhrde-Morde hin, die 1989 bundesweit für Schlagzeilen sorgten. In dem Waldgebiet östlich von Lüneburg wurden damals zwei Paare ermordet. Sie waren erschossen, erschlagen und stranguliert worden. In einem Auto der Opfer hatte die Polizei DNA-Spuren von Wichmann gefunden.
Erst im vorigen April hat die Polizei in dem ehemaligen Haus des Mannes eine wochenlange Suche gestartet, auch Bagger und Spürhunde kamen zum Einsatz. „Es wurden etwa 400 Spuren und Gegenstände sichergestellt“, sagt Fossenberger. Davon sei ungefähr die Hälfte als relevant eingestuft und dem Landeskriminalamt Niedersachsen zur weiteren Untersuchung zugesandt worden. Geprüft wird, ob darunter möglicherweise Gegenstände der Opfer der Göhrde-Morde oder von Opfern ungeklärter Taten sind. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Serienmörder Sachen ihrer Opfer als Trophäe aufbewahren. Bisher sind die genauen Motive des Verdächtigen offen. Bei zumindest einigen Taten könnte er Hilfe von einem Komplizen gehabt haben – aber auch das ist bis heute ungeklärt.