Der erste Tag im Korruptionsprozess gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff vor dem Landgericht Hannover ist nach drei Stunden beendet worden. Wulff hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen.
Hannover. Im Korruptionsprozess gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff in Hannover ist der erste Verhandlungstag beendet. Richter Frank Rosenow schloss die Verhandlung am Donnerstag nach knapp drei Stunden.
Zuvor hatte Wulff rund eine dreiviertel Stunde lang die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen. „Die persönlichen Schäden, die meine Familie und ich erlitten haben, werden bleiben. Wahrscheinlich ein Leben lang“, sagte Wulff. „Ich erwarte jetzt, dass Recht gesprochen wird.“
Wulff räumte ein, 2008 bei Siemens-Chef Peter Löscher für das Filmprojekt „John Rabe“ geworben zu habe, das sein Freund David Groenewold finanziert habe. Das habe er aber getan, weil ihm das Thema sehr am Herzen gelegen habe. Der Brief an Siemens sei nicht von ihm persönlich erstellt worden. „Ich habe Tausende solcher Briefe in meiner Zeit als Ministerpräsident verschickt.“
Der Prozess wird nächsten Donnerstag mit der Vernehmung der ersten vier Zeugen fortgesetzt.
Am Donnerstagvormittag war die Anklage verlesen worden. Es dauerte nur wenige Minuten. Die Staatsanwaltschaft führte aus, dass Wulff sich den Erkenntnissen nach als Ministerpräsident korrupt verhalten haben soll, als er sich vom mitangeklagten Filmproduzenten David Groenewold 2008 zu einem Oktoberfestbesuch einladen ließ.
In der Folgezeit habe Wulff den Eindruck vermittelt, dass er für ein Filmprojekt Groenewolds um Sponsoring werben würde. Dies habe er im Dezember 2012 auch getan. Aus Sicht der Anklage ist auch eine Verurteilung wegen Bestechlichkeit denkbar.
Zur Verlesung der Anklage kam es am Morgen noch nicht, weil die Verteidigung des mitangeklagten Unternehmers Groenewold einen ersten Antrag stellte. Gerügt wurde, es seien zu wenig Plätze für normale Prozessbesucher vorhanden und zu viele für Journalisten. Die Sitzung wurde deswegen um kurz vor 10.30 Uhr für eine halbe Stunde unterbrochen.
Wulff vor Prozess zuversichtlich
Begleitet von riesigem Medieninteresse hatte am Donnerstagmorgen in Hannover der Korruptionsprozess gegen Christian Wulff begonnen. Anderthalb Jahre nach seinem Rücktritt als Bundespräsident steht Wulff wegen Vorteilsannahme vor Gericht. Der Vorsitzende Richter Frank Rosenow eröffnete das Verfahren um 10.10 Uhr.
Beim Eintreffen im Landgericht Hannover sagte Wulff: „Dies ist sicher kein einfacher Tag.“ Er betonte aber auch: „Ich bin mir ganz sicher, dass ich auch den allerletzten Vorwurf ausräumen werde, weil ich mich immer korrekt verhalten habe im Amt.“ Mit Wulff steht erstmals ein Ex-Staatsoberhaupt der Bundesrepublik vor Gericht.
Die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Hannover hat für das Verfahren 22 Verhandlungstage bis Anfang April kommenden Jahres angesetzt. 46 Zeugen sind geladen, darunter auch einige Prominente.
Thierse hat Mitleid mit Wulff
Das Strafverfahren gegen Christian Wulff empfindet Wolfgang Thierse als unverhältnismäßig. „Er ist ja durch den ganzen Vorgang, die ganze Affäre und seinen Rücktritt schon bisher durchaus bestraft“, sagte der ehemalige Bundestagsvizepräsident am Donnerstagmorgen im Deutschlandfunk.
Wulffs Verhalten beurteilt Thierse dennoch sehr kritisch: Er habe sein Privatleben für seine Karriere instrumentalisiert und den Eindruck hinterlassen, jeden Vorteil nutzen zu wollen. „Man hat sich ein bisschen fremdgeschämt damals, wie sich ein Politiker, ein Bundespräsident verhält, das war irgendwie des Amtes unwürdig.“
Die Medien seien in der Affäre nicht unschuldig. Sie hätten einen voyeuristischen Blick der Menschen angestachelt, sagte Thierse. Zwar sollten Politiker Vorbild sein, aber man sollte auch von ihnen nicht erwarten, dass sie Heilige und fehlerlos seien.
Es gibt ein Foto von Christian Wulff, das ist jetzt wieder oft zu sehen. Es zeigt ihn im Trachtenhemd, wie er mit einer Maß Bier in der Hand seiner Frau Bettina zuprostet, gelöst, lächelnd. Wenige Kilometer entfernt schläft im „Bayerischen Hof“ der gemeinsame Sohn, vier Monate alt, ein Babysitter passt auf. München leuchtet, es ist der 27. September 2008. Doch der nette Sonnabendabend auf der Wiesn holt Wulff nun fünf Jahre später wieder ein.
In Saal 127 des Landgerichts Hannover wird der München-Trip von Donnerstag an bis ins Kleinste seziert werden, monatelang: Was gab es zu essen? Wer bezahlte den Babysitter? Wurde der Wiesn-Besuch als Dienstreise des niedersächsischen Ministerpräsidenten abgerechnet oder als Privatausflug des jungen Ehepaares Wulff? „Dieser Prozess wird das Ereignis des Jahres werden – ein wahres Sittengemälde“, sagt der Politik- und Medienberater Michael Spreng.
22 Prozesstage hat das Landgericht Hannover angesetzt, um zu klären, ob Wulff sich mit seinem Wiesn-Besuch der Vorteilsannahme in seinem Amt als Ministerpräsident schuldig gemacht hat. Der spätere Bundespräsident war wegen der Ermittlungen im Februar 2012 zurückgetreten. Es ist das erste Mal, dass ein ehemaliges Staatsoberhaupt der Bundesrepublik vor Gericht steht.
Mit auf der Anklagebank sitzt der Filmproduzent David Groenewold, wegen Vorteilsgewährung. Er soll für Wulff in München 510 Euro Hotel- und Babysitterkosten übernommen und außerdem 209,40 Euro für ein Abendessen und den Festzeltbesuch gezahlt haben. Eine Einladung unter guten Bekannten – wo ist da das Problem? „Auch ein Ministerpräsident muss Freunde haben können und mit denen mal zum Essen gehen dürfen oder von ihnen eingeladen werden zu einem Aufenthalt beim Oktoberfest“, sagt der Strafrechts-Professor Uwe Hellmann von der Universität Potsdam. „Probleme tauchen immer dann auf, wenn diese Freundschaft auch noch eine geschäftliche Seite hat.“
Was bei Wulff und Groenewold der Fall war: Nur einen Tag nach dem Oktoberfest-Besuch soll der Filmproduzent den Ministerpräsidenten schriftlich gebeten haben, bei dem damaligen Siemens-Vorstandschef Peter Löscher für eines seiner Filmprojekte zu werben. Und Wulff soll dieser Bitte gut zweieinhalb Monate später auch entsprochen haben.
Doch mit dem Wiesn-Besuch ist am Ende nur ein einziger strafrechtlich relevanter Punkt auf der langen Liste der Vorwürfe gegen Wulff übrig geblieben. Die reichten vom günstigen Hauskredit bis hin zu Urlauben bei vermögenden Freunden wie dem Finanzberater Carsten Maschmeyer. Alles zusammen führte schließlich zu Wulffs Rücktritt als Präsident – nach zwei Monaten Dauerberichterstattung.
Als „Rudel-Journalismus“ bezeichnet „Stern“-Chefredaktionsmitglied Hans-Ulrich Jörges diese öffentlichen Erregungswellen. Er sieht Parallelen zwischen Wulffs Schicksal und dem des Limburger Bischofs Tebartz-van Elst. „Beide haben sich zu Opfern gemacht. Beide haben Fehler gemacht und sind auch zu Opfern gemacht worden“, analysierte der „Stern“-Chef kürzlich in Hannover. „Und beide haben sich dem ergeben und die Kraft nicht gehabt, sich zur Wehr zu setzen – und daran ist Christian Wulff wohl auch gescheitert.“
Es ist ruhig geworden um den Ex-Bundespräsidenten in den vergangenen Monaten. So abgehärmt wie kurz nach der Trennung von seiner Frau sieht er nicht mehr aus. Der 54-Jährige lebt seitdem in einer Altbauwohnung in Hannover, unweit von Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Wulff nimmt ausgewählte Einladungen als Redner an, etwa zu einer Tagung der Deutsch-Japanischen Gesellschaften. Mit seinem inzwischen fünf Jahre alten Sohn zeigte er sich erst kürzlich im Fußballstadion bei Hannover 96. Und seine Noch-Ehefrau Bettina lächelte doch tatsächlich beim diesjährigen Oktoberfest wieder gut gelaunt in die Kameras, an ihrer Seite ein neuer Mann.
Nun wird das Leben der Wulffs im Gericht wieder aufgerollt werden, doch es bleibt die Frage: Will man darüber wirklich noch etwas wissen? Gehören Details aus dem Privatleben des früheren deutschen Bundespräsidenten tatsächlich in einen Gerichtssaal? Wulff hätte die Chance gehabt zu vermeiden, sich wie kaum ein anderer deutscher Prominenter öffentlich zu entblößen. Er tut es freiwillig.
Das Angebot der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens gegen 20.000 Euro lehnte er ab. Er will für einen Freispruch kämpfen. „Wir haben intern gerungen, und der Mandant hat auch gerungen“, sagt Wulffs Verteidiger Michael Nagel kurz vor Prozessbeginn in der ARD.
Co-Verteidiger Bernd Müssig ergänzt, Wulff habe Angst vor dem Bild, als erster Bundespräsident auf der Anklagebank zu sitzen: „Aber er braucht keine Angst davor zu haben, weil es wird dann auch der erste Bundespräsident sein, der freigesprochen wird.“ Politikberater Spreng meint dagegen: „Selbst wenn Wulff den Prozess gewinnen wird: Er wird ihm immens schaden.“