Herrenhäuser in Mecklenburg und Vorpommern haben widrigen Zeiten getrotzt. Nun öffnen die Schmuckstücke ihre Türen wieder für Besucher.
In zartblauem Licht, sparsam garniert mit hingehauchten Schleierwölkchen spannt sich der Himmel über die Weite der sommerlichen Landschaft. Getreidefelder wogen bei strahlender Sonne im Wind. Manche Felder sind schon abgeerntet, oft riecht es nach frischem Heu. Als ich Richtung Osten fahrend und hinter Wismar die Ostseeautobahn 20 Richtung Süden verlasse, ziehen riesige Mohnfelder vorüber, in deren sattes Rot zahllose Kornblumen kleine Inseln mit blauen Tupfen bilden.
Die Landstraße windet sich durch Wäldchen, Wiesen und Weiden, und dass ich mich wohl etwas verfahren habe, stört mich kein bisschen, denn immer wieder werde ich durch den wohltuenden Schatten belohnt, den Linden, Rosskastanien und Eichen spenden, die sich wie gotische Dächer über die Straße wölben. „Schön, aber gefährlich“, warnt ein Schild auf jenen Alleen, für die Mecklenburg-Vorpommern berühmt ist. Und dann, bald nach einer scharfen Biegung, öffnet sich in dem Dorf Kurzen Trechow der Blick über die sanfte Endmoränenlandschaft am Ufer eines Sees auf die Burg Trechow, einen stattlichen Granitbau in Renaissanceformen mit jahrhundertelanger Geschichte.
Christian Schirmning gehört Burg Trechow seit 2004
Gleich am Portal begrüßt mich Christian Schirning, der Schlossherr, ein sympathischer Endfünfziger, der samt Familie seit Anfang der 1990er-Jahre hier lebt, seit 2004 als Eigentümer. „Das war eine Heimkehr, denn meine Familie ist seit 1000 Jahren in Mecklenburg ansässig. Mein Großvater war Hennecke von Plessen, der bis 1945 hier lebte“, sagt Schirning, der das denkmalgeschützte Gebäude seit 2004 Schritt für Schritt restauriert. Zu fast jedem Detail kann Schirning Anekdoten erzählen, die immer wieder den Bogen zur großen Geschichte spannen, einer Historie, die eigentlich nach 1945 hätte zu Ende gehen sollen.
Dass es Burg Trechow wie etwa 2000 weiterer Schlösser zwischen Ostsee und Mecklenburger Seenplatte heute überhaupt noch gibt, grenzt an ein Wunder: Nach dem Willen der kommunistischen Machthaber sollten eigentlich alle Schlösser, Guts- und Herrenhäuser nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet der späteren DDR verschwinden. Die Besitzer hatte man enteignet, die meisten Schlossherren waren mit ihren Familien in den Westen geflohen, bevor die Sowjetische Militäradministration 1947 den Befehl Nummer 209 erlassen hatte, nachdem die „Baulichkeiten ehemaliger Gutsbesitzerhöfe“ abgerissen werden sollten, um Baumaterial für die Häuser bisher landloser Bauern zu gewinnen.
Mehrere Tausend Schlösser wurden zerstört
Dass dies in der Praxis meist nicht funktionierte, war den Funktionären egal. „Die Zwingburgen müssen fallen“, war das Motto einer Zerstörungsaktion, der insgesamt mehrere Tausend Schlösser zum Opfer fielen, nicht wenige davon in Mecklenburg-Vorpommern. Nachdem die Aktion 1949 gestoppt wurde, nutzte man die noch immer zahlreichen übriggebliebenen Schlösser für die verschiedenste Zwecke, als Dorfladen, Kindergarten oder Altenheim, Kneipe oder Jugendklub, Versammlungsraum, Lager oder Büro. Da in den 40 DDR-Jahren aber fast nichts für die Werterhaltung getan wurde, blieben am Ende oft nur Ruinen übrig.
Moderner Charme trifft auf historischen Charakter
Glücklicherweise ist auch das heute Geschichte, denn die meisten dieser einst so vernachlässigten herrschaftlichen Bauten konnten inzwischen gerettet werden, stehen oftmals Besuchern offen und prägen wieder wie schon seit Jahrhunderten die alte Kulturlandschaft im Nordosten. Oft, aber keineswegs immer sind es die Nachfahren der ehemaligen Eigentümer, die sich dieser über Jahrzehnte hinweg vernachlässigten oder gar mutwillig beschädigten Gebäude annehmen und ihnen eine Zukunft ermöglichen.
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Das von einem sechs Hektar großen Park mit Wiesen, knorrigen Bäumen und stillen Teichen umgebene Barockschloss Vietgest, das ich nach einer Dreiviertelstunde Fahrt in Richtung Südosten erreiche, liegt in der Gemeinde Lalendorf und wird heute von dem Hamburger Ehepaar Miriam und Helge Jan Hager betrieben. „Das Timing war nicht besonders gut“, sagt die Schlossherrin, als sie von der Eröffnung des Anwesens als Schlosshotel und Eventlocation berichtet, die im Jahr 2020 mitten in die beginnende Corona-Pandemie fiel.
Ohne Enthusiasmus geht es natürlich nicht
Doch mit viel Enthusiasmus, Ideenreichtum und erheblichen finanziellen Mitteln ist es dem Ehepaar gelungen, allen Widrigkeiten zu trotzen und das im späten 18. Jahrhundert erbaute Schloss, das sie von einem Vorbesitzer äußerlich schon saniert übernommen hatten, auch innen Schritt für Schritt zu restaurieren. Dabei ging es den Hagers darum, ein Ambiente zu schaffen, das dem historischen Charakter gerecht wird, zugleich aber einen großzügig-modernen Charme aufweist. Wer will (und noch nicht hat), kann hier sogar heiraten, zumindest aber nobel übernachten oder zum Beispiel im großartig restaurierten Barocksaal mit 4,80 Meter Raumhöhe ein Konzert hören und anschließend einen ausgedehnten Spaziergang durch den Park unternehmen.
Ohne Enthusiasmus geht es natürlich nicht, aber um ein Schloss für die Zukunft zu retten, ist eines sogar noch wichtiger: ein tragfähiges Nutzungskonzept. Davon erzählt mir Robert Uhde, der das nur etwa sechs Kilometer entfernte neogotische Herrenhaus Vogelsang 2010 gemeinsam mit seiner Frau in ruinösem Zustand erworben hat, um es Schritt für Schritt zu restaurieren. Wie mühsam manche dieser Schritte gewesen sein mögen, kann man beim Blick auf den zweigeschossigen verputzen Backsteinbau ermessen, der 1379 erstmals urkundlich erwähnt wurde, in seiner heutigen Form aber aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt. Nach einer Notsanierung konnten die Uhdes das Gebäude mit seinem morbiden Charme nach und nach für die Öffentlichkeit zugänglich machen.
Ganz anders: Schloss Kummerow am Kummerower See
An Übernachtungen oder die Nutzung als Schlosshotel ist jetzt natürlich nicht zu denken, dafür gibt es aber häufig Veranstaltungen wie Kutschfahrten, Konzerte, Shows, Festmahle und Lesungen, bei denen sich der morbide Charme des historischen Gemäuers wunderbar entfalten kann. „Vor ein paar Jahren zog es sogar die in Korea schwer angesagte Boygroup VAV hierher, um in unserem Schloss ein Musikvideo zu drehen“, erzählt Robert Uhde, und fügt schmunzelnd hinzu, dass die Macher Vogelsang dafür allerdings in eine schottische Landschaft versetzt haben.
Ganz anders, nämlich in barocker Pracht zeigt sich das eine knappe Fahrtstunde entfernt an der Südseite des Kummerower Sees gelegene Schloss Kummerow, das im Jahr 1730 vollendet wurde. Der großzügig angelegte Landschaftspark, der das Schloss umgibt und sich bis zum Seeufer hinzieht, ist ein Werk des Gartenkünstlers Peter Joseph Lenné. Während der Kummerower See, mit 32 Quadratmetern der größte in Vorpommern, an heißen Tagen zum Schwimmen einlädt, steht das Schloss ganz im Zeichen der Kunst. Genauer gesagt der Fotokunst, denn seit dem Jahr 2016 wird hier auf einer Ausstellungsfläche von mehr als 2000 Quadratmetern eine der interessantesten fotografischen Privatsammlungen Deutschlands präsentiert.
Im Jagdschloss Kotelow erinnert nichts mehr an die DDR-Ära
Interessant ist auch die ausgesprochen geglückte Restaurierung der Schlossanlage, bei der es den privaten Besitzern nicht darum ging, den barocken Zustand des 18. Jahrhunderts wiederherzustellen, sondern unterschiedliche Zeitschichten sichtbar werden zu lassen. So sind zum Beispiel in einigen Räumen noch Reste der Ausmalung aus der DDR-Zeit mit politischen Symbolen und Propagandaparolen zu sehen, die manchmal auch Anlass zum Schmunzeln bieten. „Thälmann-Pioniere halten Freundschaft mit anderen Völkern“, liest man zum Beispiel auf einer barocken Supraporte.
Im Jagdschloss Kotelow erinnert dagegen buchstäblich nichts mehr an die DDR-Ära, in der sich auch dieses barocke Herrenhaus in desolatem Zustand befunden hatte. Erbaut wurde es 1733 von der weit verzweigten Familie von Oertzen, an die noch einige Grabsteine auf dem nahe gelegenen malerischen Friedhof neben der Dorfkirche erinnern.
Umgeben von alten Gehölzen, weiten Wiesen und Weiden und einer schnurgeraden Allee, die zu Spaziergängen einlädt, wirkt das Jagdschloss mit seinen leuchtend-weißen Fassaden und dem roten Walmdach wie aus der Zeit gefallen. „Hier war die Dorfkneipe, hier der Konsum“, sagt die freundliche Verwalterin, als sie mir die ebenso geschmackvoll wie stilsicher möblierten Räume dieses Hauses zeigt, dessen eigentliche Ausstattung allerdings komplett verloren war.
Auf Auktionen und im Kunsthandel haben die heutigen Eigentümer alle Möbel und Accessoires erworben, mit denen die Salons und Säle und die wenigen Hotelzimmer dieses Schlösschens bestückt sind, das heute den Charme eines englischen Landsitzes verströmt. Anders als die Familie Oertzen gehen die heutigen Gäste freilich nicht mehr zur Jagd, dafür genießen sie die Stille der vorpommerschen Landschaft bei Wanderungen oder Spaziergängen, um vielleicht am Abend beim Dinner auf der Terrasse oder bei einem anschließenden Glas Wein am Kamin schon die nächsten Besuche auf einem der zahlreichen Schlösser in Mecklenburg-Vorpommern zu planen, die die widrigen Zeiten zum Glück überdauert haben und Gästen nun wieder offenstehen.