Nach dem Rücktritt meinten 80 Prozent der Bürger, dieser Bundespräsident habe den Ehrensold nicht verdient. Jetzt bekommt er bald noch mehr.
So sehr er auch hinter dem Geld her ist - auf diese zusätzlichen 18 000 Euro im Jahr würde Christian Wulff vermutlich gerne verzichten. Rührt die Erhöhung des Ehrensolds auf jährlich 217 000 Euro ab 2013 doch nur die Diskussion wieder auf, ob dieser Bundespräsident a. D. die großzügige Apanage überhaupt verdient.
Zur Erinnerung: Gerade 597 Tage hat sich Christian Wulff im höchsten Staatsamt halten können. Am 17. Februar gab er nach langem Hängen und Würgen auf. Allerdings erst, als ihm die Staatsanwaltschaft, die wegen Vorteilnahme gegen ihn ermittelte, damit drohte, seine Immunität aufheben zu lassen. So schmählich waren die Umstände dieses Rücktritts, dass 80 Prozent der Bundesbürger der Ansicht waren, dieser Präsident habe den Ehrensold moralisch nicht verdient, er solle gefälligst darauf verzichten.
Aber es ging ja nicht um die Moral, sondern um die Vollstreckung eines Gesetzes, das jedem Staatsoberhaupt diese lebenslange Unterhaltszahlung zuspricht, egal wie gut oder wie schlecht er seine Amtszeit ausgefüllt hat. Und Wulff, der unmittelbar vor seinem Amtsantritt noch die Absenkung des Ehrensolds gefordert hatte (O-Ton: "Ich denke, da muss ein Zeichen gesetzt werden!"), dachte zur Empörung der Öffentlichkeit nun gar nicht mehr daran, mit gutem Beispiel voranzugehen und zu verzichten. Nicht mal auf das Hauptstadtbüro, das jedem ehemaligen Bundespräsidenten samt Dienstwagen, Chauffeur und zwei persönlichen Mitarbeitern zur Verfügung steht.
Im Gegenteil. Wie man hört, empfindet Wulff die Räume, die man ihm zur Verfügung gestellt hat, als "Zumutung". Was man auf den ersten Blick beim besten Willen nicht nachvollziehen kann, denn das ehemalige Preußische Kultusministerium gehört zu den schönsten Bauten an der Wilhelmstraße, und die Lage - vis-à-vis der britischen Botschaft, nur wenige Schritte vom Brandenburger Tor entfernt - ist erlesen. Das scheint nicht zu reichen. Die CDU, klagte ein Wulff-Vertrauter, habe ihren einstigen Hoffnungsträger "unters Dach verbannt - mit Blick in den Hinterhof"! Wulff sei "furchtbar angeschlagen".
Das war nicht übertrieben. Als der 53-Jährige am 20. Juli erstmals wieder öffentlich in Berlin auftrat - er kam überraschend zur nationalen Feierstunde in die Gedenkstätte Deutscher Widerstand -, hatten die meisten Gäste Mühe, ihn wiederzuerkennen. Sie sahen einen Mann, der stark abgenommen hatte und frühzeitig ergraut und gealtert war. Sie erlebten das, was die "Süddeutsche Zeitung" anschließend als "Auftritt eines Gezeichneten" beschrieb. Unmittelbar davor war Wulff zum ersten Mal seit Monaten wieder fotografiert worden. Beim Ascot-Renntag an der Galopprennbahn in Hannover-Langenhagen. Die Resonanz war enorm. "Neue Brille? Neues Leben?", fragte der "Spiegel". Und der "Stern" meinte etwas mokant: "Wulff blickt ganz anders durch."
Tatsächlich sieht Christian Wulff dank der neuen Brille aus wie der Zwilling von Gary Oldman. Sie wissen schon, der Mann, der gerade in der Carré-Verfilmung "König, Dame, As, Spion" den George Smiley gespielt hat. Diese zähe graue Maus im MI 6. Aber obwohl Wulff jetzt wirkt wie eine wandelnde Fielmann-Reklame, ist die Brille vermutlich gar nicht von Fielmann, sondern, wie die Kenner der Materie festgestellt haben, eine Designerbrille. Aber bei einem wie Wulff entfaltet so eine edle Designerbrille eben nicht dieselbe Wirkung wie bei anderen Männern. Und damit ist irgendwie schon das ganze Drama dieses Mannes umrissen, der so unendlich große Pläne mit sich gehabt hat. Der, wie er selbst immer wieder betonte, aus eher unscheinbaren, ja, kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte und sich die Politik für seinen Aufstieg zunutze machte. Weil Wulff so zäh war, schaffte er es in Hannover auf den Stuhl des Ministerpräsidenten, weil er so berechenbar und farblos war, beförderte ihn die Kanzlerin ins Schloss Bellevue. Die Deutschen hätten schon damals lieber Joachim Gauck als Bundespräsidenten gesehen. Den blassen Wulff wollten sie nach einem wie Horst Köhler nicht.
Das höchste Staatsamt ist Christian Wulff einfach in den Schoß gefallen. Aus seiner Sicht mag das so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit gewesen sein. Hatte er in der CDU nicht eine ganze Ewigkeit auf seine Chance warten müssen? Und dabei sogar Demütigungen in Kauf genommen? Zum Beispiel durch Helmut Kohl, der ihn verachtete und auf einem Bundesparteitag niederträchtigerweise nötigte, das Niedersachsenlied zu singen? Damals hatte das erste angestrebte große Amt noch außer Reichweite gelegen. Damals hatte es immer nur geheißen, der Niedersachse sei der Traum aller Schwiegermütter. Ein Kompliment war das nicht. Um das zu begreifen, musste Wulff nur einen Blick auf Männer wie Michael Stich oder Johannes B. Kerner werfen, denen das Etikett auch anhing.
Bis zu seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten hat sich Wulff davon nicht lösen können. Er blieb reflexhaft unverbindlich. Ein Mann des Sowohl-als-auch, der glaubte, es sei möglich, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, ohne etwas zu riskieren. "Nett" war das Wort, das am häufigsten auf ihn angewendet wurde. Aber "nett" ist eben nicht die richtige Kategorie für das Staatsoberhaupt, von dem sich die Bürger Antworten auf ethische Fragen, wenn nicht gar Wertmaßstäbe erwarten. Oder, wie Oscar Wilde zu sagen pflegte: "Wir können jeden nett finden, der uns nichts angeht."
Wer den Bundespräsidenten Christian Wulff persönlich traf, erlebte einen überaus zugewandten Mann, der bestrebt war, jedem, dem er begegnete, etwas Freundliches zu sagen. Einen Mann, der am Ende vor allem durch seine 14 Jahre jüngere Frau modern wirkte, Bettina, die sich immer völlig ungezwungen bewegte, egal ob sie gerade im Weißen Haus oder für das Müttergenesungswerk unterwegs war. Dass Wulff - als Katholik - den Mut hatte, für eine wie sie sein Leben noch einmal umzukrempeln, war der einzige Hinweis darauf, dass dieser Mann auch mal die Füße von der Brandsohle ziehen konnte.
Wulff wirkte nicht nur wie ein Mann ohne Leidenschaften, er empfand sich offenbar auch selbst so. Auf die Frage, was er an sich am wenigsten möge, antwortete er einmal: "Dass ich darauf bedacht bin, mich niemals von großen Gefühlen übermannen zu lassen."
Immerhin sieht man ihm jetzt an, dass der Rücktritt und die Umstände, unter denen es dazu kam, nicht spurlos an ihm vorübergegangen sind. Das kantig gewordene Gesicht zeigt doch wenigstens, dass das nicht alles an ihm abgeperlt ist. Auf den Beweis dafür, ein Zeichen der Einsicht, ein Wort des Bedauerns, hatte man ja bislang vergeblich bei ihm gewartet.
Weggefährten von einst sagen, Christian Wulff sehe sich immer noch als Opfer. Er habe sich gekränkt abgekapselt und reagiere weder auf Anrufe noch auf SMS. Die seit seiner Präsidentschaft ruhende Mitgliedschaft in der CDU hat Wulff bislang offenbar auch nicht wieder aufleben lassen.
In Niedersachsen, wo im Januar eine Landtagswahl ansteht, versucht die CDU den größtmöglichen Abstand zwischen sich und den Gestürzten zu legen. David McAllister, der Wulff viel, wenn nicht alles zu verdanken hat - er beerbte ihn 2003 als Landtagsfraktionsvorsitzender, 2008 als Landesvorsitzender und wurde 2010 Ministerpräsident, als sein politischer Mentor zum Bundespräsidenten gewählt wurde -, war jedenfalls nicht dabei, als Wulff im Juni seinen Geburtstag zu Hause in Großwedel feierte (in dem Klinkerbau, den seit Wulffs Kreditaffäre jeder Deutsche vor Augen hat). McAllister erklärt das Jahr 2012 übrigens immer wieder gern zum "Jahr der Sacharbeit", die Causa Wulff soll keinen Schatten auf den Wahlkampf werfen.
Ob das gelingt, steht noch in den Sternen. Jedenfalls hat die Staatsanwaltschaft Zugang zu allen Festplatten und Datenträgern auf den Dienstcomputern, die sie Anfang Februar bei Wulffs ehemaligem Regierungssprecher und Intimus Olaf Glaeseker beschlagnahmt hatten, wie gestern bekannt wurde. Erste belastbare Ergebnisse will die Staatsanwaltschaft im Herbst bekannt geben. Dann will sie auch über eine mögliche Anklage gegen Wulff im Verfahren wegen Vorteilsnahme entscheiden. Dabei geht es um einen gemeinsamen Sylt-Urlaub Wulffs mit dem Berliner Filmproduzenten David Groenewold.
Dass für Christian Wulff Geld eine starke Triebfeder gewesen ist, ließ sich an der Auswahl seiner "Freunde" ablesen. Zu denen gehörten neben Groenewold auch Männer wie Egon "Bubi" Geerkens, Versicherungsmanager Wolf-Dieter Baumgartl oder Partykönig Manfred Schmidt. Leute völlig anderer finanzieller Kragenweite.
Christian Wulff hat es gefallen und geschmeichelt, von ihnen hofiert zu werden, bei den Schönen und Reichen dabei zu sein.
Die eigene Welt war ihm nicht genug. Nun muss er die bittere Erfahrung machen, dass er mehr Geld erhält, als er je zu haben hoffte, aber dass Geld allein nicht glücklich macht.