Amt Neuhaus . Bauer Jürgen Voß bietet es als einer von wenigen Höfen an. In diesem Jahr ist sein Angebot besonders gefragt.
Laura ist die Oberkuschlerin. Das hatte Landwirt Jürgen Voß noch gesagt, bevor ich zu der Schwarzbunten ins Stroh gegangen bin. Jetzt sitze ich neben ihr, lehne meinen Kopf an ihren warmen Kuhkörper, streichele sie unterm Hals und kraule sie hinter ihren Ohren. Sie kaut, und dieses gluckernde Geräusch ihres Wiederkäuermagens macht es noch gemütlicher. Kuhkuscheln ist auf dem Hof von Jürgen Voß in Amt Neuhaus bei Lüneburg nichts Neues. Er bietet das seit mehr als zehn Jahren an. Aber diesen Corona-Sommer war es begehrt wie schon lange nicht mehr. Die Menschen scheinen sich nach Wärme und Nähe zu sehnen.
Milchbauer Voß hat am Tag vor der Kuscheleinheit extra ausgemistet und frisches Stroh eingestreut. Wer auf seinen Hof zum Kuscheln mit Kühen kommt, soll es angenehm und möglichst sauber haben. Ganz vermeiden lassen sich Kuhfladen natürlich nicht bei dieser kleinen Herde mit drei erwachsenen Tieren und einigen Kälbern. Aber wenn man ein wenig guckt, wo man sich neben Laura hinsetzt, passt das schon. Berührungsängste mit dem 600 Kilogramm schweren Tier sind hier fehl am Platz.
Felltemperatur von Laura liegt bei 39 Grad
Laura macht es einem wirklich leicht, erst gar keine Scheu zu entwickeln. Sie liegt dort tiefenentspannt, kaut und verdaut, und ich lehne mich an sie und genieße es, wie ihr Körper meinen Kopf und Nacken erwärmt. Damit sie so liegen bleibt, hat Bauer Voß sie vorab gefüttert. Die Felltemperatur von Laura liegt mit 39 Grad zwei Grad höher als meine. Genau das Richtige an diesem kalten Herbsttag. Die Wärme ihres Kuhkörpers, das Geräusch beim Kauen, die Gerüche und das Rascheln des Strohs der anderen Kühe sorgen für eine ganz besondere Atmosphäre, für einen besonderen Moment.
Würde sie die Kuscheleinheit nicht mögen, würde sie aufstehen und gehen. Denn die Kuschelei ist absolut freiwillig. Jürgen Voß bindet seine Tiere dafür nicht an. Sie können jederzeit gehen. Tun sie auch. „Wenn jemand innerlich zu unruhig ist oder nervös, kann sich das auf die Kuh übertragen. Dann stimmt die Chemie nicht“, sagt er. Das macht mich ein bisschen stolz, denn Laura bleibt liegen. Das könnte stundenlang so weitergehen. Manche verbringen hier 20 Minuten, andere tatsächlich Stunden.
Laura hat eine ganz neue Bestimmung gefunden
So richtig zur Ruhe komme ich nicht, eigentlich, weil da dieses freche schwarze Kalb ist, das mir erst meinen Autoschlüssel aus der Jacke stibitzt, dann meine Mütze aus der Jackentasche zieht und sich schließlich an meinen Schnürsenkeln zu schaffen macht und daran zieht. Wie witzig, und natürlich kann man diesem Kalb mit den großen Kulleraugen nicht böse sein. Mini-Kuh sorgt für großartige Unterhaltung. Irgendwann muss ich aufstehen und das Kalb doch wegschieben, damit ich in Ruhe mit Laura weiterkuscheln kann. „Das Kalb wird auch mal eine Kuschelkuh“, sagt Jürgen Voß. Es sei zwar gerade frech, aber auch sehr verschmust.
Laura hat mit der Kuschelei für die Gäste des Ferienhofes oder für jeden, der einfach nur zum Kuscheln vorbei- kommen möchte, eine ganz neue Bestimmung gefunden. „Sie ist ein rangniedriges Tier und hatte es in der Herde nicht leicht“, sagt Voß. Hier im Stroh mit den Menschen hat sie eine andere Stellung. Jürgen Voß behandelt seine Tiere seit Jahren selbst homöopathisch. Das sorgt dafür, dass seine Kühe besonders zahm sind. Sie kennen keinen Tierarzt, der fremd ist und ihnen meistens wehtun muss. Sicherlich ist das auch ein Grund für diese Grundentspanntheit im Kuhstall. Für den Kuscheldienst sucht er nur die Tiere aus, die die Nähe zum Menschen offensichtlich mögen.
Anlehnen wie auf einem Sofa
Jürgen Voß, der seit Kindertagen auf einem Bauernhof lebt und diesen Hof zur Wendezeit mit seiner Frau Heidi übernommen hat, ist ein Tierfreund, der Kühe liebt und wertschätzt. Das ist zu spüren. Ursprünglich waren es 120 Tiere, nun hat er nur noch 17 Milch- und sechs Mutterkühe. Milchbauer zu sein lohnt sich nicht mehr, aber ein paar Kuschelkühe will der 63-Jährige unbedingt behalten. Derzeit eignet sich neben Laura noch eine weitere Kuh dafür. Die Hühner auf dem Hof kommen alle von der Tierschutzaktion „Rettet das Huhn.“
Warum aber ist das Kuscheln mit einer Kuh anders als mit einem Hund oder einer Katze? „Kühe sind größer. Man kann sich an sie anlehnen wie auf einem Sofa, dazu das Wiederkäuen, das für ein angenehmes Geräusch sorgt, und die hohe Körpertemperatur sorgt für Wärme“, sagt Voß Und dann diese Augen! So groß und freundlich wirken sie.
In den Niederlanden ist das Kuhkuscheln schon lange eine beliebte Aktivität auf Bauernhöfen für Feriengäste oder Ausflügler. In Deutschland soll es laut Internet etwa ein Dutzend Höfe geben. Zum Programm gehört wie auch bei Familie Voß ein Rahmenprogramm mit einem Rundgang über den Hof und Kaffee und Kuchen bei Bäuerin Heidi Voß. „Das dient auch zum gegenseitigen Kennenlernen“, sagt Jürgen Voß – der nicht nur ein großer Tier-, sondern auch Menschfreund ist. Bei Kindern mit ADHS oder Autismus hat er erleben können, wie diese Kinder im Kuhstall aus sich rauskommen und das genießen.
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Klar, mag man allein über das Wort Kuhkuscheln lachen und das als Geldmacherei verpönen, aber „wieso sollte ich extra viele Tausend Euro für eine Delfintherapie in Übersee ausgeben, wenn eine Kuh das Gleiche leisten kann?“, sagt Voß und lacht. 50 Euro für eine Familie mit drei bis vier Leuten kostet eine Kuschelsession, die zeitlich nicht begrenzt ist. Das Kraulen von Lauras lockigem Stirnhaar, der Blick in ihre Augen und dieser innige Moment mit ihr sind sowieso unbezahlbar.
Infos: www.ferien-bei-bauer-voss.de