Brocken. Marc Kinkeldey arbeitet als Wetterdiensttechniker auf dem Brocken. In rund 1160 Metern Höhe fühlt es sich an wie minus 60 Grad.
Peitschender, orkanartiger Wind und schwere Schneeböen schlagen ihm schon in aller Frühe entgegen. Marc Kinkeldey nimmt dieser Tage deshalb eine Skibrille mit, wenn er gegen sechs Uhr morgens in seinen Jeep steigt und sich auf den Weg zur Arbeit macht. Bei der beschwerlichen Auffahrt auf den Brocken, den höchsten Berg Norddeutschlands, kann es auf den letzten Metern oder Kilometern zu extremen Schneeverwehungen kommen. Dann muss Kinkeldey sich – eingemummt in mehrere Pullover, eine dicke, winddichte Jacke, Mütze, Schal, Handschuhe und besagte Skibrille – zu Fuß zu der Wetterstation, die auf 1160 Metern liegt, durchschlagen. Bei minus 20 Grad – „gefühlt wie minus 60“.
Dennoch kann sich Marc Kinkeldey keinen schöneren Beruf vorstellen. Seit 17 Jahren ist der 38-Jährige Wetterdiensttechniker in der Wetterwarte auf dem Brocken. „Schon als Junge habe ich davon geträumt, hier arbeiten zu dürfen“, sagt Kinkeldey, der aus Schierke stammt, einem kleinen Ort nur wenige Kilometer vom Brocken entfernt. Nach seiner Ausbildung verschlug es Kinkeldey jedoch zuerst nach Süddeutschland. Dort arbeitete er für den Wetterdienst der Bundeswehr auf einem Flughafen. Seine heutigen Aufgaben findet er jedoch deutlich spannender: In regelmäßigen Abständen misst er die Radioaktivität in Luft und Niederschlag, beobachtet und dokumentiert das Wetter und gibt die jeweiligen Daten weiter an das Bundesamt für Strahlenschutz und den Deutschen Wetterdienst.
Alle 30 Minuten muss Kinkeldey aufs Dach der Wetterstation
Zwölf Stunden verbringt Kinkeldey an einem typischen Arbeitstag in der Station. Manchmal gemeinsam mit einem seiner sechs Kollegen, nachts oder am Wochenende alleine. Zwar macht Kinkeldey oft Führungen mit interessierten Gruppen, er schätze aber auch die Einsamkeit und Weite auf dem Berg. „Manchmal, wenn sich Nebel und Wolken verziehen, gibt es diese erhabenen Momente hier oben, man hat eine Fernsicht von 232 Kilometern, bis ins Erzgebirge oder ins Sauerland“, sagt er.
Doch auch bei den aktuellen Minusgraden im zweistelligen Bereich muss Kinkeldey alle 30 Minuten auf das Dach der fünfstöckigen Wetterstation. Dann drückt er die massive Tür auf und macht einen Schritt ins Freie. Eine Sturmböe braust ihm ins Gesicht. Von einer Sekunde auf die andere hat der Wetterdiensttechniker die wohlige Wärme gegen eine durch Mark und Bein gehende Kälte auf dem Dach des Turmes getauscht. Ehe er wieder zurück ins Warme kommt, beobachtet er Wolken und Niederschlag, misst den Luftdruck sowie die Temperatur. Dazu verwendet er traditionelle Messverfahren und -geräte wie Glasthermometer.
Neue Elektronik würde den Extremwetter nicht standhalten
Die Methoden haben sich hier auf dem Brocken seit Bestehen der Wetterwarte, die zugleich auch Klimareferenzstation ist, seit 1836 nicht verändert. Auf diese Weise sei es möglich, 200 Jahre Klimastatistik unter den gleichen Messbedingungen miteinander vergleichen. „Neue Elektronik, wie sie am Hamburger Flughafen zur Messung eingesetzt wird, würde dem extremen Wetter auf dem Brocken außerdem nicht standhalten“, erklärt Kinkeldey. Sobald er fertig mit seinen Messungen ist, schickt er die Ergebnisse an die entsprechenden Stellen. Kommt es dabei zu Verzögerungen, klingelt schnell das Telefon und jemand fragt, ob alles in Ordnung sei. Bei den eisigen Temperaturen der letzten Tage könnte zum Beispiel die Heizung ausfallen oder das Wasser in den Leitungen gefrieren.
Doch so schnell kann Kinkeldey nichts aus der Ruhe bringen: Als vor einigen Wochen Orkan Friederike durch Deutschland tobte, hatte Kinkeldey Dienst. Vor der Station waren entwurzelte Bäume umhergeflogen, es gab meterhohe Schneeverwehungen – an eine Heimfahrt war nicht zu denken. „Ich harrte insgesamt 28 Stunden hier oben aus“, erzählt er. Alles kein Problem, schließlich sei man im Turm sicher und es gebe genügend Verpflegung. Zwischendurch habe Kinkeldey auch mit seiner Familie telefoniert, um zu sagen, dass es ihm gut ginge. „Ansonsten habe ich fleißig Wettermeldungen herausgegeben – man ist ja nicht zum Vergnügen hier“, sagt Kinkeldey und lacht vergnügt, als erzähle er von ganz gewöhnlichen Überstunden.
Und auch wenn es bei manchen Stürmen schwierig sei, sich draußen auf den Beinen zu halten, sagt er: „Dachdecker oder Gerüstbauer sind bei der Arbeit einer größeren Gefahr ausgesetzt als ich.“ Er bestreitet allerdings nicht, dass es schon eine Art Kick sei, immer wieder mit enormer Naturgewalt konfrontiert zu sein. Ein reiner Bürojob wäre ohnehin nichts für ihn. „Ich liebe meine Arbeit in der Natur.“ (mit dpa)