Besorgte Bürger werfen Bundesumweltminister Röttgen (CDU) vor, die Bergung der radioaktiven Fässer im maroden Atomlager zu verschleppen.

Remlingen. Norbert Röttgen muss erst einmal zum „Verhör“, bevor er runter in die Asse fahren darf. Hastig werden Biertische und -bänke zusammengestellt. „Warum ist so viel Polizei hier“, fragt eine Bürgerin den Bundesumweltminister vor dem Bergwerk, in dem radioaktiver Müll das Grundwasser zu verseuchen droht. „Haben Sie Angst vor uns?“ Röttgen sagt, er habe die Beamten nicht bestellt.

Einige Bürger pfeifen, eine Frau zeigt ihm Schuhe als Zeichen ihrer Verachtung. Die meisten, die am Montag den CDU-Minister vor dem maroden Atomlager abfangen, wollen vor allem eines: Antworten. Röttgen ist um Entspannung und Angebote bemüht. „Keiner hat Interesse an einer Verschleppung“, sagt er und verspricht: Er wolle die 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Müll schnellstmöglich aus der Asse bergen lassen. „Es arbeiten alle daran, dass es so raus kommt, dass keine Menschen gefährdet werden.“ Aber er muss sich fragen lassen, warum er erst nach fast zweieinhalb Jahren im Amt das drängendste Umweltproblem Deutschlands in Augenschein nimmt.

Rentner und Anti-Atom-Aktivist Jörg Neumann hat ein Transparent mit der Aufschrift: „Röttgen bring in Ordnung, was Deine Atomlobby versaut hat.“ Neumann ist kritisch wie viele hier. Er hat die Sorge, dass der Minister einmal vorbeischaut und dann weiter nichts passiert: „Er ist ein Schwätzer und Trickser." Keineswegs dürfe es soweit kommen, dass man sagt: Eine Bergung ist nicht machbar, wir verfüllen die Asse. „Der Bergdruck drückt dann das Wasser, das eindringt, nach oben“, befürchtet der 67-Jährige. Dann könne viel Radioaktivität in die Umwelt gelangen und das Grundwasser der Region verseuchen. Die Bürger hier leiden bereits unter einem starken Wertverfall ihrer Häuser und Grundstücke.

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Unten in 750 Metern Tiefe kommt Röttgen mächtig ins Schwitzen. Ihm rinnt in den heißen Stollen der Schweiß übers Gesicht. Vor Kammer 12 gibt es einen radioaktiven Laugensumpf durch die Wassereintritte. Röttgen verfolgt aufmerksam die Ausführungen des Präsidenten des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König. Er fragt ihn für einen Minister teils überraschende Dinge: Etwa, wem die Asse gehöre (dem Bund), seit wann das BfS die Verantwortung hat (2009) und wie viele Mitarbeiter das ihm untergeordnete BfS habe (750).

Und ob König auch zu Bürgerversammlungen gehe, um auf die Ängste der Menschen einzugehen, will Röttgen wissen. König, der hier recht präsent ist und von den Bürgern geachtet wird, sagt: „Es ist wichtig, Gesicht zu zeigen.“ Die Bürger oben hatten Röttgen daher gleich bei seiner Ankunft aufgefordert, das BfS und König, der Grünen-Mitglied ist, nicht im Zuge der neuen Endlagersuche zu entmachten. Röttgen verspricht: „Das BfS wird nicht geschwächt und nicht zerschlagen.“

Der Minister fremdelt bisweilen etwas. Einem Bergmann, der ihn mit „Glück auf“ begrüßt, antwortet Röttgen: „Guten Tag“. Aber er legt die Basis, dass es nun vielleicht schneller voran gehen könnte, er wirkt hinterher sichtlich betroffen: „Das rührt einen, wenn eine Mutter von Kindern unter Tränen ihre Ängste zum Ausdruck bringt." Erstaunt bleibt der Minister im engen Stollen vor riesigen Stahlträgern stehen, die der Berg durch den Druck in alle Richtungen wie ein Gummiband verbogen hat. Das gibt einen Eindruck, wie sehr die Zeit drängt. „Unsere Scheinwerfer leuchten nur zehn Jahre nach vorn“, betont König. So lange könne man den Schacht sicher stabilisieren.

Das Problem: Keiner weiß, wie es in den Kammern aussieht, wo der Müll lagert. Hat der Berg die Fässer schon zermalmt? Hat sich die radioaktive Fracht schon im Wasser aufgelöst? Vor Kammer 7 steht seit Monaten ein riesiger roter Bohrer, um die Kammer anzubohren. Eine am Bohrer befestigte Kamera soll erste entscheidende Einblicke geben. Doch wie kann die Antwort der Politik aussehen? 32 Auflagen und1400 Arbeitsschritte müssen erfüllt werden – das bremst, allein 1000 Seiten umfassen die Bohrauflagen. SPD und Grüne fordern, mit Hilfe des Gefahrenabwehr-Paragrafen des Atomrechts mehr Tempo. Womöglich wird es auch eine „Lex Asse“ geben, ein Sonderrecht für ein weltweit einmaliges Projekt.

Experten hegen zunehmend Zweifel daran, ob nicht doch nur eine Verfüllung des Stollens bleibt. Denn wie lange hält das Lager noch? Wer soll die Milliarden für die Bergung aufbringen? Zudem müsste man einen neuen Schacht und – über Tage – ein mehrere Fußballfelder großes Zwischenlager bauen, um dort den Müll zunächst zu lagern. Insgesamt wird von 100.000 Kubikmetern ausgegangen, die zu bergen sind. 30 bis 40 Jahre könnte das dauern. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der hier seinen Wahlkreis hat, betont: „Das eigentliche Elend ist, dass in der Asse nichts ohne Druck geht.“ Alles bedürfe stets öffentlicher Proteste. „Das macht den Menschen da das Leben sehr schwer.“ (dpa)