Schlagzeilenträchtige Ermittlungen, Fluchten und Pannen bringen Niedersachsens Justizministerium zunehmend unter Druck. Wird die Juristin Niewisch-Lennartz zur Belastung für die Landesregierung?
Hannover. Seit Monaten steht Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) in der Kritik der Opposition. CDU und FDP halten der 61-Jährigen vor, angesichts der aktuellen Schwierigkeiten im Amt hoffnungslos überfordert zu sein und Parlament und Öffentlichkeit nur zögerlich und unzureichend zu informieren. Niewisch-Lennartz wehrt sich gegen die Vorwürfe. „Die Ministerin hat einen starken Willen zur Gestaltung, einen langen Atem und preußisches Stehvermögen“, sagt Sprecher Alexander Wiemerslage.
Fakt ist: Die Justiz hat derzeit viele offene Baustellen – das offenbarten bereits die vielen Indiskretionen zur Zeit der Vorgängerregierung beim Verfahren gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Auch vermeintliche Pannen bei den Ermittlungen gegen den einstigen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy brachten die Opposition auf die Barrikaden und die Ministerin in die Kritik.
Nach der Flucht eines mutmaßlichen Sexualstraftäters im Mai in Lingen und der möglicher Vergewaltigung einer 13-Jährigen verstärkte sich der Druck auf das Ministerium. Die Umstände der Flucht eines Freigängers am Tag der Deutschen Einheit trugen kaum zur Änderung der Situation bei. Trotz eingehender Untersuchung von Gutachtern kommt es auf Freigängen immer wieder zu Fluchten. Kann man das der Ministerin anlasten? Nein, sagt selbst die Opposition – die sich dafür aber an der zögerlichen Unterrichtung von Parlament und Öffentlichkeit abarbeitet.
Anfang August hatte die Ministerin dann zugeben müssen, den Landtag in einer Debatte um die umstrittene Privatnutzung eines Dienstwagens durch den Präsidenten des Landgerichts Hannover falsch unterrichtet zu haben. „Die Ministerin bedauert dies“, entschuldigt ihr Sprecher.
Die CDU stellte 119 Fragen zum Thema – nach Erhalt der Antworten verschärfte die Landtagsfraktion ihre Kritik. Am Sonntag wetterte der CDU-Fraktionsvorsitzende Björn Thümler: „Das Ausmaß an Desinformation und Vertuschung gegenüber Öffentlichkeit und Parlament ist bei der rot-grünen Landesregierung weitaus größer als bislang angenommen.“ Kern des Vorwurfs: Aus den Antworten des Ministeriums ergebe sich, dass es weitaus mehr Dienstfahrten als bisher eingeräumt gegeben haben muss. Es seien viele neue Fragen hinzugekommen, sagte Thümler, der die Ministerin für eine Belastung der rot-grünen Regierung hält.
Auch wegen der Ermittlungen um die Kinderporno-Affäre des Ex-SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy geriet die Ministerin in die Kritik. Ihr oder ihrem Haus konnte aber kein fehlerhaftes Verhalten nachgewiesen werden.
Angriffsfläche für die Opposition bot die Ministerin schon früh mit geplanten Initiativen – etwa zur Streichung von Haftstrafen bei Kleinkriminellen. Angesichts hoher Kosten – 4000 Euro pro Monat und Häftling – sowie der geringen Chancen auf Resozialisierung stelle sich die Frage der Verhältnismäßigkeit, hatte sie erklärt. Nicht nur die Gewerkschaft der Polizei reagierte verschreckt. Diese warnte, der Wegfall von Haftstrafen würde bei Kleinkriminalität die Hemmschwelle senken.