Konsens ist zumindest vorläufig gescheitert. Für Niedersachsens SPD und Grüne bleibt damit ein Wahlkampfthema erhalten.
Hannover/Berlin. Aufatmen bei den Sozialdemokraten und den Grünen in Niedersachsen: Die Konsensbemühungen zur Endlagersuche auf Bundesebene sind zumindest vorläufig gescheitert. Damit bleibt beiden Landesparteien in der Auseinandersetzung vor der Landtagswahl am 20. Januar ein Doppelthema erhalten, mit dem sie gegen CDU und FDP punkten wollen.
Die Frage: Wie ernst meint die Bundesregierung ihre Ankündigung, alternativ zum Gorlebener Salzstock im Wendland andere Endlagerstandorte für hoch radioaktiven Müll zu untersuchen? Und wie ernst nimmt Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) eigentlich sein Versprechen, das marode Endlager Asse bei Wolfenbüttel komplett auszuräumen?
Vor allem die Verhinderung eines Endlagers Gorleben im Wendland ist Teil der grünen Identität in Niedersachsen. Regelrecht alarmiert war die Landespartei deshalb, als der neue Bundesumweltminister Altmaier (CDU) im Frühsommer in seiner Berliner Altbauwohnung für den SPD-Bundesvorsitzenden und Amtsvorgänger Sigmar Gabriel und den Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, Vorvorgänger von Altmaier, kochte. Danach nämlich schien es erstmals seit Jahrzehnten ein Rezept dafür zu geben, einer Großen Koalition eine völlig neue Endlagersuche in Deutschland schmackhaft zu machen.
Gabriel und Trittin signalisierten Bereitschaft, einem Neuanlauf - sogar inklusive des Standorts Gorleben - zuzustimmen, sofern andere Fragen wie die Erkundung weiterer Standorte, Sicherheitskriterien und die Klärung der Federführung bei diesem Vorhaben einvernehmlich geklärt werden könnten.
Trittin und Gabriel hatten in ihren jeweiligen Amtszeiten erfolglos versucht, eine neue Endlagersuche anzustoßen. Ihnen war klar, dass die Zustimmung der anderen Bundesländer nicht zu haben sein würde, ohne dass Gorleben im Verfahren bliebe.
Dann aber blieb Altmaier einen kompromissfähigen Gesetzentwurf über Monate schuldig. Weswegen mit Blick auf die näher rückende Landtagswahl vor wenigen Tagen sogar der niedersächsische Umweltminister Stefan Birkner (FDP) nervös den "Stillstand der Gespräche" beklagte und den Bundesminister öffentlich anging: "Meine zeitlichen Vorstellungen decken sich nicht mit denen von Herrn Altmaier, sonst hätten wir nämlich längst ein Ergebnis."
Dieses Ergebnis aber wäre schwer verdaulich gewesen für SPD und Grüne in Niedersachsen. Der sozialdemokratische Spitzenkandidat Stephan Weil grenzte sich vor kaum mehr als einer Woche deshalb deutlich von seinem Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel ab: "Wir brauchen in Deutschland ein Endlager, das über jeden Zweifel erhaben ist. Und das kann Gorleben nicht sein."
Jetzt haben sowohl Trittin wie Gabriel mit Blick auf die näher rückende Landtagswahl die Signale aus den eigenen Parteien in Niedersachsen erhört und die Reißleine gezogen, die Gespräche mindestens für vorläufig gescheitert erklärt. Prompt begann am Wochenende das in solchen Fällen unvermeidbare Schwarze-Peter-Spiel. Altmaier forderte zur umgehenden Rückkehr an den Verhandlungstisch auf und warnte: "Alle Beteiligten können bei einer Fortdauer des Konflikts nur verlieren." Trittin konterte, die von Altmaier für den kommenden Donnerstag geplante große Konferenz mit den Ministerpräsidenten sei nur eine "Show-Veranstaltung" gewesen: "Wer drei Monate nichts getan hat, sollte anderen nicht Verzögerung vorwerfen." Jens Haude, Grünen-Landesvorsitzender, war die Erleichterung über das Scheitern der Endlagergespräche anzumerken. Altmaier habe sich "wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen" verhalten und ein "Endlager-Legalisierungsgesetz" für Gorleben dürfe es nicht geben: "Offenbar haben CDU und FDP kein echtes Interesse an einem Konsens."
Nicht beteiligt an den Versuchen der vergangenen Monate auf Bundesebene, die unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen, war lediglich die Linkspartei. Deren umweltpolitischer Sprecher im Niedersächsischen Landtag, Kurt Herzog, hält den Rückzug von Gabriel und Trittin für rein taktisch bestimmt: "Da sie sich nicht zu einem klaren Nein zu Gorleben bekennen, wollen sie die Entscheidung bis nach der Landtagswahl in Niedersachsen hinauszögern, um keine Wähler zu verprellen." Ob es für Bundesumweltminister Altmaier nach der Landtagswahl, aber immer noch früh genug vor der Bundestagswahl im September, noch ein neues Zeitfenster gibt, um zu verhandeln, ist ungewiss.
Dem Minister droht zusätzlicher Druck in der Frage, wie ernst er es meint mit dem Versprechen, rund 126 000 Fässer mit schwach und mittel radioaktivem Müll wieder aus dem maroden Endlager Asse bei Wolfenbüttel zu bergen. Auf Veranlassung des Berliner Ministeriums prüft das Bundesamt für Strahlenschutz (Bis) als Betreiber derzeit im Rahmen einer "Konzeptstudie", wie sich ein Verbleib der Fässer unter Tage und die sachgerechte Verfüllung des einsturzgefährdeten und von Wassereinbrüchen mittlerweile maroden Salzbergwerks auf Menschen und Umwelt auswirken würde. Mit dem Chef der Entsorgungskommission des Bundes, Michael Sailer, und dem Physikprofessor Joachim Breckow haben in den vergangenen zwei Wochen gleich zwei ausgewiesene Strahlenschutzfachleute Zweifel an der Machbarkeit der Rückholung angemeldet. Das Bundesamt agiert seit Jahren zwischen den Fronten. Einerseits hat die Behörde sich darauf festgelegt, dass der vom Atomgesetz vorgeschriebene sichere Einschluss der Abfälle für Hunderttausende von Jahren nicht gewährleistet werden kann in der Asse. Andererseits gibt es umfangreiche Vorbereitungen, um bei unkontrollierbaren Wassereinbrüchen ein Notkonzept zu realisieren. Es soll gewährleisten, dass die radioaktiven Abfälle so sicher wie möglich eingeschlossen werden können.