Lüneburg. Die Lüneburgerin Nike Steiger segelte drei Jahre um die Welt. Heute macht sie mit ihrer Firma aus Meeresmüll Surfboardfinnen.

Berenike Steiger war im Paradies, als sie merkte, dass es kein Paradies mehr gibt auf der Welt. Weißer Sand, türkisfarbenes Wasser, Korallen, Palmen. Und Plastik. Überall Plastik. Als die Seglerin in der Karibik einmal kurzerhand einen Strand aufräumte und am nächsten Morgen schon wieder ein Sack voller Müll da lag, da änderte sich etwas in ihrem Leben. Aus einer Reise wurde ein Beruf. Und seit einem Jahr ist die 41-Jährige Geschäftsführerin eines Unternehmens, das Meeresmüll in Gebrauchsgegenstände verwandelt.

Aufgewachsen in Lüneburg, hat Berenike Steiger, die sich selbst lieber Nike nennt, Betriebswirtschaftslehre in Trier und Greifswald studiert, danach als Marketingleiterin in Hamburg gearbeitet. Bis die große wofür-Frage in ihr hochkroch. Und sie auf die Frage, was sie tun würde, wenn sie tun würde, was sie wirklich tun wolle, antwortete: „Mir ein Segelboot kaufen und um die Welt segeln.“

So kann man leben? Auf einem Boot? Auf dem Meer, mit dem Meer? Immer woanders?

Segeln konnte sie bereits, Geld hatte sie gespart. Und der Traum vom Meer war ohnehin schon viel älter. Sie ist ungefähr 16 Jahre alt gewesen, als sie Segelboote gesehen hatte mit Pflanzen an Bord, mit Wasserkanistern und Solarpaneelen. Und sich fragte: So kann man leben? Auf einem Boot? Auf dem Meer, mit dem Meer? Immer woanders?

Nike Steiger entdeckte auf ihrer dreijährigen Segeltour traumhafte Strände – und massenweise Plastikmüll.
Nike Steiger entdeckte auf ihrer dreijährigen Segeltour traumhafte Strände – und massenweise Plastikmüll. © HA | steiger

Nach noch einmal 16 Jahren tat sie schließlich genau das. Drei Jahre reiste sie, umsegelte die westliche Karibik. Bis sie gemeinsam mit ihrer Segelfreundin Maria LaPointe (42), aus Kanada und in der Karibik kennen gelernt, den Strand auf den westlichen Kokosinseln in Guna Yala bei Panama aufräumte und am nächsten Morgen schon wieder so viel Müll angeschwemmt worden war, dass die beiden gleich den nächsten Sack füllen konnten.

„Die Plastikflut ist überwältigend. Die Ohnmacht, nichts dagegen tun zu können, auch.“ Aus Mangel an Alternativen hatten die beiden den Müll damals am Strand verbrannt. „Ich fühlte mich total machtlos. Das war schlimm“, sagt Nike Steiger heute. „Aber was sollten wir sonst tun?“

Firma finanziert sich über Spenden

Heute hat sie Antworten auf diese Frage. Gemeinsam mit LaPointe gründete sie die gemeinnützige Unternehmensgesellschaft „In Mocean“. Die Firma finanziert sich über Spenden und unterstützt Menschen dabei, Meeresmüll in Gebrauchsgegenstände zu verwandeln: Dinge wie Frisbees, Brillengestelle, Karabinerhaken, Knöpfe, Surfboardfinnen. „In Mocean“ kauft Maschinen, die Polyethylen und Polypropylen zerschreddern und zu einer formbaren Masse machen. Sie schulen Einheimische darin, wie sie die Maschinen bedienen und was sie damit anfangen können, was alles werden kann aus all dem Müll an ihren Stränden. Überlegen gemeinsam mit ihnen, welche Vertriebskanäle für die Produkte sich anbieten. Insgesamt drei Monate arbeiten Nike Steiger und Maria LaPointe an jedem dieser Werkstätten, bis sie weiterziehen zum nächsten. Da sie selbst auf ihren Booten nur wenig Plastik transportieren können, gehört zu „In Mocean“ mittlerweile auch eine Flotte aus Segelbooten, die durch die Weltmeere fahren, Plastik sammeln und verwerten.

Die Projekte laufen vor allem an den Küsten Costa Ricas und Panamas, bald sollen El Salvador und Mexiko folgen. Geplant ist für nächstes Jahr außerdem eine Kooperation mit dem Hamburger Möbelhersteller Jan Cray, der just eine Dependance im Landkreis Lüneburg aufgemacht hat: eine Werkstatt mit Showroom in Radbruch.

Über Müllvermeidung lässt sich so wunderbar klug sprechen

Mii „In Mocean“ schult Steiger Menschen in betroffenen Ländern
Mii „In Mocean“ schult Steiger Menschen in betroffenen Ländern © HA | steiger

Denn: Über Müllvermeidung lässt sich so wunderbar klug sprechen, wenn der eigene Müll mindestens alle zwei Wochen von jemand anderem abgeholt wird – und anschließend mit allen Regeln der Entsorgungskunst von unserer Bildfläche verschwindet. Was aber, wenn es niemanden gibt, der den Müll ganz selbstverständlich und pünktlich abholt? Und es nur eine ungeregelte Müllkippe gibt? „Dann“, sagt Nike Steiger, „muss man sich klar machen, dass auch Müll seinen Wert hat.“

Mit diesem Gedanken ist sie im Süden Hamburgs nicht allein. In der Tagesstätte Harburg-Carrée, Träger ist die Leben mit Behinderung Hamburg Sozialeinrichtungen gGmbH, werden Plastikdeckel und Verschlüsse von Flaschen gesammelt. Die Beschäftigten sortieren die Deckel nach Farbe und Art, danach wird geschreddert. „Unsere Beschäftigen haben damit eine sinnhafte Aufgabe, die sich mit aktuellen Themen auseinandersetzt und deren Ergebnisse anfassbar sind“, sagt Tagesstätten-Leiter Felix Schulz (34).

„Traceless Materials“ mit Sitz in Buchholz entwickelt Material-Alternativen

„PolyMehr“ heißt das Projekt, startete 2019 mit einer Förderung aus dem Hamburger Klimafonds und hat mittlerweile Kooperationspartner von der TU Harburg bis zur Initiative Fab City Hühnerposten, die die Vision von lokaler Kreislaufwirtschaft vorantreiben will.

Und es geht auch noch einen Schritt weiter: Das vor zwei Jahren von Anne Lamp (31) und Johanna Baare (32) gegründete, bereits mehrfach ausgezeichnete Unternehmen „Traceless Materials“ mit Sitz in Buchholz entwickelt Material-Alternativen, die wie Kunststoff zu verwenden und kompostierbar sind – und völlig frei von Plastik.