Hannover. Immer mehr Wölfe in Niedersachsen, immer mehr tote Schafe, zuletzt bei Stade. Eingreifgruppe soll Konflikte um die Raubtiere lösen.
Ein Schäfer findet sechs tote und elf verletzte Schafe auf seiner Winterweide, wenig später muss noch ein Tier eingeschläfert werden. Die Schafsrisse wurden vor wenigen Tagen aus Oderquart nördlich von Stade gemeldet. Sie gehören zu einer Reihe von Vorkommnissen, welche den Streit um die Zukunft von Wölfen in Deutschland derzeit weiter anheizen.
Töten, vergrämen oder als Bereicherung unserer Natur dulden? Diese Extreme zum Umgang mit Wölfen werden unter Landwirten, Naturschützern und Jägern leidenschaftlich diskutiert.
Neue Expertengruppe
Um die Interessenskonflikte über die Raubtiere in den Griff zu bekommen, gründet Niedersachsen nun ein Wolf-Eingreifgruppe. "Wir stellen eine Gruppe von Fachleuten und Ehrenamtlichen zusammen, die auf Anforderung schnelle und konkrete Hilfe leisten kann", sagte Justina Lethen, Sprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums jetzt dem Abendblatt. Der Einsatz solle vom Wolfsbüro in Hannover koordiniert werden.
Zu der Eingreif-Gruppe können laut Umweltministerium ein Schäfer mit Herdenschutzhunden ebenso gehören wie Fachleute für das Vergrämen von Wölfen. Auch beim Zaunbau werde Hilfe angeboten.
90 Wölfe in Niedersachsen
In Niedersachsen wird die Zahl der Wölfe derzeit auf rund 90 Tiere geschätzt. „Wir haben einen Zuwachs von 30 Prozent im Jahr“, sagt der Wolfsbeauftragte der niedersächsischen Landesjägerschaft Raoul Reding. Die Tiere sind in Deutschland streng geschützt und dürfen nicht gejagt werden.
Ihr Vorkommen wird aber insbesondere im Norden Niedersachsens, auch in der Metropolregion Hamburg, kritisch gesehen. "An der Küste und auf den Weiden an der Elbe ist das sichere Einzäunen der Rinder und Schafe schwierig", sagte Gabi von der Brelie, Sprecherin des Landvolkes Niedersachsen.
An Deichen und auf den ausgedehnten Weideflächen Richtung Cuxhaven etwa könnten die Bauern wenig gegen Wölfe ausrichten. "Bei unseren Tierhaltern überwiegt die Meinung, Wölfe hier nicht zu tolerieren", sagt die Sprecherin. Schließlich würden auch die Verbraucher es schätzen, wenn Nutztiere weiter auf der Wiese gehalten werden. Aber selbst Elektrozäune überspringen die Wölfe inzwischen.
Aus der Region Vechta wurden schon Tiere auf den Höfen selber gemeldet. Kürzlich streifte ein Wolf auch am Stadtrand von Nienburg über die Straße, eine Anwohnerin filmte ihn aus ihrem Auto.
47 Risse in 2016
Die Scheu vor den Menschen überwinden viele Wölfe besonders dann, wenn Beute lockt. Seit 2008 wurden in Niedersachsen landesweit 162 Risse an Nutztieren durch Wölfe bestätigt, davon 47 in 2016. Für die Regierung in Hannover ist die "Entnahme" der geschützten Art dennoch kein Thema. Es müsse wieder „Erfahrungswissen“ im Umgang mit Wölfen zurückgewonnen werden, sagt Stefan Wenzel, Niedersächsischer Umweltminister. Nur im Falle des verhaltensauffälligen Wolfes "Kurti" hatte das Umweltministerium eine Ausnahme gemacht. Der Rüde hatte sich in der Nähe von Munster mehrfach Menschen genähert und war dann erschossen worden.
Derweil steigen die Kosten für den Schutz der Schafe oder Rinder. 21.000 Euro hat das Umweltministerium 2016 für Nutztierrisse an Tierhalter überwiesen. Für Präventionsmaßnahmen zum Herdenschutz wurden seit November 2014 rund 625.000 Euro bewilligt und knapp 550.000 Euro bereits ausgezahlt. Im Haushaltsplan des Landes sind für 2016/17 jeweils gut 800.000 Euro als Sachausgaben für das Wolfsmanagement eingeplant.
Sachsen will Wolf abschießen
Ein problematisches Tier beschäftigt aktuell die Sachsen. Das ostdeutsche Bundesland hatte kürzlich erstmals einen Wolf zum Abschuss freigegeben. Der knapp zweijährige Rüde hatte sich nach Angaben des Umweltministeriums auffällig verhalten und sich bei Görlitz Siedlungsgebieten genähert. Das Tier stammt aus dem polnischen Ruszow-Rudel, dessen Territorium an Sachsen grenzt. Bei Tierschützern und Verbänden wie dem Naturschutzbund (Nabu) stießen die Pläne auf heftige Kritik. Bisher, sagte ein Ministeriumssprecher, sei das Tier aber auch nicht geschossen worden.