Delmenhorst . Immer weniger Menschen in Deutschland können schwimmen. Ein gefährlicher Trend, dem viele Gemeinden mit Kursen für Erwachsene begegnen.
Etwa 30 Prozent der Deutschen können nach Schätzung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) gar nicht oder nur schlecht schwimmen. Ein Trend, der sich in Zukunft weiter verschärfen wird. „In vielen Kommunen werden Bäder geschlossen, deshalb lernen viele Schüler nicht mehr schwimmen“, sagte DLRG-Sprecher Achim Wiese. In vielen Gemeinden bieten Bäder inzwischen Erwachsenen-Schwimmkurse an. Doch die Teilnehmer müssen oft lange mit sich ringen. „Viele trauen sich nicht zuzugeben, dass sie nicht schwimmen können“, sagt Wiese. Dazu kommt eine steigende Zahl von Einwanderern, in deren Heimatländern der Sport keine Tradition hat.
Rima Demir hat ihr Seepferdchen bestanden. Mit 39 Jahren.
Rima Demir steht in ihrem rosafarbenen Bikini am Beckenrand und wirkt nervös. „Ich bin ein bisschen aufgeregt“, sagt sie. Langsam steigt sie die Leiter ins Wasser herab, atmet noch einmal ruhig ein und aus, und schwimmt dann los - den Blick konzentriert auf die gegenüberliegende Seite gerichtet. Kurze Zeit später klettert sie dort Freude strahlend aus dem Becken. Geschafft, gleich beim ersten Mal: Rima Demir hat ihr Seepferdchen bestanden. Mit 39 Jahren.
Auch zwei andere Frauen legen an diesem Tag in der Delmenhorster Grafttherme ihr erstes Schwimmabzeichen ab. In den vergangenen zehn Wochen haben sie gemeinsam einen Erwachsenen-Schwimmkurs besucht. „In meiner Heimat habe ich schwimmen nicht gelernt“, sagt Demir, die als 18-Jährige von Syrien nach Deutschland kam. Ein Thema, über das man in einem Land, wo die Bewegung im Wasser als zweitliebste Freizeitbeschäftigung gilt, lieber nicht spricht. „Ich habe mich immer so geschämt“, gibt Demir zu.
Und dann gibt es Menschen wie den pensionierten Lehrer in Demirs Kurs, der als Kind ein traumatisches Erlebnis im Wasser hatte und erst jetzt den Mut aufbringt, die Techniken zu lernen. Auch eine 33-Jährige, deren beide Kinder bereits den Fortgeschrittenenkurs besuchen, hat sich endlich dazu durchgerungen. „Die Kinder wollen doch, dass Mama und Papa mitmachen. Wir können aber beide nicht schwimmen“, sagt die dunkelhaarige Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Auch auf dem Foto will sie nicht zu sehen sein.
Als Erwachsener unbeholfen im Wasser zu planschen, das kostet Überwindung. „Wer möchte schon, dass andere sehen, dass man nicht schwimmen kann?“, sagt Schwimmlehrer Tristan Dultmeyer. Gerade bei den Erwachsenen benötigt er deshalb viel Fingerspitzengefühl. „Ich rede sehr sanft mit ihnen. Bei mir macht keiner was auf Zwang.“ Nach der Seepferdchen-Prüfung sollen die Kursteilnehmer zum ersten Mal im tiefen Wasser tauchen. Dultmeyer fasst Demir an den Händen und macht gemeinsam mit ihr Atemübungen. „Nicht die Augen zu unter Wasser“, rät er. „Sonst verliert man schnell die Orientierung.“ Dann tauchen beide Hand in Hand ab.
In Delmenhorst sind Erwachsenen-Schwimmkurse wie im nahe gelegenen Bremen seit Jahren Standard. Doch das sei nicht überall in Deutschland so, sagt Wiese von der DLRG. Weil viele Erwachsene nicht zugeben wollten, dass sie nicht schwimmen können, seien die Kurse nicht so gut gebucht. In Zeiten, in denen die Vereine um Platz in den noch verbliebenen Bädern ringen müssen, bieten diese nach Wieses Einschätzung lieber die gut besuchten Kinder- oder Aquafit-Kurse an.
Die Grundtechnik beherrschen Rima Demir und die anderen Kursteilnehmer nach den zehn Stunden. Doch um richtig gut schwimmen zu können, müssen sie noch viel üben. Demir hat sich vorgenommen, jetzt regelmäßig mit einer Freundin schwimmen zu gehen. Auch die 37-jährige Sia, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, will dran bleiben. „Im Urlaub möchte ich gerne im Meer schwimmen.“