Bundesumweltminister Röttgen kündigt bei seinem ersten Besuch im maroden Salzbergwerk rasche Bergung des radioaktiven Abfalls an.
Remlingen. Fast zweieinhalb Jahre hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) einen großen Bogen gemacht um das marode Atomendlager Asse bei Remlingen in der Region Wolfenbüttel. Die Anwohner fühlten sich im Stich gelassen und argwöhnten, der Minister wolle sich nicht die Finger verbrennen an der Altlast. Gestern aber kam Röttgen und sah nicht nur das Desaster unter Tage mit eigenen Augen, sondern siegte bei den Menschen mit einer unerwartet eindeutigen Festlegung: Der Müll muss wieder raus - auch wenn das teuer wird.
SPD-Landrat Jörg Röhmann geriet nach dem Gespräch mit Röttgen ins Schwärmen über den Gast, er zitierte ein chinesisches Sprichwort: "Das wärmt zwei Winter lang, das gibt Hoffnung und Mut und baut auf." Selbst Udo Dettmann von der örtlichen Bürgerinitiative ist nach dem jahrzehntelangen Kampf gegen desinteressierte Bundespolitiker zwar skeptisch, aber auch angenehm überrascht: "Der Minister hat deutlich gemacht, dass ihn das Problem in der Region stark berührt."
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Dass der Minister so deutlich Position beziehen würde, überraschte eigentlich alle Beteiligten. Dem Chef des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, war die Nervosität deutlich anzumerken gewesen, als er zuvor seinen obersten Vorgesetzten durch die Stollen führte, ihm radioaktiv verseuchte Laugenwässer vor den Einlagerungskammern vorführte, die Fehler der Vergangenheit benannte und die aktuellen Probleme schilderte bei den angelaufenen Arbeiten zur Rückholung von 126.000 Fässern mit schwach- und mittelaktivem Müll. Unter Tage wirkte der Minister einsilbig, und die konkreteste Frage drehte sich darum, wie man es denn überhaupt geschafft habe, ganze Autos und riesige Maschinen in Tiefen von bis zu 900 Metern zu bringen.
Nach einem Gespräch hinter verschlossenen Türen mit der Begleitgruppe aus Kommunalpolitikern und Umweltaktivisten legte sich Röttgen vor Journalisten fest: "Der Müll muss schnellstens raus, es arbeiten alle dran, dass er so rauskommt, dass keine Menschen gefährdet werden." Balsam für die Anwohner war Röttgens vernichtende Einschätzung der Vergangenheit mit der Einlagerungsphase der Fässer zwischen 1967 und 1978: "Das war eine unbegreifliche Verantwortungslosigkeit, die im Schacht mit Händen zu greifen ist." Er möchte sogar geklärt wissen, ob Vorsatz im Spiel war bei einem Vorgang, den er einen Skandal nennt: "Das muss aufgearbeitet werden."
Tatsächlich haben damals die Verantwortlichen gegenüber der Bevölkerung den Eindruck erweckt, entsprechend dem Titel eines Versuchsendlagers wolle man unterirdisch die Lagerung der gefährlichen Abfälle nur ausprobieren, aber am Ende das gefährliche Material wieder aus der Grube entfernen. Tatsächlich wurde direkt vor dem Ende der Einlagerungsphase noch einmal besonders viel Atommüll herangekarrt und verbuddelt, den Warnungen aus der Bevölkerung zum Trotz, früher oder später werde die Asse wie ihre beiden Nachbargruben absaufen.
Jetzt also wird die Rückholung konkret geplant, aber immer mit der Einschränkung, dass sich jederzeit unkontrollierbare Wassereinbrüche ereignen können, die dann nur noch Notfallmaßnahmen zulassen. Bereits jetzt laufen rund 12.000 Liter Wasser täglich in das Grubengebäude, werden aufgefangen und entsorgt. BfS-Präsident König begründete im Gespräch mit Minister Röttgen auf der 750-Meter-Sohle nach einem nachdenklichen Blick auf das sie umgebende Salz, warum man sich auch auf einen solchen Fall konkret vorbereite: "Wir wissen nicht, was hinter dieser Wand hydrogeologisch abläuft."
Weil er für die geplante Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Müll ein eigenes Bundesinstitut gründen will, sieht sich Röttgen seit Tagen dem Verdacht ausgesetzt, er wolle das BfS entmachten. Dem widersprach Röttgen gestern mit einer regelrechten Ehrenerklärung für das Bundesamt und der Zusicherung, es bleibe ohne Einschränkungen zuständig für die Asse: "Ich habe kein Interesse an einer Verschleppung." Und er widersprach ausdrücklich Berichten, er wolle das neue Bundesinstitut in seinem eigenen Wahlkreis in Nordrhein-Westfalen ansiedeln. Er sieht sich wegen der Gründungspläne bereits mit der Drohung des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel konfrontiert, deshalb die Gespräche über einen großen Konsens bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Müll zu torpedieren.
Im Bundesumweltministerium wird jetzt ein eigenes Asse-Referat eingerichtet, und es wird auch zu prüfen haben, ob es ein eigenes Asse-Gesetz geben muss. Seit das Bundesamt vor drei Jahren die Verantwortung für das marode Endlager übernommen hat, gilt das Atomrecht. Das garantiert der Bevölkerung deutlich mehr Transparenz, aber erschwert gegenwärtig auch die Entwicklung neuer Prozesse und Verfahren für die Rückholung der Abfälle. Und neu gedacht werden muss alles, es gibt weltweit keinen Präzedenzfall für das Vorhaben, ein ganzes Endlager in einer Tiefe von bis zu 750 Metern wieder auszuräumen. Eben wegen der vielen Auflagen der Atomaufsicht haben noch nicht einmal die Probebohrungen begonnen, die Aufschluss bringen sollen darüber, in welchem Zustand sich die Fässer in den Lagerkammern befinden.
Klar ist: Die Rückholung wird Milliardensummen kosten und wird, so BfS-Chef König, "eine Aufgabe für Jahrzehnte". Aus seiner Sicht die vielleicht wichtigste Botschaft des gestrigen Tages: "Wir kriegen alle Unterstützung, die wir brauchen, auch die Ressourcen."