Goslar/Bad Harzburg. Starkregen und Hochwasser führten in Südniedersachsen zu Chaos. Innenstädte gesperrt, Häuser evakuiert, Talsperre droht überzulaufen.
Tief „Alfred“ hat mit immensen Regenmassen Ortschaften und Straßen in Südniedersachsen geflutet und tausende Helfer in Atem gehalten. Wegen massiver Überschwemmungen rief der Landkreis Goslar den Katastrophenfall aus. Durch Goslars Innenstadt strömten braune Wasserfluten. Mehrere Häuser, ein Hotel und ein Seniorenheim mussten evakuiert werden. „Eine solch dramatische Hochwasserlage hat die Stadt Goslar seit 70, 80 Jahren nicht erlebt“, sagte Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk am Abend.
Inzwischen entspannt sich die Situation in den von Überflutungen betroffenen Gebieten. In Flüssen wie Radau, Abzucht, Nette und Oker sinken die Wasserstände, wie der Landkreis Goslar am Mittwochabend mitteilte. Der Großteil der Innenstadt von Goslar sei wieder für den Verkehr freigegeben. Dennoch seien nach wie vor Teile des Kreisgebietes überflutet. Viele Häuser und Keller stünden noch unter Wasser. Der Katastrophenschutzstab forderte deshalb Verstärkung an. Demnach wurden am Abend 220 weitere Einsatzkräfte erwartet. 1500 Helfer rückten insgesamt aus.
Hotel und Seniorenresidenz evakuiert
In Goslar selbst wurden das zum Hotel Kaiserworth gehörende Hotel Brusttuch und die Seniorenresidenz Theresienhof evakuiert. Es wurden elf Menschen aus der Altstadt in Sicherheit gebracht. Die Polizei erhielt Unterstützung von 60 Bereitschaftspolizisten. Die Wasserfluten strömten über den Marktplatz. Am Mittag ließ der Regen leicht nach. Viele Schaulustige kamen zum fotografieren. „So sieht's hier normalerweise nicht aus“, wunderte sich die Goslarerin Uta Riemschneider.
Laut Landratsamt verletzten sich bei den Überschwemmungen mehrere Menschen leicht. Eine genaue Zahl lag zunächst nicht vor. Darunter seien auch Einsatzkräfte, erklärte ein Sprecher. Zum Ausmaß der Schäden gebe es noch keine Angaben. Der Landkreis wollte in der Nacht zum Donnerstag den am Mittwoch ausgerufenen Katstrophenalarm wieder aufheben, sollte sich die Lage nicht erneut zuspitzen. Mit dem Katastrophenalarm hatte der Katastrophenschutzstab die Gesamtverantwortung und die Koordination aller Einsätze übernommen.
Straßen und Bahnhof in Bad Harzburg gesperrt
In Bad Harzburg waren alle Hauptverkehrswege blockiert und der Bahnhof gesperrt. Allein im Kreis Goslar waren 1500 Feuerwehrleute im Einsatz. Bei einem Verkehrsunfall im Kreis Helmstedt wurden drei Feuerwehrmänner im Hochwassereinsatz verletzt.
„Hier ist Land unter“, sagte eine Verwaltungsmitarbeiterin in der 23.000-Einwohner-Stadt Bad Harzburg (Kreis Goslar) am Vormittag. Dort stand das Wasser in vielen Straßen mindestens 20 Zentimeter hoch. Nichts ging mehr am Bahnhof, wo die Gleise unter Wasser standen. Auch die Bundesstraße 4 war zwischen Oderteich und dem Harzburger Dreieck unpassierbar, wie eine Polizeisprecherin mitteilte. Alle Hautverkehrswege waren blockiert. Das Wasser drückte aus dem Oker-Zufluss Radau über die Ufer.
In Altenau (Kreis Goslar) wurden laut Polizei ein Hotel und ein weiteres Haus evakuiert und eine Brücke kontrolliert zerstört, um den Wasserdurchlauf zu erhöhen. Am Abend wurden zudem die Bewohner der kleinen Ortschaft Oberschulenberg bei Goslar in Sicherheit gebracht, weil ein alter Teich drohte überzulaufen.
Drei Feuerwehrmänner verletzt
Bei dem Unfall der drei Feuerwehrmänner in der Nähe von Warberg (Kreis Helmstedt) wurden zwei der Männer schwer verletzt. Ihr Einsatzfahrzeug war von der Straße abgekommen und auf dem unbefestigten, durch den Regen völlig aufgeweichten Seitenstreifen mit einem Baum kollidiert.
Besonders stark betroffen waren auch Stadt und Landkreis Hildesheim, die Nachbarschaftshilfe anforderten. Rund 150 freiwillige Feuerwehrleute rückten am Dienstagabend aus, um in Bad Salzdetfurth und den umliegenden Dörfern die Dämme zu sichern – zum Teil vergeblich, wie sich im Lauf der Nacht erwies. Bei Dunkelheit und stetig anhaltendem Regen kämpften die Feuerwehrleute mit tausenden Sandsäcken gegen die ansteigenden Fluten des Flusses Lamme.
Pegel der Innerste steigt auf Rekordstand
In Hildesheim stieg der Pegel des Flüsschens Innerste auf den Rekordstand von 7,15 Metern. „Unsere Deiche haben gehalten, dies war bei einem Pegel über 6,75 Meter unklar“, sagte der Sprecher der örtlichen Feuerwehr, Ralf Hellberg. Am Abend war der Wasserstand wieder auf 6,88 Meter gesunken. „Wir sind vorsichtig optimistisch“, sagte Hellberg.
Auch Bahn- und Buspendler stellte das Unwetter am Mittwoch auf die Geduldsprobe. Einige Regionalzugstrecken im Süden Niedersachsens mussten gesperrt werden. Zum Teil sollen die behinderungen noch bis Freitag bestehen bleiben, teilte der Betreiber Metronom mit.
Zillierbachtalsperre droht überzulaufen
Wegen der starken Regenfälle war die Zillierbachtalsperre oberhalb von Wernigerode im Harz (Sachsen-Anhalt) randvoll – ob sie überläuft, war aber ungewiss. Der Zulauf nehme nicht mehr zu, und so sei unklar, wann und ob die Talsperre überlaufe, hieß es am frühen Abend.
Auf der Ostseeinsel Rügen wurden bei einem Unfall bei Dauerregen zwei Urlauber lebensgefährlich verletzt. Ein umgestürzter Baum brachte den Zugverkehr zwischen Deutschland und Polen bei Grambow in Mecklenburg-Vorpommern zum Erliegen.
In 48 Stunden wurden 171 Millimeter Niederschlag gemessen
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wandte sich an die Einsatzkräfte und Freiwilligen in den Hochwassergebieten: „Ich danke der Polizei, der Feuerwehr und allen Helferinnen und Helfern, die in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten im Einsatz sind“, schrieb er auf Twitter. Er sei in Gedanken bei Betroffenen und Helfern. „Jetzt gilt: Alle mit anpacken!“
Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes fiel – abgesehen von den Bergstationen, speziell dem Brocken - der meiste Niederschlag in der Gemeinde Hahausen bei Seesen (Kreis Goslar) am Nordwestrand des Harzes. In 48 Stunden wurden dort 171 Millimeter gemessen, im benachbarten Seesen 161 Millimeter. In einem „normalen“ Juli seien dort im ganzen Monat 100 Millimeter Regen zu erwarten. „Diese Menge ist also um die Hälfte übertroffen worden, und das in zwei Tagen“, erläuterte der DWD die Dimension.