Dr. Jörg Cramer spricht im Abendblatt-Interview über den erfolgreichen Kampf am Klinikum Lüneburg gegen die Gefahr multiresistenter Keime.
Lüneburg. Ein neues Netzwerk unter Leitung des Lüneburger Gesundheitsamtes soll helfen, die Zahl der Infektionen mit multiresistenten Keimen zu begrenzen. Das städtische Klinikum Lüneburg hat mit eigenen Maßnahmen bereits Erfolg. Dr. Jörg Cramer, Hygienebeauftragter des Klinikums, erläutert im Abendblatt die Strategie.
Hamburger Abendblatt: Eine Reihe von Keimen sind mittlerweile multiresistent - das heißt, sie sprechen auf eine Behandlung mit Antibiotika nicht mehr an. Seit wann beobachten Sie dieses Phänomen?
Jörg Cramer: Besondere Aufmerksamkeit widmen wir dem Auftreten multiresistenter Keime seit den neunziger Jahren. Man hat damals vor allem auf Intensivstationen immer wieder unkontrollierte Ausbrüche von Infektionen mit den so genannten MRSA, also Methicillin resistenten Staphylokokken, die gegen Penicillin und andere Antibiotika unempfindlich sind, beobachtet. Man hatte aber nur wenige Möglichkeiten, um dagegen vorzugehen.
Welche Erreger gelten denn als multiresistent?
Cramer: Zum einen der Staphylokkokkus aureus, daneben einige Darmkeime, Echerischa Coli-Bakterien, der jetzt gefundene Ehec-Erreger gehört dazu. Und schließlich die Vancomycinresistenten Enterokokken, die aber im klinischen Alltag zum Glück kaum eine Rolle spielen. Für uns sind es vor allem die ersten beiden Gruppen, die unsere Aufmerksamkeit fordern. Durch Veränderungen im Bakterium selbst sprechen diese Keime auf herkömmliche Antibiotika in der Regel nicht mehr an.
Wie kam es zu dieser Situation?
Cramer: Die Ursache liegt in der relativ großzügigen Verwendung von Antibiotika in der Vergangenheit. Vor allem in der Tiermedizin werden sie noch immer ziemlich unkontrolliert verwendet. In der Humanmedizin sind die Verschreibungen geringer. Derzeit liegen wir bei etwa 250 bis 300 Tonnen Antibiotika pro Jahr, die verordnet werden.
Die Resistenz der Erreger dürfte den Kliniken Probleme bereiten.
Cramer: Ja, aber wir tun etwas dagegen. Bereits seit dem Jahr 2005 treffen wir im operativen Bereich Maßnahmen, die wir 2007 auf die ganze Klinik ausgedehnt haben. Alle Patienten der Risikogruppen durchlaufen ein so genanntes Screening, also eine Eingangsuntersuchung. Das gilt für Menschen, die im Lauf der letzten sechs Monate eine Antibiotika-Behandlung durchlaufen haben. Es gilt auch für Patienten, die sich im genannten Zeitraum in einem anderen Krankenhaus oder einer Altenpflegeeinrichtung befunden haben. Außerdem für Patienten, die im Ausland einen stationären Klinikaufenthalt hatten, für Dialyse-Patienten sowie für Menschen mit chronischen Wunden oder Kathedern. Sie haben ein höheres Risiko, im Laufe der Zeit mit solchen Bakterien besiedelt zu werden. 60 Prozent der MRSA-Erreger werden von den Patienten mitgebracht. Ohne eine Untersuchung bliebe die Infektion bei 85 Prozent der Betroffenen unentdeckt.
Was geschieht dann weiter?
Cramer: Die Patienten mit resistenten Erregern werden isoliert - so lange, bis bei Abstrichen auf den Schleimhäuten ein negatives Ergebnis mit Blick auf die Keime vorliegt. Um das zu erreichen, wird eine Sanierung der betroffenen Schleimhäute durch spezielle Seifen und Nasensalben angestrebt. Die MRSA sind gegen Desinfektionsmaßnahmen nicht resistent. Wir haben ein eigenes Hygienehandbuch für das Städtische Klinikum entwickelt - und verzeichnen seit Beginn der Maßnahmen einen deutlichen Rückgang der Infektionen. Es gibt nicht viele Kliniken, die ein solches Programm konsequent anwenden.
Wie reagieren die Betroffenen?
Cramer: Mittlerweile ist die Akzeptanz hoch. Es gibt durchaus Patienten, die danach fragen, wie wir mit MRSA umgehen. Doch in jedem Fall nehmen wir jeden Patienten auf und behandeln ihn, wir verweigern niemandem die Operation. Seit 2005 haben wir deutlich sinkende Fallzahlen - sowohl der bei den unkontrollierten Ausbrüchen der Keime als auch bei den im Krankenhaus entstandenen Infektionen.
Wer bezahlt die Maßnahmen?
Cramer: Erstattet werden sie nicht. Es sind Kosten, die wir aus den normalen Erträgen gegenfinanzieren müssen. Allein im vergangenen Jahr haben wir 190 000 Euro für das Screening ausgegeben. Wir wissen aber, dass sich bei einer Nichtbehandlung der MRSA die stationäre Aufenthaltsdauer des Patienten deutlich verlängert. Dadurch entstehen Folgekosten von geschätzten 5000 bis 10 000 Euro pro Patient. In 2010 hatten wir 336 MRSA-Fälle in der Klinik insgesamt. Davon waren 274 Betroffene schon bei Aufnahme ins Krankenhaus mit dem Keim besiedelt. 62 von mehr als 25 000 Patienten in Jahr 2010 - das sind 0,24 Prozent - erwarben den Keim während der Behandlung, aber nicht jeder davon hatte eine Infektion.
Gesundheitsamt und Landkreis denken über die Gründung eines Netzwerks zu dieser Thematik nach. Macht der Schritt aus ihrer Sicht für das städtische Klinikum Sinn?
Cramer: Das Netzwerk ist absolut wünschenswert. Wir müssen mit den kassenärztlichen Vereinigungen einen Modus finden, wie man die Kosten der Aufgabe gegenfinanziert. Wir sollten nicht nur mit allen beteiligten Institutionen ins Gespräch kommen, sondern auch über die Vergütung der Kosten bei der Bekämpfung der MRSA reden. Die Investitionen lohnen sich. Eine Stigmatisierung der Patienten gibt es nicht mehr. Aber beim Austausch von Kenntnissen ist Bedarf für das Netzwerk da.