Lüneburger Studenten dienen mit einem Aktkalender gleich mehreren guten Zwecken. Ganz getreu dem Motto “natürlich schön“.

Lüneburg. Nackt schreitet Laura auf einer Treppe den Kalkberg empor, ein kleines Naturschutzgebiet mitten in Lüneburg. Die 21-Jährige studiert in der altehrwürdigen Salzstadt Angewandte Kulturwissenschaften. An diesem Tag lässt sie sich für das Projekt „Lüneburg hüllenlos“ ablichten – tatsächlich völlig hüllenlos. „Das ist eine Herausforderung“, sagt sie, „mal etwas ganz Neues machen“. Und ein klein wenig Exhibitionismus sei auch dabei: „Das andere Leute einen sehen können, das hat schon was“, erklärt sie, während die Fotografin sanft aber beharrlich Anweisungen für die perfekte Pose gibt. „Für einen guten Zweck macht man das gern – und einfach aus Spaß.“ Dann schmiegt sie sich an einen kratzig-rauen Felsen, als sei es ein weiches Kissen und schaut mit verträumtem Blick in die Ferne.

Der gute Zweck, das ist ein Wohnprojekt von Behinderten und Nicht-Behinderten, das mit einem Teil der Erlöse gefördert werden soll. „Wir wollen beweisen, dass man auch mit kleinen Projekten einer guten Sache dienen kann“, erläutert Marco Schulz vom Initiatoren-Quartett. Die vier Studenten der Lüneburger Leuphana Universität wollen bei dem Projekt auch an der Uni erworbenes Wissen in der Praxis anwenden. „Außerdem soll der Kalender besonders umweltfreundlich produziert werden und für die reizvolle Landschaft der Region werben“, fügt Schulz hinzu.

Die Idee zu einem Aktkalender unter dem Motto „Beautiful by Nature“ hatte die 24-jährige Katrin Schmidt. „Es müssen nicht immer die superdurchtrainierten Körper sein. Es können ruhig auch mal ein paar Kurven mehr sein“, sagt sie. Das Ziel seien keine Hochglanz-Pin-ups aus dem Studio, wie bei anderen Kalenderprojekten etwa von Feuerwehrmännern und jungen Bäuerinnen. „Die Frauen und Männer sehen doch sonst alle gleich aus“, findet Katrin. Die Devise „natürlich schön“ gelte auch für den Rahmen. In der Natur rund um Lüneburg werden die Laien-Modelle im Wechsel der Jahreszeiten in Schnee, Sand, Wasser, Heide oder Wald abgelichtet.

In Lüneburg haben sich zwar genug weibliche Freiwillige gemeldet, doch gab es Probleme, zwölf mutige Männer zu finden. Die Organisatoren mussten sich an die männerlastige TU Hamburg-Harburg wenden. „Männer sind viel schüchterner“, bestätigt die 23 Jahre alte Hamburger Fotografin Tina Höltmann. Insgesamt 25 Schwarzweiß-Motive hat sie im Laufe eines Jahres gesammelt – zwölf Männer und zwölf Frauen, der Betrachter kann jeden Monat entscheiden, was ihm lieber ist. Das Titelblatt wird ein Pärchen schmücken.

Auf dem Kalkberg ist auch Layouterin Johanna Oppenheim als Assistentin im Einsatz. Die 24 Jahre alte Kommunikationsdesignerin wird den Kalender gestalten. Heute hält sie den Aufheller und bleibt angezogen. „Irgendjemand muss ja die Klamotten anbehalten“, lacht sie „außerdem wäre mein Freund nicht gerade begeistert“.

„Der große Zeh steht ab“, sagt Tina zur immer noch an den Felsen gelehnten Laura. „Das tut er eben bei mir, das geht nicht anders“, erwidert diese nur. Und so bleibt er eben, wie er ist - keck steht er weg, der Zeh, ein vorwitziger Kontrapunkt in einem sonst vielleicht zu glatten, zu schönen Bild. „Digital entferne ich vielleicht mal ein Pickelchen, sonst bleibt alles wie es ist“, gelobt die Fotografin.

Trotz des persönlich-sanften Umgangstones in dem an diesem Tag rein weiblichen Team ist der Einsatz von professioneller Härte. Zwei vorwitzig um die Ecke lugende Burschen oder ein heraufziehendes Gewitter sind jedenfalls keine Gründe, das Shooting zu unterbrechen. In strömendem Regen wird das letzte Motiv geschossen. Unter einem gewaltigen Ahorn wird Laura noch einmal in Szene gesetzt, mit ihren selbstgedrehten Locken wirkt sie unter dem mit mächtigen Efeu-Ranken bewachsenen Stamm wie ein unwirklicher Waldgeist, ein zarter Faun völlig entrückt in strömendem Regen. „Es war anstrengend, aber hat sehr viel Spaß gemacht – jederzeit wieder“, ist Lauras Fazit, während sie sich den Sand vom ein wenig zerkratzten Hinterteil wischt.

Zwei Tage später wird Tobias in der violett blühenden Heide fotografiert. „Wichtig ist, dass man mit seinem Körper zufrieden ist“, sagt er. Viel zeigen will der angehende Berufsschullehrer aber nicht – der 34-Jährige mit den langen Locken denkt an die Zukunft. „Nee, dass muss nicht sein“, sagt er nur, als eine Kutsche mit Touristen vorüberrollt.

Auch persönlich habe sie von dem Projekt profitiert, berichtet Katrin Schmidt: „Man kann sich ausprobieren – bekommt Projekt-Erfahrung und Menschenkenntnis“. Die Initiatorin ist mit Leib und Seele dabei – sie ziert den November. „Meine Eltern wissen nichts – nur dass ich bei einem Studentenkalender mitmache“, verrät sie. „Aber wann kann man sowas nochmal tun? Das sind doch tolle, ästhetische Bilder“, schwärmt sie. Neben einem gewaltigen Kürbis liegend zeigt das Foto sie – im wirklichen Leben mehr quirlig-natürlicher Puck denn model-verdächtige Diva – nur mit langen Wimpern geschmückt im Herbstlaub. Es ist ein traumschönes Bild, das wenig zeigt, obwohl es wenig verhüllt – die ahnungslosen Eltern müssen nicht allzu besorgt sein.

Wenn es sich lohnt, wollen die Initiatoren das Projekt im nächsten Jahr wiederholen. Seid mutig, Männer.