Bispingen. Züchter findet Überreste des Islandponys auf Koppel. Es wäre der erste bekannte Angriff eines Wolfes auf ein Pferd in Deutschland.
Auf diesen Anblick war Götz George nicht gefasst. Als der Pferdezüchter am Montagmorgen das am Tag zuvor im Freien geborene Islandfohlen begutachten wollte, fand er nur noch einen Kopf und Teile der Wirbelsäule des Tieres auf der Koppel. Daneben die Mutterstute, verletzt am Hinterteil. Die Frage, die Züchter George aus der Nähe des niedersächsischen Bispingen seitdem beschäftigt: Hat ein Wolf das Frischgeborene gerissen und gefressen? „Die Spuren deuten wohl darauf hin“, sagt George.
Sicher sein kann er nicht. Auch die beiden Wolfsberater und der Tierarzt, die vor Ort auf der Weide in Borstel nahe der Autobahn 7 die Überreste gesichert und Spuren begutachtet haben, können ihm keine Antwort geben. Fest steht jedoch, dass weder Fuchs noch Wildschwein die Kraft besitzen, ein 25 Kilogramm schweres Fohlen wegzuschleppen. Ein ausgewachsener Wolf schon. „Ein erwachsener Wolf trägt ein verunfalltes Reh im Maul spazieren – dorthin, wo er es in aller Ruhe verspeisen kann“, sagt Wolfsberater Martin Tripp.
In Niedersachsen wird die Zahl der Wölfe derzeit auf 50 bis 60 geschätzt: fünf Rudel und zwei Paare ohne Nachwuchs. Und es gibt immer wieder durchziehende, junge Wölfe auf der Suche nach einem Revier. „Regelmäßig werden Wolfssichtungen aus der Umgebung gemeldet“, sagt Götz George. Neulich erst habe einer bei einem Schlachter im Nachbardorf zur Tür reingeguckt. Insbesondere Schafzüchter fürchten sich vor nächtlichen Wolfsbesuchen. Dass ein Wolf sich ein Pferd als Beute ausguckt, ist ungewöhnlich. „Das Fohlen in Bispingen wäre der erste mir bekannte Fall, dass ein Wolf ein Pferd reißt“, sagt Tripp.
Die natürliche Beute des Wolfes sind wildlebende Huftiere
Ein erwachsener Wolf benötigt täglich etwa zwei bis drei Kilogramm Fleisch. Er kann mehr als zehn Kilogramm Nahrung auf einmal aufnehmen. Denkbar ist auch, dass ein Wolfsrudel das Fohlen gefressen hat. Die natürliche Nahrung des Wolfes besteht aus wildlebenden Huftieren. Dazu zählen Rothirsch, Wildschwein und Reh. Auf jeden Fall greife der Wolf auf die am leichtesten zu erreichende und am effektivsten zu jagende Beute zurück, so Tripp. So bevorzuge er Jungtiere und weniger wehrhafte, alte, schwache oder kranke Beutetiere. Das Fohlen passe also ins Beuteschema.
Die Mutterstute wird das Fohlen allerdings mit aller Kraft verteidigt haben. „Sie weist eine Verletzung am Rücken auf, aber keine eindeutigen Bissspuren, die auf einen Wolf schließen lassen“, sagt Martin Tripp. Zudem standen zwei verteidigungsbereite Esel, die inzwischen auch von Schafzüchtern zum Schutz der Tiere gegen Wölfe eingesetzt werden, mit den Stuten auf der Weide. „Ein Risiko für den Wolf, das er eigentlich scheut“, sagt Tripp, der am Montag mit einem Kollegen und einem Tierarzt vor Ort in Borstel die Überreste des Fohlens begutachtet hat.
Ob wirklich ein Wolf oder ein Wolfsrudel das Fohlen gerissen und fortgeschleppt hat, muss nun mit Hilfe einer DNA-Analyse geklärt werden. DNA-Proben hat der Tierarzt vor Ort genommen. Die Reste des Kadavers und die Proben wurden noch am Montag verpackt und an den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz geschickt. Die DNA-Proben werden wahrscheinlich von Wissenschaftlern am Senckenberg Institut in Frankfurt analysiert.
„Bis alle Proben analysiert und die Kadaverreste untersucht worden sind, kann es Wochen dauern“, sagt Martin Tripp. Erst dann werden Züchter George und die Wolfsexperten mit Sicherheit wissen, ob ein Wolf das Fohlen gerissen hat.
So viel kann Tripp sagen: „Die Kadaverreste wiesen Spuren eines starken Beutegreifers auf.“ Weil der größte Teil des Fohlens fehlt, gebe es aber keine Bissspuren, anhand derer man den Durchmesser der Fangzähne und Abstände messen könne.
Agrar-Ingenieur Götz George, der seit zehn Jahren in Bispingen Islandpferde züchte, muss abwarten. „Ich lebe von der Pferdezucht. Das ist kein Hobby für mich“, sagt er. So ein Fohlen sei etwa 5000 Euro wert. Sollte sich herausstellen, dass es der Wolf war, kann er zumindest auf eine Ausgleichszahlung für den Verlust des Tieres hoffen. Für Schadensfälle, die dem Wolf zuzuordnen sind, seien Ausgleichszahlungen vorgesehen, weiß Wolfsberater Tripp. George muss seine wertvollen Tiere so gut es geht schützen. „Stromzäune sind ganz wichtig“, sagt Tripp. „Die kann man mit Lattenzäunen ergänzen. Der Wolf vermeidet Konflikte. So ein Zaun stellt für ihn einen Konflikt dar und vermiest ihm die Beute.“
Martin Tripp macht sich Sorgen. Sollte sich herausstellen, dass ein Wolf das Fohlen gerissen hat, würde die Akzeptanz der rückkehrenden Wölfe sinken. Ein Pferd sei in den Augen der Menschen weit mehr als ein Nutztier. Insbesondere in Niedersachsen ist das Pferd mit Emotionen besetzt. Das Wappentier des Landes ist ein springendes Pferd. So ein Vorfall ließe auch die Angst der Menschen vor dem Wolf ansteigen. „Der Mensch passt aber nicht ins Beuteschema des Wolfes“, sagt Tripp. „Der Wolf jagt, um sich zu ernähren und nicht, um dem Menschen weh zu tun.“ Wer einem Wolf im Wald begegne, solle ihn verscheuchen, in die Hände klatschen, laut rufen. Wer sich dennoch fürchte, könne ein Tierabwehrspray bei sich tragen.